Akteur

Álvaro Siza Vieira
Porto (P)

Begegnung zweier Klassiker

Alvaro Siza in der Basilica Palladiana von Vicenza

Als einer der meistbewunderten Architekten unserer Zeit ist der 66jährige Portugiese Alvaro Siza längst nicht mehr nur in seiner Heimat tätig. Seinen Bauten, in denen sich rationale Geometrie und organische Form zur skulpturalen Architektur vereinen, begegnet man heute in halb Europa. Nun stellt Siza sein Schaffen in der Basilica Palladiana von Vicenza zur Diskussion.

5. Dezember 1999 - Roman Hollenstein
Beim Namen Vicenza kommen Architekturliebhaber leicht ins Schwärmen. Sie denken an das Teatro Olimpico, den Palazzo Chiericati oder an die Villa Rotonda - kurz: an Palladios Meisterwerke, die in ihrer heiteren Pracht und Eleganz eine seltene Gipfelszenerie abendländischer Baukunst markieren. In deren Schatten zu bauen ist nicht einfach. Das musste schon Scamozzi erfahren; und die Architekten unseres Jahrhunderts waren so gelähmt, dass sie überhaupt keine nennenswerten Spuren hinterliessen. Doch statt sich wie andere italienische Städte mit der glorreichen Vergangenheit zu trösten, ergriff Vicenza 1995 die Flucht nach vorn. Seither lädt die Stadt einmal im Jahr zum Dialog zwischen heutigen Architekturpositionen und Palladios hoher Kunst: Hinter den Arkaden der Basilica Palladiana, des einstigen Palazzo della Ragione, veranstaltet sie zusammen mit der Architekturfakultät von Venedig jeden Herbst eine Ausstellung, die jeweils einem zeitgenössischen Architekten gewidmet ist. Darunter befanden sich bisher so bedeutende Figuren wie Ando oder Ungers.


Die Macht der Modelle

Auch der neuste Gast, der 1933 geborene und längst mit allen wichtigen Auszeichnungen seines Fachs dekorierte Portugiese Alvaro Siza, zählt zu den ganz Grossen der Gegenwartsarchitektur. Doch anders als Ungers, dessen jüngste Arbeiten mitunter einen minimalistisch versteinerten Palladianismus durchscheinen lassen, bieten Sizas Bauten - einmal abgesehen vom befremdlich monumentalen portugiesischen Pavillon der Expo 1998 in Lissabon - keinen aufgebrühten Klassizismus. Siza ist denn auch weniger durch formales Nachempfinden als durch seine Haltung Palladio nahe. Wie der Meister aus Vicenza zwischen Manierismus und Barock die Ideale von Antike und Renaissance nochmals zu beleben wusste, so versteht es Siza nämlich, die Quintessenz aus dem Werk der vier Giganten Wright, Loos, Le Corbusier und Aalto zu extrahieren und so der Moderne neue Wege zu eröffnen. Dies jedenfalls ist die verblüffende Einsicht, die einem diese Ausstellung vermittelt. Dabei ist die Schau, die der Architekt dem heimischen Publikum und den staunenden Palladio-Pilgern bereitet hat, nicht eben leicht zu konsumieren. Anders als die Retrospektive von 1995 in Sizas Centro Gallego in Santiago de Compostela muss die Veranstaltung in Vicenza ohne real gebaute Werke auskommen. Zudem setzt Siza, der Verführungskraft der Photographie misstrauend, ganz auf die Macht der Skizzen, Pläne und Modelle und verbannt die Abbildungen, die die Erscheinung eines Gebäudes leicht manipulieren können, in die Erdgeschossgalerie.

Die Exponate werden von Siza auf selbst entworfenen Tischen präsentiert. Diese floaten wie Inseln im gigantischen Salone der Basilica, der einer umgekehrten Arche Noah gleicht und entsprechend schwierig zu bespielen ist. Am Anfang der raumgreifenden Installation steht das längst legendäre, vor vierzig Jahren in Matosinhos entstandene Teehaus, in dem Siza - unter dem Einfluss seines Lehrers Fernando Távora - rationale Geometrie und regionale Tradition mit der organischen Formensprache von Wright und Aalto vermählte und so einen für die neuere portugiesische Architektur wegweisenden Bau schuf. Am Ende des gut 40 Modelle langen Parcours steht der eigenwillige Entwurf für das Kulturzentrum Iberê Camargo im brasilianischen Porto Allegre, dessen Kurven und Rampen an das vor 20 Jahren projektierte Bankgebäude in Vila do Conde und mehr noch an Le Corbusier erinnert, dem Siza schon 1992 mit dem La Tourette verpflichteten Projekt der Câmara Municipal von Evora seine Reverenz erwiesen hatte.

Neben den städtebaulichen Entwürfen für Berlin und Venedig dominieren in dieser Retrospektive die Einzelbauten. Es finden sich aber auch urbanistisch konzipierte Anlagen wie die Architekturschule in Porto. Von diesem in Form eines griechischen Tempelbezirks mit den prominent am Hang placierten «Schatzhäusern» der Lehrgebäude und dem «Theater» der Aula realisierten Schlüsselwerk fehlt hier leider das Modell. Dabei hätte sich an ihm Sizas Komponieren entlang von Achsen ebenso gültig ablesen lassen wie dessen subtile Auseinandersetzung mit dem Kontext und der Topographie eines Ortes oder die durch überraschende Winkel und tief heruntergezogene Wandschürzen betonte Plastizität der zwischen Kubismus, Art déco und klassischer Moderne oszillierenden Baukörper - ja selbst Sizas Vorliebe für jene maskenartigen Fassaden, die seit Cassiano Branco in der portugiesischen Baukunst immer wieder auftauchen. Was aber auch dieses Modell nicht hätte vermitteln können, ist die Lichtregie, die Sizas Bauten in eigentliche Raumerlebnisse verwandelt. Geradezu ins Spirituelle überhöht wird das Tageslicht in der 1995 vollendeten Kirche von Marco de Canavezes, die mit ihren breitschultrigen Eckrisaliten und der extrem überhöhten Zweiflügeltür an den Tempel Salomos gemahnt und allein schon damit einen der erstaunlichsten Beiträge zur Sakralarchitektur des ausklingenden Jahrhunderts darstellt.


Poetische Essenz

Wer Sizas Arbeiten im Original kennt, wird begeistert von einem Modell zum nächsten eilen und diese mit den Plänen und den virtuosen Skizzen, aber auch mit den eigenen Bildern vor dem inneren Auge vergleichen. Die anderen jedoch werden sich wohl etwas irritiert durch die spröde Präsentation kämpfen. Die poetische Essenz von Sizas Architektur lässt sich im Grunde eben weder ausstellen noch in der monumentalen Begleitpublikation einfangen. Über diese Tatsache hinweg trösten allerdings im Erdgeschoss eine Reihe stimmungsvoller Photos sowie ein Video von Sizas Arbeiten, vor allem aber ein Zyklus von intimen Handzeichnungen, die einen bald an den Golf von Lugano, bald über die Altstadt von Prag oder vor die Hochhauskulisse von Macao entrücken. All diesen inszenatorischen Widersprüchen zum Trotz dürfte es schwierig sein, in den nächsten Jahren eine würdigere Schau in die heiligen Hallen der Basilica zu bringen. Dies ist allerdings kein Grund, das Experiment hier abzubrechen. Im Gegenteil: Bedarf doch das zeitgenössische Schaffen des Vergleichs mit den Werken der Vergangenheit - und wo liesse sich dieser Paragone besser durchführen als in der Stadt Palladios? (Bis 30. Januar)


[ Begleitpublikation: Alvaro Siza. Hrsg. Francesco dal Co. Mit einem Essay von Kenneth Frampton. Electa, Mailand 1999. 603 S., L. 120 000.- (in der Ausstellung). ]

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