Bauwerk

Musiktheater Linz
Terry Pawson, archinauten, Architektur Consult - Linz (A) - 2013

Alles andere ist primär

Quasi ein Gemeinschaftsprojekt: geplant von dem einen, weiter ausgeführt und umgesetzt von den anderen. Und dazwischen auch noch Platz für eine Zeitungsvolksbefragung. Zum neuen Musiktheater in Linz.

30. März 2013 - Romana Ring
Das Ergebnis zählt. Im Fall des kurz vor seiner Eröffnung stehenden Musiktheaters in Linz weist dieser Satz einer ungefähr 40 Jahre währenden Entstehungsgeschichte den ihr gebührenden Erinnerungsraum zu. Heute haben Bahnreisende kurz vor der Einfahrt in den Bahnhof den ersten Blick auf die oberen Geschoße des Musiktheaters. Wer mit dem Auto in die Industriegebiete im Osten der Stadt unterwegs ist, passiert die enge Schlucht zwischen Bahn und Theater. Von der Wiener Straße aus gesehen, erhebt sich das Theater als mächtiger Block hinter dem Bahndamm. Der Linzer Einkaufsmeile, der Landstraße, setzt es einen deutlichen Schlusspunkt. Wer die Entstehungsgeschichte des Musiktheaters nicht kennt, wird sich vielleicht über den zwar zentralen, doch von Zwängen geprägten Bauplatz wundern. Nur so viel: Seine Wahl war weder die erste noch die einzige. Das Siegerprojekt eines internationalen Wettbewerbs an einem anderen Standort musste nach einer von der massiven Agitation des Boulevards begleiteten Volksbefragung aufgegeben werden.

Der britische Architekt Terry Pawson hat 2006 den erneut international ausgelobten Wettbewerb mit einem Projekt gewonnen, das den bis dahin vage gebliebenen Stadtraum der sogenannten Blumau am südlichen Rand der Linzer Innenstadt neu geordnet hat. Er hat die beiden Emissionsquellen, die stark befahrene Straße und die Bahn im Süden des Bauplatzes, gebündelt und der Randbebauung der Blumauerstraße mit dem Theaterbau ein Gegenüber gegeben. Das wahrscheinlich schönste Element des Standortes, der im Westen angrenzende Volksgarten, wirkt dank der großflächig verglasten Foyerfassade in die öffentlich zugänglichen Bereiche des Theaters hinein. Letztere machen, wie in jedem Haus, das neben den Räumen für den unmittelbaren Bühnenbetrieb nicht nur seine Administration, sondern auch Werkstätten und Lager fasst, nur einen kleinen Teil des Raumprogramms aus.

Terry Pawson wollte, so heißt es, dieses dicht gedrängte und heterogene Raumgefügemit einer Fassade umfangen, die einem Vorhang gleichen sollte. Tatsächlich gliedern nun schmale weiße Betonfertigteile die Außenhaut des weitgehend vom Straßenverlaufgeformten Körpers in vertikaler Richtung mitgelegentlich eingeschobenen horizontalen Unterbrechungen; die Zwischenräume bleiben dunkel im Hintergrund; geschlossenenfalls sind sie mit Platten aus auffallend rau gebrochenem Travertin gefüllt. Die Anmutung meterdicker Massivität wird durch die zarten Betonlamellen eher irritiert als gebändigt und hat wenig mit einem Vorhang zu tun. Das wäre nicht weiter schlimm: Vorhänge gibt es im Theater ja zur Genüge. Allein, die Gelegenheit, auch mit der Fassade eine Antwort auf den Ort und seine Herausforderungen zu geben, ist ungenutzt verstrichen.

Die Anekdote zur Entscheidungsfindung hinsichtlich der Außenwandgestaltung: Dass die ursprünglich von Pawson vorgeschlagene Haut aus Corten-Stahl mit dem Argument verworfen wurde, in der Stahlstadt Linz gäbe es keine rostenden Oberflächen, ist möglicherweise nur gut erfunden. Die Leserbefragung einer lokalen Tageszeitung im Vorfeld –„Welche Fassadenvariante wählen Sie?“ – dagegen ist hinreichend dokumentiert. Terry Pawson hat sein Wettbewerbs-Siegerprojekt nur bis zur Einreichplanung betreut. Die weitere Planung haben die Büros Architektur Consult (Graz/Wien) und Dworschak + Mühlbachler Architekten (Linz) übernommen. Gemeinsam haben sie diesen schwierigen Schnitt zwischen Entwurfsidee und Ausführungsplanung ohne sichtbare Brüche gemeistert und Terry Pawsons Konzept im Wesentlichen umgesetzt.

Werfen wir einen Blick hinter die Kulissen, in den Arbeitsalltag des technisch oder organisatorisch tätigen Personals. Hier entfaltet sich die dem gesamten Projekt Terry Pawsons eingeschriebene Qualität, in einer beengten Situation gleichzeitig Luft und menschliches Maß zu gewinnen: Mehrgeschoßige Lichtschneisen im Bereich der Erschließungskerne und eingeschnittene Terrassen erhellen das Bauwerk und werten die Arbeitsräume mit Licht und Ausblick auf.

Das auch außerhalb des eigentlichen Theaterbetriebs öffentlich zugängliche Foyer des Musiktheaters wendet seine gläserne, durch transparente Lamellen bei Bedarf beschattete zweigeschoßige Glasfassade dem Volksgarten zu, der dadurch als städtischer Erholungsraum erheblich aufgewertet wird. Davor erstreckt sich, von ein paar Stufen über das Niveau des Parks gehoben, eine mit hellem Stein belegte Terrasse. Der gleiche helle Boden im Inneren des Foyers, eine quer zur Außenwand strukturierte, ansonsten ebenflächige Decke über der Eingangsebene und parallel zur Fassade geführte Stiegen im Hintergrund des Foyers formen einenüber mehrere Geschoße fließenden Raum. Das Foyer ist mit allerlei Technik ausgestattet und vielseitig nutzbar. Ähnlich multifunktional sind der große, mit goldfarbenen Akustikpaneelen verkleidete Proberaum des Brucknerorchesters und die Studiobühne, die nicht nur gute Probebedingungen bieten, sondern auch für Aufführungen im kleineren Rahmen geeignet sind.

Der große Saal vermittelt eine Stimmung gediegener Festlichkeit ohne Überschwang – an Originalität oder Askese. An seiner Innenseite mit dem gleichen Holz belegt, sieht er aus, wie man es von einem Theatersaal mit Rängen und Logen gewohnt ist. Doch sind die Sitzplätze auf gleichwertig gute Sicht- und Hörbedingungen ausgelegt, der ovale Leuchtkörper in der Mitte der Decke dient als Beleuchterbrücke, und die akustisch wirksam geformten Brüstungen der Ränge verdanken ihren goldenen Schimmer einer Beschichtung aus flüssigem Metall. Nichts im Raum versucht, vom Geschehen auf der (Guckkasten)Bühne abzulenken, die technisch zu den modernsten Europas zählt. Ein minutiös austariertes Zusammenspiel von Dreh- und Hebevorrichtungen, Hinter- und Seitenbühnen, Portalen, Brücken und einem angemessen dimensionierten Orchestergraben macht es Künstlern und Technikern nach langen Jahren der Entbehrung endlich möglich zu zeigen, was Musiktheater alles kann.

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