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5. September 2015 Spectrum

Mehr Ort als Haus

Wer durch das verglaste Portal in eines der großzügigsten und schönsten Foyers der Bundeshauptstadt tritt, wird sofort von der Geschichte des Ortes umfangen. Ein Spaziergang durchs altehrwürdige Wiener Funkhaus – samt Hinweis auf einen neuen Text-Bild-Band.

Dem Funkhaus in der Wiener Argentinierstraße mit einer Beschreibung gerecht werden zu wollen ist ein kühnes Unterfangen – denn was beschreibt man? Die Architektur? Die Stimmung, die das Haus in sich trägt? Die Mediengeschichte, die hier geschrieben, oder besser, produziert wurde? Das Funkhaus ist ein charismatischer, eigenwilliger Ort, ein Stück Geschichte der Republik Österreich. Seit 80 Jahren atmen diese Mauern journalistische Professionalität und Kultur. Im Funkhaus gingen und gehen die Größen des Kulturgeschehens ein und aus. Dirigenten, Musiker, Schauspieler, Philosophen und Literaten geben einander täglich die Türklinke in die Hand, um sich interviewen zu lassen, an Livesendungen teilzunehmen oder um diversen Programmen ihre schönen Stimmen zu leihen.

So hat sich in dem Gebäude eine einzigartige Aura entwickelt. Man spürt sie nicht nur in der lässigen Bespielung des Hauses, etwa mit historischen Radio-Artefakten aller Art. Man spürt sie auch an den Menschen, anden Journalisten und Gästen, kurzum an den „Bewohnerinnen und Bewohnern“, die den Geist des Gebäudes pflegen. Wer durch das verglaste Portal in eines der großzügigsten und schönsten Foyers der Bundeshauptstadt tritt, wird von der über die Zeiten in die Gegenwart getragenen Geschichte des Ortes augenblicklich umfangen.

Hell, geräumig, mit poliertem Stein, Metall und Holz ausgeführt, an der Flanke mit einem prachtvollen Treppenaufgang ausgestattet, der die in den oberen Geschoßen gelegenen Studios und Redaktionsräume auf das Freundlichste mit dem halb öffentlichen Besucherbereich im Erdgeschoß verbindet, zeigt das Gebäude innen eine erstaunliche Transparenz, die man angesichts der strengen Fassade in der Argentinierstraße nicht vermuten würde. Und es ist immer etwas los, ein Kommen, Gehen, Verweilen – das Haus ist fast rund um die Uhr Zentrum unterschiedlichster Begegnungen.

Möglicherweise ist das der Kern dessen, was seinen Reiz ausmacht: die unverschämt praktische Lage im Herzen der Stadt und die in Schönheit und Würde gealterte Architektur, die in hellen Stiegenhäusern, in Gängen, auf Podesten und selbst noch auf den Hintertreppen jene nonchalante Großzügigkeit ausstrahlt, die in so vielen modernen Büroschachtelställen erfolgreich erstickt wurde. Wo andernorts Begegnungen in fensterlosen, nach minimalistischen Bauvorschriften dimensionierten Kaffeeküchen stattfinden, in meist charakterlosen Sitzungsräumen, läuft man sich im Funkhaus ständig über den Weg. Für Journalisten, die davon leben, sich auszutauschen, Informationen schnell weiterzugeben und zu einem Beitrag oder einer Sendung zu formen, ist diese Art der Kommunikationsmöglichkeit ideal.

Im Vergleich zu einem zeitgenössischen Nutzbau nimmt sich dieses herrlich kantige Haus tatsächlich aus wie eine stimmgewaltige und ihr Fach über alle Oktaven hinweg souverän beherrschende Koloraturdiva gegen ein Schlagersternchen: Gediegenheit in Glas, Stein, Metall gegen Wegwerfplastik. Insbesondere in den öffentlich zugänglichen Räumen beherrscht das Gebäude die große Geste, weshalb diese Teile auch zu Recht unter Denkmalschutz gestellt sind.

Im Gegensatz zu Denkmälern allerdings, denen man ihren ursprünglichen Zweck entzogen hat und die in traurig musealer Staubigkeit dem Ende aller Tage entgegendämmern, ist das Funkhaus ein lebendiger, benutzter Ort geblieben. In fußläufiger Nähe zur Wiener Innenstadt gelegen, ist die Adresse Argentinierstraße 30a beliebte Anlaufstelle für Veranstaltungen – im Großen Sendesaal, im RadioCafe, im Studio 3 und im Klangtheater. Der im Erdgeschoß gelegene Große Sendesaal ist dabei Herzstück des Hauses. Vor und nach Veranstaltungen und Konzerten treffen einander nebenan im RadioCafe Journalisten, Musiker, Künstler. Die Architektur unterstützt diesen Austausch, ja, ermöglicht ihn erst.

Das Funkhaus wurde als „Radiokulturhaus“ im Jahr 1938 als erstes seiner Art in Österreich fertiggestellt. Damals war es der modernste Radiobau seiner Zeit, heute ist es der Urahn aller Sendegebäude des ORF. Den 1935ausgeschriebenen Architekturwettbewerb gewannen zwar die Architekten Heinrich Schmid und Hermann Aichinger. Den Vorsitz der Jury hatte allerdings mit Clemens Holzmeister einer der durchsetzungskräftigsten Architekten seiner Zeit inne. Er war letztlich derjenige, der dem Wettbewerbsprojekt den letzten Schliff verpasste und den Auftrag schließlich sogar selbst übernahm.

Die heutige Architekturkritik würde das Bauwerk als Monument der frühen Moderne bezeichnen, als wuchtigen Gebäudeblock, der geschickt in das Stadtgewebe eingenäht wurde. Die Hauptfassade ein Stück von der Straße zurückzusetzen war eine kluge Entscheidung, denn auf diese Weise wurde ein geräumiger Vorplatz ausgebildet, der die Bedeutung des Gebäudes zu unterstreichen scheint und der einmal mehr eine Begegnungsfläche für hier Ein- und Ausgehende bildet.

Ursprünglich befand sich auch zwischen den beiden Hauptgebäuden ein geräumiger Hofplatz. Als das Haus in den 1970er-Jahren aus allen Mauerritzen zu platzen drohte, entschloss man sich zu einem Erweiterungsbau (1979–1983) an dieser Stelle. Ausgeführt wurde die Ergänzung großen Formats vom Holzmeister-Schüler Gustav Peichl. Ihm gelang es,die alte Bausubstanz geschickt mit der neuen zu verknüpfen. Der viergeschoßige Erweiterungsbau ist in jedem Stockwerk mit dem Bestand verzahnt. Verglaste Verbindungsgänge sorgen für möglichst kurze Wege zwischen Redaktionen und Newsroom.

Obwohl Peichl seine Innenräume mit der ihm damals eigenen postmodern angehauchten Architektursprache formulierte, verbeugte er sich in der Fassadengestaltung mit erstaunlicher Bescheidenheit vor seinem Lehrer. Er nahm die modulare Fensteranordnung des Bestandes auf, unterbrach die Monotonie jedoch mit einer Reihe halbrunder Fenster und gliederte so das Neue respektvoll in das Alte ein.

Wesentlicher Grund für den die Zeiten überdauernden Charme des Funkhauses sind die zahlreichen gut durchdachten und schön gearbeiteten kleineren Elemente, die wunderbaren Geländer in den Stiegenhäusern, die unterschiedlichen Beleuchtungskörper und viele weitere Details, die man im Einzelnen wohl selten beachtet, die jedoch in Summe ein elegantes und liebenswürdiges Ensemble bilden.

Die Fotografin Hertha Hurnaus hat das Funkhaus mit der Kamera porträtiert wie eine Persönlichkeit und ebendiese vielen Details und Materialien, die Lichtspiele und Atmosphären eingefangen. Als Spaziergang durch dieses hoffentlich noch lange quicklebendige Haus sollte das Buch „Funkhaus Wien“ auch verstanden werden.

5. Juni 2010 Der Standard

Wir fahren. Bis ans Ende der Welt

Wenn ein Autobauer wie Audi internationale Architekten nach der Mobilität der Zukunft befragt, darf man sich nicht wundern, wenn nachher wieder nur Autos rauskommen.

Keine Frage, alles ist High Class hier. Alles toll organisiert. Alle sind ganz aufgeregt und aufgekratzt: Audi, eine der Supermarken der deutschen Industrie, hat zur ersten Präsentation des soeben ins Leben gerufenen Audi Urban Future Award nach London geladen. Die Endergebnisse sollen dann im Rahmen der diesjährigen Architekturbiennale in Venedig gezeigt werden.

Aber erst einmal will man der Medienwelt einen Eindruck der allerersten Überlegungen der sechs aus aller Welt zusammengeklaubten Architektenteams zum Thema Mobilität und Stadt der Zukunft liefern. Die deutschen Organisatoren des Awards, Stylepark, haben Alison Brooks Architects, London, BIG - Bjarke Ingels Group, Kopenhagen, Cloud 9, Barcelona, Diller Scofidio+Renfro, New York, Jürgen Mayer H., Berlin und Standardarchitecture, Peking ausgewählt.

Die von den Architekten zu beantwortenden Fragen lauten laut Hochglanzbooklet so: „Wie sieht die Stadt der Zukunft aus? Erlaubt nachhaltige Mobilität überhaupt noch individuelle Fortbewegung? Werden die Menschen ihre mobilen Ansprüche zurückschrauben?“

Rupert Stadler, der diese Fragen zur Einstimmung formuliert hat, ist als selbstbewusster Audi-Boss von Zweifeln jedweder Art selbstredend verschont. Sein Unternehmen hat im ersten Quartal dieses Jahres einen operativen Gewinn von 478 Millionen Euro erzielt. Der Erfolg gibt ihm also recht, zumindest wenn das Bewertungstool für Erfolg, so wie üblich, die Bilanz ist. Und deshalb gibt Stadler, bevor es eigentlich so richtig losgeht mit dem an die Architekten dekretierten Nachdenken darüber, ob es tatsächlich überhaupt Automobile sein werden, die uns in der Zukunft von A nach B transportieren, sicherheitshalber gleich selbst die Antworten:

„Wir bei Audi sind überzeugt: Das Zeitalter der individuellen Mobilität hat gerade erst begonnen. In vielen aufstrebenden Märkten erfüllen sich immer mehr Menschen erstmals den Traum eines eigenen Automobils. Und in den westlichen Ländern wollen die Menschen auf die gewohnten Freiheiten, die die individuelle Mobilität ihnen schenkt, nicht verzichten.“

Der Wahrheitsgehalt des zweiten Teils dieser Antworten ist unbestritten. Der erste das an Arroganz grenzende Wunschdenken des erfolgsgewohnten Industriekapitäns und zugleich der Albtraum dieser Welt. Der Kfz-Bestand weltweit wird heuer die Milliardengrenze überschreiten, insbesondere in Asien verzeichnet man Wachstumsraten von knapp unter 50 Prozent. Bis 2030, so die für Autobauer wie Audi naturgemäß erfreulichen, für den Rest der Menschheit jedoch eher grimmigen Prognosen, sagen einen Kfz-Bestand von bis zu drei Milliarden voraus. In Indien wird sich der Bestand privater Pkws verdreifachen, in China verzehnfachen.

Worüber, stellt sich also die Frage, reden wir heute hier im schönen London überhaupt? Darüber, wie Städtebau, Architektur, Mobilität künftig ausschauen sollen, wollen wir überleben? Oder darüber, wie Audi in den Hoffnungsmärkten Indien, China, Brasilien künftig noch mehr Autos verkaufen kann?

Denn dass einer der Schlüssel zu einer ökologisch intelligenteren Zukunft die Verbannung des Automobils gerade aus den Städten ist, in denen mittlerweile mehr als 50 Prozent der Menschheit leben, steht in Kreisen derjenigen, die nicht gerade vom Autoverkaufen leben, außer Zweifel. Und die Zunft der Architektur gehört normalerweise zu jenen, die dieses Anliegen propagieren. Warum zitiert denn auch die Hochglanzbroschüre so reichlich aus exakt jenen Fachpublikationen, die diese Thesen wissenschaftlich fundiert aufbereiten? Welch eigenartigen Spagat versucht man hier aufs Parkett zu legen?

Tatsächlich einen, der noch nicht so recht gelingt. Doch bis zur Biennale sind es ja noch drei Monate, und bis dahin werden sich die Architekten noch manch hübsches Rendering, manch elegante Animation einfallen lassen.

Doch jetzt legen sie einem architekturlastigen Publikum im prächtigen Royal Institute of British Architects erste Überlegungen zum Thema dar. Alison Brooks, die zwar offensichtlich besorgt ist über die automobile Zukunft, sich aber doch nicht dazu überwinden konnte, diese Besorgnis in der erforderlichen Radikalität zu formulieren, will die Automobile verkleinern und zu einem Bestandteil der Gebäude machen. Bjarke Ingels, dem der Ehrgeiz wie stets aus jeder Pore trieft, setzt auf „die Stadt des schadstofffreien, geräuschlosen und fahrerlosen Autos“, kann uns aber doch noch nicht so recht sagen, wie er die erreichen will.

Enric Ruiz-Geli von Cloud 9 begibt sich auf die Suche nach dem „einfühlsamen Auto“, einem „Airbag-Auto+Personen“ und befragt heute Achtjährige nach ihren Zukunftsvisionen. Und so weiter und so fort. Die Architekten erfinden das Auto neu. Eigentlich hätten sie sich was über die neuen Städte, die neuen Lebensweisen, die neuen Medien, Netzwerke überlegen sollen. Stattdessen scheitern sie am Problem „Erst Henne oder Ei?“. Denn, wie Stadler süffisant anmerkt: „Wie Autobauen geht, wissen wir selbst.“

Einer der sich darin besonders gut auskennt, ist Audis Chefdesigner Wolfgang Egger. Er spricht viel von Emotion. Sagt Sätze wie: „Wir investieren in die emotionelle Erlebbarkeit der Technologie.“ Keine Frage, wer sich's aussuchen kann, wird lieber einen Audi fahren als einen Tata.

Und darum geht's hier - und um nichts anderes. Wozu aber dann bitte rundherum die Weltverbesserungskarosserie?

19. Dezember 2009 Der Standard

Archäologie des Alltags

Ilse Helbich schildert in ihrem Buch „Das Haus“, wie ein altes Gebäude und eine alte Frau, eine Städterin und das Land, zueinanderfinden.

Sie ist 65 Jahre alt, als sie beginnt, das Land zu erforschen. Allein und im Auto: „Wenn einer dann Zeit zwischen den Fingern hat, leere Stunden, kann man anfangen, herumzufahren.“

Die Zeit zwischen den Fingern. Man kann sie zerbröseln, oder man kann sie in die Hand nehmen. Im besten Fall kann man etwas daraus formen. Etwas für sich. Doch was?

Ilse Helbich hat über diese Formarbeit an der Zeit, an sich selbst - und an einem sehr alten Haus ein wunderbares kleines Buch geschrieben. Das Haus, erschienen im Literaturverlag Droschl, schildert nur vordergründig die anspruchsvollen Renovierungsarbeiten an einem fast schon aufgegebenen Gemäuer.

Denn was ist dieses Haus, das sie auf einem ihrer Streifzüge im Kamptal findet, und das verlassen und halb verfallen mitten im grünen Dschungelfilz eines jahrelang sich selbst überlassenen Gartens steht: Ist es das Kloster, das es einmal war? Ist es die Thurn & Taxis'sche Poststation späterer Jahre? Ist es das umgebaute Wohnhaus samt Wirtschaftsgebäude einer grässlichen neueren Zeit, in der man alte Fenster durch großformatige Glotzscheiben ersetzt und die feinen Proportionen der Innenräume durch Zwischenwände und anderen Unfug verletzt hat? Das Haus trägt die Jahresringe der Jahrhunderte, und sie haben ihm nicht gutgetan. Es steht da mit eingeschlagenen Zähnen und blinden Augen. Aber irgendwo ist da noch eine Persönlichkeit, die sich unter abbröckelndem Putz und zwischen den Wänden verbirgt.

Ilse Helbich lebt in dieser Zeit in Wien, sie fährt immer wieder hinaus aufs Land, zu diesem Haus, merkt, dass sie sich bereits in seinen Mauern und in ihren eigenen Bildern davon verirrt hat: „Am Grunde aller Stunden lag breit und war nicht zu überspringen das ungewisse Bild eines Hauses, das der Zwilling des vernachlässigten war, das sie jetzt immer besser kennenlernte.“

Ein Wrack von einem Haus

Irgendwann beschließt sie wider jede Vernunft, dieses Wrack von einem Haus zu kaufen und zu „retten“. „Wahrscheinlich würde jeder vernünftige Käufer das kranke Gebäude erst abreißen lassen, um es dann durch ein moderneres kleineres Haus zu ersetzen.“

Das wäre deutlich einfacher, doch was wäre dieses neue Haus? Ein Heim oder nur eine Bleibe? Was ist ein Haus überhaupt? Das, als was es uns erscheint, oder das, was wir in ihm sehen wollen? Helbich gibt auf diese scheinbar banalen Fragen gleich zu Beginn ihres unkonventionellen Textes die Antwort, die sie selbst natürlich erst nach vielen Jahren kennt, wenn die Arbeiten abgeschlossen sind, wenn sie längst schon in diesem Haus wohnt.

Sie wollte, so schreibt sie, das Haus aus den „entfremdenden Verstellungen“ herausschälen, zu seiner, wie sie hofft, „reinen Gestalt, die ganz die seine ist“. Doch letztlich wird auch dieser Zustand nur ein flüchtiger, vorübergehender sein, denn das wiederhergestellte Haus ist zuletzt auch das Spiegelbild dessen, was die Bauherrin in ihm gesehen hat, und auch das nur auf gewisse Zeit. Das fertiggestellte Haus, wie es schließlich „da steht, ist ihr Haus gerade so, wie es aus seiner eigenen Macht lebt“.

Doch bis dahin ist es ein weiter Weg. Es pflastern ihn beispielsweise diverse Architekten und Bauunternehmer, weil als Germanistin, Verlagskauffrau und Publizistin hat man selbstverständlich null Ahnung, wie und wo man überhaupt beginnen soll.

Die zu Hilfe gerufenen Architekten entwerfen stets kühner werdende Wohntürme, Balkone und Verbindungsbrücken. Die Baufirmen legen unverständliche Anbote und demonstrieren auch ein wenig Überheblichkeit. Die Bauherrin kommt sich neben den Fachleuten meist dumm und unbeholfen vor. „Das gefällt ihr nicht.“ Ilse Helbich beschreibt diese totale Verlorenheit und Unsicherheit der Laiin vor den nicht selten arroganten Fach-Männern auf eine Art und Weise, wie sie jeder angehende Architekt, jede angehende Architektin nachlesen sollte.

Denn Bauen ist nicht zuletzt Übersetzungsarbeit zwischen den Disziplinen und Menschen - ein schwieriges Stück Arbeit für alle Beteiligten. Helbich beschließt nach langer Suche, mit ein paar ausgewählten Profis, die schließlich ihr Vertrauen gewonnen haben, die Angelegenheit selbst in die Hand zu nehmen. Die Pläne sind weniger die Architektenzeichnungen als zuallererst die alten Fotos vom Haus, die gefunden wurden.

Dann der Startschuss: Es fallen die Zwischenwände, die Fenster werden ausgebrochen, es kracht und staubt. Im vormals stillen Haus bricht laute Hektik los. Die Autorin beschreibt ihr einigermaßen hilfloses Umherirren zwischen all den Bau-Männern, schließlich ihren Entschluss, eigenhändig zumindest den Garten in Angriff zu nehmen, um ebenfalls Aktivität demonstrieren zu können. Sicherheitshalber im allerhintersten Winkel des Areals, weil da kann ihr keiner zuschauen:

„Dort stand sie mit den neuen Geräten hilflos in all dem Schlingenden und Stechenden, das ihr bis zu den Hüften reichte. (...) Sie fing irgendwo an, sie riss, geschützt durch schwere Handschuhe, alles aus, was ihr in den Weg kam, Haufen von bösartigem Grünzeug lagen bald hinter ihr; als sie sich umschaute, waren jedoch von ihrer Rodungsarbeit kaum Spuren zu sehen.“

Helbich muss einen sehr guten Polier gehabt haben, einen, der alte Häuser mag. Der legt in einem Nebengebäude ein „Böhmisches Platzl“ frei, freut sich daran, lässt die Maurer tagelang Ziegel bürsten und Fugen verschmieren. Hebt für diese für die Arbeiter zermürbende Zeit sogar das strikte Bier-Verbot auf der Baustelle auf.

Verborgene Schächte

Viele dieser Geschichten vom im wahrsten Sinne liebevollen Umgang mit zum Teil störrischer und erst zu erkundender alter Bausubstanz erzählt die Autorin. Sie tut es aus der Sicht eines völligen Nicht-Bau-Menschen, der sich aber hingebungsvoll in das Werk hineinspürt, nichts falsch machen will, viel recherchiert, viel selbst dabei lernt - und das macht einen Teil des Reizes dieses Buches aus.

Wenn etwa scheinbar sinnlose Löcher in Kellerwänden zugemauert werden, der Keller aber wenig später zu muffeln und zu feuchteln beginnt und die Erkenntnis reift, dass mit diesen Löchern ein kluges, von keinem erkanntes Luftschachtsystem verschlossen wurde, dann hat das Haus eben wieder eines seiner unzähligen Geheimnisse preisgegeben.

Andere bleiben rätselhaft, aber auch das ist Teil der Geschichte, dass man eben nicht immer alles wissen oder erklären kann.

Genau so zäh und zurückhaltend ist allerdings auch die Landbevölkerung. Die ist tatsächlich noch schwieriger zu erkunden als das Haus. Es dauert Jahre, bis der Stadtfrau von manchen Landmenschen gestattet wird, hinter die Fassade zu blicken. Trotz alledem bleibt sie eine Zugezogene, eine Fremde. Auch als die große Überschwemmung das Dorf heimsucht, ihres sowie die Häuser der Nachbarn überschwemmt, und sie tatsächlich mehr Hilfe empfängt, als sie geben kann. Sie ist gern gemocht hier, aber sie wird nie ganz dazugehören.

Ilse Helbich ist heute 86 Jahre alt, sie lebt nach wie vor in diesem schönen, eigenwilligen Haus, das ihr gehört und von dem sie weiß, dass es „ein Haus von eigenen Gnaden“ ist: „Was sie wohl anderswo nicht ausleben konnte, hat sie ins Haus gegeben, und den Garten zu einem Stück ihrer selbst gemacht.“

5. Dezember 2009 Der Standard

Pilotprojekt in Pink

Die scheinbar harmlose kleine Sanierung einer Bipa-Filiale in der Wiener Kärntner Straße könnte mächtig Vorbildwirkung haben. Denn hier wurde nicht „thermisch saniert“, sondern gesamtheitlich energieeffizient optimiert.

Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile, sagte Aristoteles. Daran ist bis heute nicht zu rütteln, und auch in Zeiten des Klimawandels ist es gescheit, die alte Weisheit zur Anwendung zu bringen.

Ein prächtiges Beispiel dafür ist die Sanierung von Gebäuden: Soll sie Sinn machen, geht es um die präzise Gesamtkomposition der Einzelmaßnahmen - und die ist erheblich komplizierter, als sich das Häuptlinge der Politik ausmalen.

Die tragen dieser Tage das Wort „Gebäudesanierung“ wie Wohltäter im Mund. Einerseits um zu demonstrieren, wie sehr ihnen die Klimapolitik der Nation am verantwortungsvollen Herzen liegt. Andererseits aber um die Reihen der nervös werdenden Bauindustrie rasch mit versprochenen Konjunkturpaketen zu befrieden.

Doch Geld und Dämmstoffe allein können die Welt nicht retten. Konzepte müssen her - und hier ist die Unternehmerschaft zum Teil bereits einen mächtigen Schritt weiter als die auf Heizwärmebedarf und andere Schlagworte, vor allem aber auf die hurtige Beauftragung der Bauindustrie fixierten politischen Staatsbaumeister.

Nur ein Beispiel dafür ist die eben abgeschlossene Sanierung einer Bipa-Filiale in der Wiener Kärntner Straße. Ein scheinbar kleines Projekt, doch es trägt alle Ingredienzien in sich, um zum Kristallisationspunkt für Folgeprojekte vieler weiterer Shops zu werden. Nicht nur jener von Bipa, sondern auch von solchen der Konkurrenz. Denn die schläft bekanntlich nie.

In der Filiale Kärntner Straße der Rewe-Tochter ging es nicht nur um das bestmögliche Verpacken eines Geschäfts, um den Heizwärmebedarf zu senken. Man bemühte sich vielmehr um die Perfektion der Gesamtenergieeffizienz. Und genau das muss das Ziel aller Maßnahmen sein, auch der politischen Zielvorgaben, die in diesem Bereich besser heute als morgen gesetzt werden. Die EU peilt das zwar an, doch die Umsetzung ist nicht in Sicht.

Nochmals das Zauberwort: Gesamtenergieeffizienz. Sie errechnet sich, vereinfacht gesagt, nicht nur aus der erforderlichen Heizwärme, sondern inkludiert auch jeglichen weiteren Energiebedarf im System Gebäude wie zum Beispiel Strom.

Im konkreten Fall ging der Sanierung denn auch eine gründliche Analyse der Ist-Situation voraus, und es wurde offenbar, dass nicht das Heizen, sondern der Stromverbrauch, insbesondere die Kühllasten, eigentliches Thema war. Ineffiziente Beleuchtung beispielsweise frisst nicht nur viel Strom, sie produziert auch Wärme. Werden alte Leuchten gegen neue mit weit höherem Wirkungsgrad getauscht, reduziert das zugleich die in den Sommermonaten anfallenden Kühllasten, über die - noch - viel zu wenig geredet wird.

Dazu kamen die thermische Sanierung, der Einbau eines Wärmetauschers, ein intelligentes Be- und Entlüftungssystem und noch allerlei Detailoptimierungsmaßnahmen, die, perfekt von Konsulenten wie den Bauphysikern Schöberl & Pöll aufeinander abgestimmt, in Summe ein System ergeben, das den Heizwärmebedarf um 85 Prozent, den Stromverbrauch um rund 37 Prozent senkt und die Energieausweis-Effizienzklasse auf A+ hebt. Rewe-Vorstand Werner Wutscher, dessen Reich neben Bipa auch Billa, Penny und Merkur mit insgesamt 2577 Filialen in Österreich umfasst: „Nachhaltigkeit ist in der strategischen Planung des Unternehmens ein elementarer Grundsatz, doch jedes Projekt wird sauber berechnet, denn es muss auch die ökonomische Komponente erfüllen, wir haben schließlich nichts zu verschenken.“

Einer der Hintergründe ist also nicht allein der Klimaschutz, sondern auch das Energie- und damit Geldsparen bei rasch steigenden Energiepreisen. Deren hurtige Aufwärtsentwicklung verkürzt die Amortisationszeit naturgemäß.

Diese ist im Falle des Bipa-Pilotprojekts allerdings nicht zuletzt deshalb erträglich, weil rund ein Drittel der umweltrelevanten Investitionskosten (195.479 Euro) vom Klima- und Energiefonds als Mustersanierung gefördert wurde, was zu einem weiteren Zauberwort überleitet:

Musterprojekte unterschiedlicher Provenienz müssen her, und sie müssen dringend seriös über längere Zeiträume hinweg analysiert und evaluiert werden. Denn die zur Verfügung stehenden Technologien können, nur in Summe angewandt, ehrlich analysiert werden, sollen sie im Zusammenspiel langfristig die rechten Resultate liefern. Jede Kinderspielzeugzulassung in der EU erfolgt nach strengeren Kriterien als die derzeitige massive Umrüstung unserer gebauten Um- und Lebenswelt.

Rewe, die bis dato rund 200 ihrer Österreich-Filialen einer Optimierung unterzogen hat, will genau diese präzise Analyse. Und um die Angelegenheit in Schwung und in der Folge dank breitgestreuter Erfahrungswerte auch die Sanierungskosten und damit die Amortisationszeiten zu senken, bedarf es eben gezielter und nicht gießkannenmäßig verplätscherter Förderungen.

Klimafonds-Geschäftsführer Ingmar Höbarth nimmt darauf Bezug: „Der hohe Mulitplikatorfaktor war ein wichtiges Auswahlkriterium für die Förderung dieses Projekts, denn durch Best-Practice-Beispiele wie dieses können weitere Sanierungstätigkeiten dieser Art wesentlich vorangetrieben werden.“ Österreich verfügt über eine hervorragend aufgestellte - private -Industrie und Konsulentenschaft, die sich auch ohne politische Beförderung in den vergangenen 25 Jahren in Sachen Gebäudeoptimierung in das internationale Spitzenfeld katapultiert hat. Dazu kommen Forschungsprogramme wie das Haus der Zukunft, das seit nunmehr zehn Jahren Pionierarbeit auf diesem Gebiet leistet.

Die Politik, die für letztgenanntes Programm nicht zuletzt die Weichen gestellt hat, wäre schlecht beraten, würde sie nun, von der „Krise“ aufgeschreckt, im Eiltempo durchziehen wollen, was tatsächlich noch ein wenig Experimentier- und Nachdenkzeit erfordert, um perfekt und breit wirksam zur Anwendung zu kommen.

Apropos breite Wirksamkeit: Auch hier wird in manch Politikeraussage der Apfel mit der Birne verglichen. Man suggeriert gerne, der Gebäudesektor wäre der große Klimaschänder, weshalb jetzt sofort oder besser noch vorgestern saniert werden müsse. Das stimmt so nicht. Der Anteil von Raumwärme an den nationalen Treibhausgasemissionen (THG) beträgt laut Klimaschutzbericht 2009 des Umweltbundesamtes „nur“ 12,6 Prozent und ist als einziger Sektor rückläufig (minus 23,1 Prozent seit 1990). Nimmt man hingegen den Endenergieverbrauch her, bewegt sich der Gebäudesektor bei bedenklichen 32,6 Prozent (Stand 2004 laut Energieagentur, inklusive Raumheizung, Klimaanlagen, Beleuchtung, EDV).

Und wenn schon Klartext geredet wird, wäre es beispielsweise auch herzerwärmend, würde die Politik mit ähnlichem Energieaufwand den übelsten aller Klimaschänder bekämpfen wollen, nämlich den Verkehr. THG-Anteil: 27,6 Prozent, Tendenz heftigst steigend.

Allein die THG-Emissionen des Schwerverkehrs stiegen von 1990 bis 2007 um sagenhafte 180 Prozent. Die Gebäudesanierung allein, so wichtig und begrüßenswert sie ist, wird uns also nicht retten.

Handlungsbedarf lautet das Zauberwort in diesem Fall. Aber wer will das schon angesichts einer maroden, tatsächlich vom Betriebsrat regierten Bundesbahn und mit einer mächtigen Frächterlobby im Genick aussprechen. Die Politik jedenfalls nicht.

31. Oktober 2009 Der Standard

Ihr seid nicht allein

Wenn selbst die Industrie Architektur und Städtebau als Schlüssel zu einer ökologisch sinnvolleren Zukunft erkennt, beginnen sich die Kreise endlich zu schließen. Eine Analyse

Vergangenen Montag lud der deutsche Elektronikriese Siemens gemeinsam mit der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften in Berlin zum „Future Dialogue“. Die Fragestellung: „Wie können Wissenschaft, Wirtschaft und Politik enger kooperieren und gemeinsam die entscheidenden Herausforderungen des 21. Jahrhunderts bewältigen?“

Bemerkenswert waren nicht nur ein paar hochkarätige Referenten, sondern vor allem der Umstand, dass den Bereichen Städtebau und Architektur ein vorderster Rang eingeräumt wurde. Das ist die viel gedemütigte und von Politik und Kommerz gleichermaßen gegängelte Szene der Planerinnen und Planer wahrlich nicht gewohnt. Doch jetzt ist die Zeit offenbar reif, das spiegelglatte Parkett von Wirtschaft und Politik, von Geld und Macht zu betreten und sich aktiv einzumischen in den lebenswichtigen Diskurs darüber, wie es mit diesem prachtvollen Planeten weitergehen soll.

Die Architektur hat wie kaum eine andere Disziplin das Zeug dazu. Architekten, allerdings nur exzellent ausgebildete, denken nie in Häusern, sondern in Systemen. Sie werden darauf gedrillt, für komplexeste Anforderungen schlüssige Lösungen zu entwerfen, in deren Zentrum immer der Mensch, der Nutzer und seine Bedürfnisse zu stehen haben. Diese nur durch beste Schulung und lange Übung perfektionierte Gabe, systemisch zu denken und die unterschiedlichsten Faktoren zu einem ökonomisch wie ökologisch sinnvollen Ganzen zusammenzuspannen, ist das eigentliche Kapital der Architektur. Denn das kann, in dieser Ausprägung, sonst kaum jemand.

Die Architekturszene selbst hat es jedoch in den vergangenen Jahren größtenteils nicht vermocht, das zu vermitteln. Architekturkongresse sonder Zahl befassten sich zwar exakt mit den relevanten Problemen unserer Zeit, kochten jedoch trübselig im eigenen Saft, während auf den großen Immobilienmessen glanzvoll mit Milliardenprojekten jongliert wurde, die mit Architektur gewöhnlich etwa so viel zu tun haben wie Meinl European Land mit Anlegerinteressen.

Aus diesem Grund ist die Bemühung des Berliner Zukunftsdialogs, endlich Wirtschaft, Forschung, Politik und Architektur auf höchstem Niveau zusammenzuspannen, gar nicht hoch genug zu rühmen.

San Francisco zeigt den Weg

Eine überzeugende Performance lieferte etwa Paul Pelosi als Präsident der Umweltkommission von San Francisco. Die Bekämpfung des Klimawandels beginne in den Städten, meinte er eindringlich. Vor etwa 15 Jahren habe man in seiner Stadt damit begonnen, alles unter diesem Gesichtspunkt zu betrachten, vom kommunalen Einkauf bis hin zu Architektur und Städtebau. Heute ist San Francisco nachweislich eine der „grünsten“ Städte der USA. Die Treibhausgasemissionen liegen knapp 20 Prozent unter den Werten der 90er-Jahre. Die Kioto-Vorschriften wurden nicht nur erreicht, sondern unterschritten. Wie geht das?

Ein Beispiel: Wenn früher große Bauvorhaben ausgeschrieben wurden, so Pelosi, hätte der Billigstbieter gewonnen. Heute würde man gründlicher, weil langfristig, nachrechnen. Sparen Gebäude Energie, macht es nichts, wenn die Herstellungskosten ein wenig höher liegen. Denn, so Pelosi, damit sänken die Betriebskosten, die Investoren würden langfristig mehr sparen, als sie zusätzlich investiert haben: „Und das ist es, womit du deine Anleger glücklich machst.“

So etwas ist lediglich eine Facette in einem großen System und funktioniert nicht über nationale Dekrete. Ansätze wie dieser gehen von den Städten selbst aus. Setty Pendakur, Stadtplaner und Experte für Urbanisierungsthemen in Entwicklungsländern, verlieh dem Nachdruck: „Überall wo Regierungen involviert sind, dauert alles Jahre.“ Außerdem könne keine Stadt mit der anderen direkt verglichen werden. Jede Stadt, jede Region muss ihre eigenen Probleme analysieren und eliminieren.

San Francisco beispielsweise hat zwar das öffentliche Verkehrssystem massiv verbessert, leidet jedoch immer noch unter zu hohem Individualverkehr. Die Leute arbeiten im Zentrum, wohnen in den Außenbezirken. „Angesichts des Pendlerproblems haben wir den Unternehmen die Frage gestellt, wie oft die Leute tatsächlich ins Büro kommen müssen oder ob nicht Fahrten gespart werden können dank Internet und Videokonferenzen.“ Das Prinzip lautet: Wer verursacht, muss dafür zahlen. Pelosi: „Wir richten die Gesetzeslage strikt danach aus.“

Das mag zwar die einen schmerzen, freut aber die vielen anderen. Denn abseits aller politischen Querelen und im ewig selben Kreise bleibender Pirouetten der Regierenden formiert sich sehr wohl langsam, aber sicher eine große und starke Zivilgesellschaft, die letztlich die Nase voll hat von nie eingelösten Versprechen, und die aktiv daran mitzuarbeiten beginnt, Städte nach den Bedürfnissen der Bevölkerung umzupolen.

Nackter ziviler Protest

Wenn beispielsweise rund um den Globus zigtausende Menschen jedes Alters aus der Wäsche schlüpfen und den nackten Protest auf die Fahrräder schwingen, dann mag das nur eines von vielen kleinen, aber deutlichen Signalen für die herrschenden Kasten sein, dass es irgendwann reicht, dass Systeme verändert werden sollen - und nicht Individualbefindlichkeiten.

Unternehmen wie Siemens tun ihrerseits gut daran, in genau diesen Drive zu investieren. Sie tun das freilich nicht nur aus Nächstenliebe. „Die Green Technology ist die Zukunftshoffnung für Siemens“, gab sich Vorstandsvorsitzender Peter Löscher überzeugt. Große Chancen lägen in den jetzt gerade aufstrebenden Märkten, aber gerade auch in der Befriedigung der Bedürfnisse des einzelnen Konsumenten.

Beispiel: Wenn jeder Haushalt dank moderner Technologie jederzeit ablesen kann, wie viel Energie er gerade verbrät, werden sich Bewusstseinszustände und damit Gewohnheiten verändern. San Francisco hat derlei Tools bereits im Einsatz. Bei hohem Stromverbrauch leuchtet zu Hause das Warnlicht auf.

Ob die Zukunft tatsächlich im Umpolen erdölgetriebener Individualmobilität hin zum Elektroauto liegt, ob Sonnenstrom aus Afrika wirklich die optimale Lösung für Europas Energieprobleme darstellt, muss dabei allerdings diskutiert werden. Fest steht jedoch, dass nur ein vernetztes, gekoppeltes Know-how diese Welt in der uns bekannten Form wird retten können. Die Architektur, vor allem die Art und Weise, wie Städte gebaut, optimiert, verändert werden können, ist hier eine Schlüsseldisziplin. Mehr als die Hälfte der Menschheit wohnt in der Stadt. Wie gehen wir mit Mobilität um? Wie setzen wir die unglaublichen Möglichkeiten moderner Kommunikationstools ein? Wie gestalten wir, ressourcenschonend und langfristig gedacht, die Lebensräume für alle, ganz Alte wie ganz Junge?

Referenten wie der geschwätzige Daniel Libeskind haben dazu zwar nichts beizutragen, doch die Architekturszene besteht nicht nur aus Stararchitekten. Die besten der Branche abseits medialer Vexierspiegel zu finden und mit ihnen den Dialog zu führen wird Teil der Herausforderung sein.

Dennis Meadows, US-Ökonom und vielzitierter Autor der 1972 veröffentlichten Studie „Die Grenzen des Wachstums“, warnte vor jeglichem nicht gründlich Geplantem: „Alles was kurzfristig gedacht ist, geht erwiesenermaßen langfristig schrecklich schief.“ Auf dem Weg in eine ökologischere Zukunft würden sicher auch Fehler gemacht: „Doch gerade deshalb ist es wichtig, dass wir künftig in einer Gesellschaft leben, die Fehler akzeptiert und daraus lernt. Dafür müssen wir unsere Regierungen fit machen.“ Alle Bemühungen, die Treibhausgasemissionen in den Griff zu bekommen, allein auf Technik zu reduzieren, seien jedenfalls zum Scheitern verurteilt.

Was langfristig verändert werden muss, sind die großen Systeme, die Städte, unsere Lebensweisen und Gewohnheiten. Die Architektur mit ihren besten Denkern ist ein elementarer Teil des Teams. Wenn die Industrie das erkannt hat, wenn die Politik vernünftig mitzieht, sind wir bereits wieder einen Schritt weiter.

10. Oktober 2009 Der Standard

Paradigmenwechsel: Jetzt

Der in Berlin tätige Architekt Wilfried Wang plädiert für eine völlige Veränderung im Selbstverständnis des Berufsstandes, diese soll helfen, die Herausforderungen der Ökologie zu meistern.

Eine Menge Arbeit stehe Architektinnen und Architekten bevor, sagt Wilfried Wang. Doch wird die in Zukunft „heterogener, vielfältiger und alles andere als mit einfachen geometrischen Formornamenten zu bewerkstelligen sein.“

Zwar herrsche nicht nur in Alltagspolitik, sondern auch in Fachkreisen der Bauwirtschaft der Glaube vor, intelligente Technologie allein könne den westlichen Lebensstandard erhalten. Doch tatsächlich bedürfe es eines radikaleren und weitreichenderen Paradigmenwechsels, sagt Wang, der am Montag in Wien auf Einladung der Ögfa einen Vortrag dazu halten wird.

Standard: Wie soll dieser Paradigmenwechsel aber ausschauen?

Wang: Das Bild, das wir Architekten uns selbst geben, das neu gebaute Architekturwunderzeichen auf der grünen Wiese, das wird in Zukunft immer weniger der Realität entsprechen. Eine einfache Betrachtung dazu: Auch wenn wir pro Jahr bis zu ein Prozent der gesamten Bausubstanz durch Neubauten ersetzen, sind wir erst in 100 Jahren so weit, dass die Gesamtsubstanz höhere technische Standards aufweist. Wir müssen uns vielmehr verstärkt dem Bestand widmen, anstatt abzureißen und neu zu bauen.

Standard: Das bedeutet thermische Sanierung und Umrüstung hin zu Passiv- oder zumindest Niedrigenergiestandards. Ist das zum einen machbar, zum anderen tatsächlich das einzig Zielführende? Derzeit ist nachgerade ein politischer Hype in diese Richtung ausgebrochen.

Wang: Man könnte folgenden Lackmustest anwenden und sagen: Gut, liebe Politiker, ihr sagt uns, die Welt sei durch Technik zu retten. Dann machen wir doch die Probe aufs Exempel. Rüsten wir zudem alle Bauten, die darüber verfügen könnten, mit geothermischen Anlagen, Fotovoltaik und Solarthermie aus, sodass sie bis zu 50 Prozent des Eigenbedarfs abdecken könnten. Wie aber reagieren die Energieversorgungsunternehmen darauf, wenn sich die Republik auf den Weg macht, deren Bedarf um die Hälfte zu kürzen?

Standard: Man darf davon ausgehen, dass ihnen das nicht gefällt. Doch abgesehen davon: Derzeit hat man den Eindruck, die EU-Politik schere die gesamte Bausubstanz sicherheitshalber über einen Kamm. Die Forderung, alle öffentlichen Gebäude, egal welcher Bauzeit, auf Passivstandard zu bringen, mag nur ein Indiz dafür sein.

Wang: Unterschiedliche Bautypen aus verschiedensten Jahrhunderten und Jahrzehnten stellen unterschiedlichste Fragen, also muss man auch sehr differenziert an sie herangehen. Es ist nicht jede Maßnahme überall bauphysiologisch sinnvoll, das haben Leute, die behutsam mit denkmalgeschützten Bauten umgehen, klar aufgezeigt. Dumme technische Vorschriften sind leider dazu geeignet, baukulturelle Unterschiede glattzubügeln. Bürokraten haben für solche Fragen kein Gespür.

Standard: Während hinter vorgehaltener Hand sehr viel Kritik an den Dekreten geübt wird, bleibt ein öffentlicher Aufschrei der Architektur allerdings aus.

Wang: Die Architektenschaft war immer schon sehr schwach in Lobbyarbeit. Viele glauben an den Passivstandard, und dagegen spricht ja auch nichts. Andererseits hat sich die Architektenschaft in vielen wichtigen Belangen wie Schlachtvieh verhalten, etwa zum Thema Architekturwettbewerb. Dank der EU-Servicedirektive gibt es den im europäischen Raum so gut wie nicht mehr. Die Architektenschaft reiht sich im Dienstleistungsbereich gleichrangig ein mit Schlossern, Installateuren und anderen Betrieben, während sich Hochschullehrer, Anwälte oder Ärzte rausgenommen haben. Das heißt, wenn es um kulturelle Werte geht, lassen wir Architekten uns behandeln wie Malermeister. Da ist an unsere Kammern und Vertreter schon die Frage zu stellen: Warum habt ihr das zugelassen?

Standard: Architektur im besten Sinne, also Baukultur abseits von Ikonen und Pfauenfedern, war erstaunlicherweise niemals Thema der EU-Gremien. Es stimmt verdächtig, wenn eben diese Gremien nun europaweit suggerieren, man könne die Welt mit Architektur retten, während etwa die österreichische Bahn derzeit den Güterverkehr von der Schiene auf die Straße verlegen will. Darf man da nicht getrost von krasser Unverhältnismäßigkeit sprechen?

Wang: Wenn wir Architekten uns jetzt zum Instrument dieser Nachhaltigkeitstechnik machen, werden wir wieder versagen. Der Funktionalismus hat gezeigt, dass die Lösung über die technische Schiene nicht der einzige zielführende Weg ist. Wir haben in der Vergangenheit als Architektenschaft der Standardisierung, der Industrialisierung und Normierung das Wort geredet. Was ist aber dabei herausgekommen? Es sind die schrecklichsten Wohnbauten aller Zeiten in den ödesten Verhältnissen entstanden. Wenn man jetzt 90 Jahre Bauhaus feiert und nicht auf diese Probleme hinweist, dokumentiert das einen großen Fehler im Bewusstsein der Architekten. Ich kritisiere diesen Mangel an Diskurs, denn affirmatives Gerede bringt nichts mehr. Man muss immer wieder darauf hinweisen, dass die Probleme weit größer sind und eben nicht nur mit optimierten Heizgeräten und Dämmstoffen bewerkstelligt werden können. So einfach ist das leider nicht, doch die komplizierteren Umstände sind immer die unbequemeren.

Standard: Welche Rolle kann aber die Architektur tatsächlich spielen?

Wang: Wenn die Architektenschaft Nachhaltigkeit grundsätzlich befürwortet und den Klimawandel einschränken will, bedeutet das, dass wir uns künftig viel mehr um den Bestand kümmern müssen als um den Neubau. Tatsächlich gibt es in den meisten Ländern ohne Bevölkerungswachstum keinen Bedarf an Neubauten. Von Demografen wird für Deutschland ein Bevölkerungsrückgang bis 2050 von 82 auf 72 Millionen Menschen vorausgesagt. Zwar gibt es allerorten eine Steigerung des Wohnraums pro Kopf, in der Nachkriegszeit lag er bei 18 Quadratmetern, derzeit halten wir bei knapp 40. Das bedeutet jedoch gleichzeitig, dass die Bevölkerungsdichte bei derselben Bebauungsdichte um mehr als 50 Prozent fällt. Das hat enorme Auswirkungen auf Einzelhandel, Nahrungsmittelversorgung, Industrialisierung. Die Baukultur kann davon nicht unabhängig betrachtet werden.

Standard: Wie lautet Ihr Credo hinsichtlich der Baukultur dazu?

Wang: Mein Plädoyer lautet: Wir müssen unsere Gewohnheiten ändern, nicht die Technik. Die kann helfen, aber zuallererst müssen wir unsere lange eingespielten Wertevorstellungen ändern, und zwar auch diejenigen, die wir Architekten als Berufsstand mit uns tragen und zudem immer noch medial verbreiten lassen. Der Traum vom Häuschen im Grünen mit den zwei Autos, mit denen die Kinder in die Schule gefahren werden, wo man mit dem großen Wagen einkaufen fährt, ist uns als kultureller Fuß- abdruck eingeimpft worden. Wem kann man das auch verwehren?

Standard: Nimmt die Ausbildung auf derlei Fragestellungen hinreichend Bedacht?

Wang: An den Hochschulen sind Werkvorträge von interessanten Architektinnen und Architekten zu hören, es wird Architekturgeschichte unterrichtet - doch es ist eine Architekturgeschichte der Neubauten. Was mit Gebäuden tatsächlich über die Jahrhunderte passiert, wird in den wenigsten Vorträgen thematisiert. Wir brauchen aber eine realistischere, ganzheitlichere Betrachtung des Umgangs mit Bausubstanz, denn wir werden es künftig mehrheitlich mit Umbauten und Renovierungen zu tun haben, nicht mit Neubauten. Das fehlt komplett an den Hochschulen. Sanieren und Umbauen ist eben nicht so attraktiv wie der Neubau.

Standard: Welchen Rat würden Sie jungen Architektinnen und Architekten mit auf den Weg geben?

Wang: Ich würde ihnen sagen, setzt euch mit Dingen auseinander, die vor Ort bereits seit längerem existieren. Schaut euch beispielsweise die Materialien und Details an, die sich am besten bewährt haben und die nicht aus großen Distanzen herbeigekarrt werden müssen. Schaut euch an, was etwa an Bauteilen vorhanden ist und was man gegebenenfalls wiederverwerten kann. Es gibt sehr wohl Leute, die sich überlegen, wie Baukultur angelehnt an lokale Traditionen und Materialien entstehen kann. Doch das wird selten angewandt und wird stets ein wenig anrüchig mit Heimatstil und ähnlichem verwechselt. Intelligente Ausrichtung von Bauten in klimatischer und topografischer Hinsicht gibt es jedoch bereits seit Jahrtausenden. Hätte man sich darauf besonnen, sähe die Welt anders aus.

Standard: Eine elementare Rolle bei der Treibhausgasreduktion kann erwiesenermaßen ein intelligenter Städtebau spielen. Welche Entwicklungsmöglichkeiten sehen Sie dort?

Wang: Der Städtebau ist eine schwierige Frage, weil Veränderungen nachträglich nur zäh durchzuführen sind. Doch auch hier kommt man zu Lösungen. Wir arbeiten etwa gerade in Texas daran, wie der öffentliche Nahverkehr dichter ausgebaut werden könnte, und das geschieht immerhin in einer Gegend, in der in der Vergangenheit ein eher anderes Leitbild geherrscht hat. Doch auch dort hat man erkannt, dass das System Auto so nicht aufrechtzuerhalten ist.

Standard: Ein Fazit?

Wang: Wir können nicht so tun, als hätten wir immer wieder die Chance abzureißen und neu zu bauen. Das Weg kann also nicht über Neubauten führen. Nicht die Lösung des Einzelprojektes ist das Thema, sondern die anderen 99,5 Prozent.

[ Wilfried Wang führt mit Barbara Hoidn ein Architekturbüro in Berlin und ist an der University of Texas at Austin Professor für Architektur. Der Vortrag „Paradigmenwechsel“ findet am 12. 10. um 19.00 Uhr im Project Space - Kunsthalle Wien statt. ]

19. September 2009 Der Standard

Verpackt für alle Ewigkeit

Zu Tode gefürchtet ist auch gestorben, heißt es. In exakt diese Richtung drängt auch die Panikmache, alte Häuser mit thermischen Sanierungen umzubringen. Ein Beispiel von Ute Woltron.

Wir leben in unsicheren Zeiten, und alle fürchten sich. Die einen davor, den Job zu verlieren; die anderen vor dem Moment, in dem sie zugeben müssen, dass sie die Steuern trotzdem erhöhen werden. Alle fürchten sich vor der Klimaveränderung, und die meisten vor dem Ausbleiben der wundervollen Erdgaslieferungen aus dem Osten.

Auch die Bewohnerinnen und Bewohner der Wohnhaussiedlung in der Wiener Peter-Jordan-Straße 145-149 beobachten das große und das kleine Weltgeschehen mit aufmerksamem Interesse. Vielleicht beobachten sie es sogar noch ein wenig bedachtsamer als manch andere, denn viele von ihnen sind emeritierte oder noch aktive Universitätsprofessoren, und die sind normalerweise auf Zack. Einige leben bereits seit 35 Jahren hier - in einer ruhigen, durchgrünten Wohnanlage in Boku-Nähe, gebaut in den Jahren 1970 bis 1973 für Universitätsangestellte.

Derzeit fürchten sich diese guten Leute allerdings vor ganz anderem: Ihre aus vier gestaffelten Zeilen bestehende Behausung soll demnächst thermisch saniert werden. So will das der krisengeschüttelte Zeitgeist, so will es die Buwog. Sie besitzt nunmehr 51 Prozent der Wohneinheiten. Ihr gegenüber steht eine Phalanx von Hausbewohnern, die nicht sanieren will, und das aus gutem Grund. Sie haben ihre Wohnungen über die Jahre abbezahlt und gekauft. Die Wohnqualität ist gut. Hier will man bleiben. Hier will man alt werden. Und solche Gefühle hegt man nicht, wenn man in schludrig gemachten Wohnställen zu Hause ist.

Die vier Häuser, die vom ehemaligen Wohnbauprofessor der TU-Wien, Reinhard Gieselmann stammen, sollen also eingepackt und mit dicken Schichten expandiertem Polystyrolhartschaumstoff und mit neuen Fenstern dicht gemacht werden. Das, so wurde vom gebäudeverwaltenden Unternehmen Rustler verkündet, würde den Heizwärmebedarf um bis zu 70 Prozent reduzieren und damit einen wesentlichen Beitrag zur CO2-Reduktion leisten. Das hört sich fürs Erste ja gar nicht schlecht an.

Doch Stichwort Beitrag und Leistung: Die Beiträge, welche die Wohnungsbesitzer ihrerseits zur geplanten Sanierung leisten sollen, belaufen sich pro Wohnungseigentümer im Schnitt auf rund 70.000 Euro - trotz der derzeit hohen Förderungen für thermische Wohnhaussanierungen: Geschenktes Förderungsgeld, das nicht abholen zu dürfen gegebenenfalls wiederum die Buwog sowie ihr Gebäudeverwalter schmerzlich befürchten. Damit auch auf dieser Seite ein bisschen Angst herrsche.

Wenn aber Professoren der Wirtschaftsuniversität derart viel Geld für eine Wohnung zusätzlich lockermachen sollen, die sie bereits gekauft haben, wollen sie für gewöhnlich doch recht genau wissen, ob dem Return on Investment eine gewisse Garantie zugrunde liegt. Wenn sie dann mit bauphysikalisch kundigen Professoren der Technischen Universität dieselbe Interessenlage teilen, beginnen alle sogleich ihr Expertenwissen hervorzukramen und ausgesprochen penible Berechnungen anzustellen.

Sicherheitshalber ein paar Mal und von diversen Gutachten unterfüttert, denn das Resultat der privaten Forschungsarbeit brachte folgendes Ergebnis zutage: Bei der Annahme des siebenjährigen Mittels an erforderlichem Heizaufwand, abzüglich Warmwasseraufbereitung und bei Annahme des bis dato scheußlichsten Höchstölpreises ergaben sich, je nach den vorgeschlagenen Sanierungsvarianten, Amortisationszeiten von 100 beziehungsweise 120 Jahren. Die Lebensdauer einer mit EPC-Platten sanierten Fassade wird in der Fachwelt übrigens mit rund 25 Jahren angesetzt. Die ganze Angelegenheit scheint also eine Fehlinvestition, um nicht zu sagen ausgemachter Blödsinn zu sein.

Diesen Wissensstand brachten Wohnungseigentümer sowie Mieter in einer Versammlung der Gebäudeverwaltung freundlich zur Kenntnis. Man bekam ungnädig zur Antwort: Was wirtschaftlich sei und was nicht, das bestimme sie.

Möglicherweise befinden wir uns exakt hier an einem springenden Punkt: Wer „bestimmt“ tatsächlich, was „wirtschaftlich“ ist? Wer, was Sinn macht, im Dienste des Klima- und Umweltschutzes? Häuser einpacken und Heizenergie sparen klingt so herrlich simpel, dass die EU bis 2018 das Null-Energie-Haus gleich zum Standard erklären will. Derlei diktatorischer Schwachsinn kann tatsächlich nur den dumpfen Sitzungskammern der Politik entquellen.

Kein vernünftiger Mensch hat freilich das Geringste gegen optimale Dämmungen und Wärmebedarfsreduktion einzuwenden. Doch wäre es fein, würde die Kirche im Dorf gelassen. Denn Dämmungen und Haustechnik, wie sie derzeit allerorten so eifrig verordnet werden, machen im Hintergrund gerade im großformatigeren Wohnbau exorbitant viele Scherereien. Über den Schimmelbefall in superdichten Innenräumen redet man eben nicht gern, genauso wenig wie über Keime, die nicht penibel gewartete Lüftungssysteme in die Raumluft ventilieren. Schon gar nicht redet man über Wartungskosten und die bei superdichten Häusern anfallenden Kühllasten an sonnigen Tagen.

Was sie hier machten, sagten unlängst gleich drei für ihre Passivhausarchitekturen nicht unbekannte Architekten händeringend zum Standard, sei der dekretierte Schwachsinn. Laut sagt man das aber lieber nicht. Sonst ist man ja gleich ein Öko-Schwein, außerdem gehen dann die Aufträge flöten.

Wer bestimmt also, was „wirtschaftlich“ ist? Sind es tatsächlich kühle Berechnungen, die alle ökologischen Rucksäcke, Primärenergieinhalte und Lebenszykluskosten und auch alle bauphysikalischen Folgewirkungen des Einpackens beinhalten? Oder ist es eine prachtvoll gut organisierte Industrie, die allerhöchstes Interesse daran hat, die gebaute Welt unter Zuhilfenahme öffentlicher Förderungsgelder mit Erdölraffinerieprodukten wie Polystyrol und Co zu einem bewohnten Sondermülldepot für kommende Generationen zu machen. Wer wird denn das alles dereinst entsorgen?

Und wo ist die Anwaltschaft für eine exzellent gemachte Architektur wie die von Reinhard Gieselmann? Die Wohnanlage in der Peter-Jordan-Straße ist nur scheinbar schlicht. Sie hat fein-skulpturale Qualitäten, die sich über die Fassade, ihre Vorsprünge und sehr genau durchdachte Fensterauslassungen nach innen entwickeln. Da geht es um Zentimeter, um Details, um Verblechungen und auf den Millimeter genau eingepasste Loggientüren. Die innere Qualität des Hauses wurde vom Architekten bereits in der Fassade definiert. All das würde durch ihr geplantes Aufdoppeln völlig zunichtegemacht.

Für derlei Eingriff bedarf es keiner Baubewilligung. Es reicht das Förderansuchen, eine Bauanzeige, die Machtposition des 51-Prozent-Mehrheitseigentümers und die Sanierungsmassenhysterie. Mieter und Wohnungsbesitzer, die in überwältigender Mehrheit gegen die geplante Fassadenvernichtung Sturm laufen, überlegen nun, den zivilrechtlichen Weg einzuschlagen. Weil vor Angst gestorben auch tot ist. Gut möglich, dass dieses Projekt zum Präzedenzfall wird.

25. Juli 2009 Der Standard

Pfuschen auf höchstem Niveau

Es hat Gründe, warum Großprojekte regelmäßig schiefgehen: Sie wurzeln in einem weder Sachzwängen noch dem öffentlichen Interesse verpflichteten System. Versuch einer Analyse.

Österreich hat wieder ein paar Bauskandale. Doch wie es in diesem Land üblich ist, erfolgt die Debatte darüber zwar mit großem Getöse, bleibt aber tunlichst an den Fassaden kleben. Wer will schon bis unter die Fundamente graben?

Weder die Politik noch die Bauindustrie haben an einer kühlen Analyse, warum große Projekte wie der Skylink immer wieder im Kosten- und Vergabechaos münden, gesteigertes Interesse. Denn ein unseliges Gleichgewicht der Kräfte hält dieses im Kern kranke System statisch ausgewogen aufrecht.

Große Infrastrukturprojekte wie Flughäfen, Hauptbahnhöfe, Krankenhäuser zu entwickeln und umzusetzen ist ein ausgesprochen schwieriges Geschäft, das nur dann friktionsfrei funktioniert, wenn ein paar grundlegende Voraussetzungen gegeben sind. Es funktioniert dann jedenfalls nicht, wenn die Politik im Hintergrund Bauherr spielen will.

Denn die Politik versteht von diesem Geschäft nichts. Sie sollte die Finger davon lassen und sich auf ihr eigenes Kerngeschäft konzentrieren. Das besteht unter anderem darin, Ziele zu definieren und die besten Fachleute mit der Umsetzung zu beauftragen.

Doch genau an dieser Stelle, noch vor Baubeginn, zeigt sich in der Konstruktion der erste Riss. Wenn die Ziele nicht lauten, etwa die besten Spitäler, Flughäfen, Autobahnen oder Schulen zu bauen, sondern sich bereits in der Konzeptionsphase hauptsächlich damit beschäftigen, welche Unternehmen oder Grundstücksbereitsteller zum Zug kommen sollen, führt sich die Sache ad absurdum.

Dietmar Wiegand ist Professor für Projektentwicklung und Projektmanagement an der Technischen Universität Wien und als Deutscher nicht in dieses österreichische Gleichgewicht der Kräfte eingesponnen. Er sieht die Sache also unbefangen und ortet den Kern des Übels unter anderem im Trend, verstaatlichte oder halbverstaatlichte Unternehmen zu schaffen, diese aber gleichzeitig mit einem privatwirtschaftlichen Auftrag auszustatten.

„Das widerspricht allen volkswirtschaftlichen Theorien. Niemand wird behaupten, dass sich Staatsunternehmen genau dort einbringen sollen, wo der Markt ohnehin funktioniert.“ Das sei das Thema einer zentralen Debatte, die jetzt auch angesichts der Finanzkrise, der Ressourcenkrise und der Klimakrise auf höchstem Niveau geführt werden müsse, und zwar möglichst schnell. Und da reiche es nicht, so Wiegand, die Diskussion darauf zu beschränken, ob irgendwo Vorstände ausgewechselt werden sollten oder nicht.

Ein Beispiel: „Die Asfinag könnte den Auftrag haben, eine Autobahn zu bauen, natürlich so günstig wie möglich. Doch sie könnte den zusätzlichen Auftrag erhalten, ihren Beitrag zur Baukultur und zur Regionalentwicklung zu leisten.“ Es mache keinen Sinn, all diese Leistungen in Wirtschaftsförderunternehmen und Baukulturausschüssen zu zerfasern. „Wenn der Auftrag von Anfang an intelligent ist, wird die Sache wesentlich effizienter.“

Es könnte den Regierenden beispielsweise auch ein Anliegen sein, die schönsten, ökologischsten und auch neuesten pädagogischen Konzepten entsprechenden Schulen zu bauen. Vielleicht einmal ein herausragendes Case-Study-Projekt nicht nur zuzulassen, sondern auch mit der entsprechenden Begeisterung zu befördern. Doch Österreich ist ganz im Gegensatz dazu eine Nation, die eben beschlossen hat, die Mieten für ihre Schulgebäude zwei Jahre lang nicht zu bezahlen.

Nur wo der Wille dazu ist, findet sich auch der rechte Weg. Doch wo ist der Wille? Oder besser - in welche Richtung deutet der Wille, so er überhaupt erkennbar ist?

Wie undurchdacht und willkürlich hierzulande das elementare Thema Infrastruktur behandelt wird, zeigt prächtig das Beispiel ÖBB vor. Erstaunlicherweise ist etwa nirgendwo gesetzlich festgehalten, nach welchen Kriterien die Bundesbahn mit ihrem enormen - mittlerweile aber bereits ausgedünnten - Immobilienvermögen umzugehen hat. Während beispielsweise im BIG-Gesetz geschrieben steht, dass Immobilien nach öffentlich ausgeschriebenem Höchstbieterverfahren veräußert werden dürfen, kann die ÖBB walten wie es beliebt. Nicht zuletzt der Rechnungshof hat das wiederholt aufs Schärfste kritisiert.

Doch diese Botschaft blieb - aus welchen Gründen auch immer - ungehört. Bei bösartiger Interpretation könnte man argwöhnen, es ändere sich am System deshalb nichts, weil sich auf diese Weise Weichen stellen lassen oder bestimmte Gruppen profitieren. Bei freundlicher Interpretation darf man immer noch behaupten, dass die korrekte Bewirtschaftung des Staatsvermögens Politiker nicht interessiert - oder man es bedauerlicherweise nicht besser weiß.

Stichwort Unbelecktheit: Auch die Architekten- und Ingenieurszene hat streckenweise Nachholbedarf in Sachen Professionalisierung. Es gibt zu wenige ausgebildeter Projektentwickler und Projektmanager. Die TU-Wien versucht dem gemeinsam mit der Immobilienstiftung und über den erst vor zwei Jahren etablierten Lehrstuhl, den Wiegand innehat, einen neuen Impuls zu verpassen.

Wiegand: „Es braucht dringend eine Verbesserung der Ausbildung. Die Studierenden müssen eben auch mit der Tatsache konfrontiert werden, dass ein Grundstück einen Eigentümer hat, der ebenfalls bestimmte Interessen verfolgt, dass Bauen Geld kostet und Investoren aus Geld mehr Geld machen wollen, ob mir das gefällt oder nicht.“ Das hört die Ziviltechnik freilich äußerst ungern. Das sei zwar bedauerlich, kontert Wigand, aber: „Wenn ich mit dem Geld anderer arbeite, muss ich mich auch mit betriebswirtschaftlichen Fragestellungen beschäftigen und auch in diesem Bereich kreativ sein.“ Erst die superb ausgebildete Planer- und Konsulentenmannschaft ist des Bauherrn rechter Partner. Doch auch die bringt nichts weiter, wenn der vom Geschäft nichts versteht. Also wird die Architekten- und Ingenieurkammer ab Herbst mit der TU-Wien einen Kurs für Führungskräfte anbieten, wie komplexe Bauvorhaben zu managen sind.

Doch am Ende aller Tage liegt die Letztverantwortung immer beim Bauherrn selbst. Der sollte zuallererst genau wissen, was er eigentlich will. Erst dann sollte er über transparente Verfahren die besten Fachleute für sein Projekt ins Team holen und dafür Sorge tragen, dass das sogenannte technosoziale System innerhalb dieser Mannschaft funktionieren kann wie ein Uhrwerk. Eine alte Bau-Regel besagt: Jeder Handgriff kostet ein paar Tausender. Jeder falsche Handgriff das Doppelte. Fazit: Pfuscher haben weder auf Baustellen, noch auf Chefsesseln und schon gar nicht in politischen Schlüsselpositionen Platz.

17. Juli 2009 Der Standard

Julius Shulman 1910-2009

Zum Tod des einflussreichsten Architekturfotografen des vergangenen Jahrhunderts

Sein bekanntestes Foto zeigt ein fast zur Gänze aus Glas gebautes Haus von Pierre Koenig. Es scheint über dem schachbrettartigem Lichtermeer von Los Angeles zu schweben. Hinter einer gläsernen Wand sitzt ein weißgewandetes Fräulein artig exakt in der Bildmitte und nimmt einen Cocktail. Den Rahmen bildet die schwarze Nacht.

Der Kalifornier Julius Shulman war der wichtigste Fotograf dieser neuen Westküstenarchitektur, die ab den 1930er-Jahren unter anderem mit den Exilösterreichern Richard Neutra und Rudolf Schindler begann und die mit den sogenannten Case-Study-Häusern einen Höhepunkt fand. Der damals 22-jährige Hobbyfotograf hatte zum Spaß eines von Richard Neutras Häusern geknipst, weil es ihm gefiel. Diese außergewöhnlichen Bilder waren wiederum dem damals noch völlig unbekannten Architekten aufgefallen und begründeten eine langjährige Zusammenarbeit.

In der Folge wurde Shulman zum wichtigsten Fotografen für Leute wie Frank Lloyd Wright, Albert Frey und John Lautner. Seine Arbeiten sind unverkennbar: Traumwandlerisch sichere Spielereien mit Licht und Schatten, mit Geometrien, mit kleinen Akzenten wie passenden Kleidungsstücken der abgebildeten Bewohner. Shulman war ein Meister im Erkennen der Charakteristik einer Architektur, und die fing er mit seinen Arbeiten ein.

Anfangs arbeitete der später hochbezahlte und gefragte Architekturfotograf noch ohne Honorar. Er wollte damals, sagte er einmal zum Standard, „die Geschäftsbeziehungen zu den Architekten nicht mit störenden finanziellen Fragen belasten“ .

Die lange und sorgfältige Betrachtung eines Bauwerks, meinte er, sei das Wichtigste für ihn, schließlich wolle er mit seiner Arbeit jener der Architekten gerecht werden.

Der am 10. Oktober 1910 im New Yorker Stadtteil Brooklyn geborene Shulman starb nun im Alter von 98 Jahren in Los Angeles.

20. Juni 2009 Der Standard

Nachdenken. Ganz einfach.

Die Architekten Jabornegg & Pálffy sind eine Liga für sich. Ab nächster Woche führen sie das in einer Ausstellung im Münchner Architekturmuseum vor

Die Welt ist alles, was der Fall ist, und dieser Satz von Ludwig Wittgenstein lässt sich auch in der Welt der Architektur zur Anwendung bringen. Denn was ist Architektur?

Mittlerweile alles, was der Fall ist - zumindest möchte das eine große, von unendlich vielen Begehrlich- und Eitelkeiten gespeiste Marketing-, Medien- und PR-Maschinerie die geneigte Öffentlichkeit glauben lassen.

Sie hat in den vergangenen Jahren die Disziplin erfasst und begonnen, die Architektur gnadenlos nach ihrem Diktat vor sich herzutreiben. Selbst manch kunstvoll ausgepinselte Nasszelle - landläufig Klo genannt - ward in dieser Epoche des Marktschreierischen zum architektonischen Meisterwerk erklärt.

Die Selbst- und Fremdbespiegelung der Architektur zeigt dabei Rückbezüglichkeit: Die Architektur begann ihr eigenes Image im Dienste der Vermarktbarkeit in bunten Bildern mitzuplanen. Das Bild wurde wichtiger als das, was es abbildet. Ein Spiegel im Spiegel.

„Um zu erkennen, ob das Bild wahr oder falsch ist, müssen wir es mit der Wirklichkeit vergleichen“, sagt Wittgenstein, und im Falle der Architektur von Christian Jabornegg und András Pálffy fällt dieser Vergleich vergnüglich aus. Die Spaziergänge durch ihre Architekturen machen einmal mehr bewusst, dass Architektur vor allem die Kunst des Dreidimensionalen ist und keine Abbildung dem Raumempfinden auch nur irgendwie gerecht werden kann.

Wie sie den Raum erspüren, die Wege lenken, die Materialien einsetzen; wie bedächtig sie die Inhalte dieser Räume abwägen und zu den entsprechenden Formen finden, zeugt von einer großen Ruhe und jenem langen Atem, der Architektur von dem einfach Hingebauten so grundlegend unterscheidet.

Die beiden Wiener Architekten haben, ohne die breitere Öffentlichkeit davon ständig in Kenntnis zu setzen, in den vergangenen zwanzig Jahren ein außergewöhnliches OEuvre hingelegt. Tatsächlich zählen ihre Arbeiten wie etwa der Umbau der Wiener Schöllerbank, das Museum Judenplatz, die Überdachung des Passionsspielhauses Oberammergau und die Freilegung der mittelalterlichen Gemäuer von Stift Altenburg zum Feinsten, was die heimische Architekturszene zu bieten hat.

Man kann darüber spekulieren, ob die selbstgewählte Medienabstinenz der beiden die Qualität der solchermaßen in Ruhe und Reflexion entstandenen Arbeiten nicht geradezu befördert hat. Doch jetzt, befand Winfried Nerdinger, der unter anderem als Direktor des Architekturmuseums der Technischen Universität München überlegt tätig ist, sei der Abstinenz schon auch einmal Genüge getan.

Kommende Woche eröffnet in München also die erste große Jabornegg-&-Pálffy-Ausstellung. Doch auch die entzieht sich weitestgehend multimedialem Geflimmer. Sie zeigt vor allem eines: die Architektur als Modell. Denn mit Abbildungen muss man, wie gesagt, vorsichtig sein. Das Modell aber ist eine alte, erprobte Diszi-plin für sich, die Architektur in ein nach eigenen Gesetzmäßigkeiten lesbares Medium transponiert. 32 Modelle von 28 Projekten sind zu sehen - Riesendinger , präzise von der eigenen Crew des Architekturbüros in monatelanger Feinarbeit aus Lindenholz und Metall herausgearbeitet. Die Schau trägt den Untertitel Bauen im Bestand, denn gerade in dieses schwierige Gebiet haben sich Jabornegg und Pálffy im Speziellen vertieft. Ein altes Haus kann man zu Tode restaurieren. Man kann es aufschminken und mit Krücken mühselig in die Gegenwart hinken lassen. Man kann ihm aber auch mit radikalem Respekt begegnen: Die Kunst, sich vor altem Gemäuer nicht nur ehrfürchtig zu verneigen, sondern aus historischen Bauten das Beste hervorzustreichen und mit dem Neuen zu verheiraten, ist dann geglückt, wenn sich die Elemente gegenseitig bedingen und verstärken. Veranschaulicht wird das beispielsweise im Fall Museum Judenplatz mit den unterirdischen Ausstellungsräumen für die Grabungsfunde der dort freigelegten Synagoge. Dort vermählen sich die verschiedensten Bauzeitalter zu einem schlüssigen Ganzen. Noch nicht gebaut, doch vielversprechend ist auch der Wettbewerbsgewinn für die Erweiterung von Schloss Esterházy in Eisenstadt. Der geplante Zubau dockt behutsam an den Bestand an, erweitert diesen um diverse Ausstellungsräume und macht zudem durch Einschnitte und Durchgänge eine wesentlich flexiblere Bespielung der bestehenden historischen Räumlichkeiten möglich. Bei der gerade in Bau befindlichen Waygood Gallery im britischen Newcastle upon Tyne werten die Architekten ein denkmalgeschütztes Industriegebäude durch chirurgisch präzise Ein- und Aufbauten zu neuen Ausstellungsräumen und Ateliers auf.

Im Nachhinein betrachtet wirken die Architekturen von Jabornegg & Pálffy stets so logisch und einfach, und gerade darin besteht ihre große Raffinesse. Wie das geht? „Lang Nachdenken“, sagt Jabornegg. „Einen Zwang, nach dem Eines geschehen müsste, weil etwas anderes geschehen ist, gibt es nicht“, sagt Wittgenstein: „Es gibt nur eine logische Notwendigkeit.“ Die zu erkennen und umzusetzen, haben die beiden perfektioniert.

[ Jabornegg & Pálffy. Bauen im Bestand. 25. 6.- 27. 9., Pinakothek der Moderne, zur Ausstellung erscheint im Verlag Niggli ein Katalog ]

1. Juni 2009 Der Standard

Sieht uns jemand?

Ein Zerrbild vormals guter Sitte ist nicht nur im Parlament zu beobachten. Manche Bauherren pfeifen derzeit ebenfalls auf jede Moral

...wenn es um ihre Partner, die Architekten, geht. Drei Beispiele.

Über den Verfall von Sitte und Moral haben bereits die alten Weisen der chinesischen Qin-Dynastie gejammert. Das war vor immerhin mehr als 2000 Jahren, also sollte man sehr vorsichtig mit derlei Begriffen und Wertigkeiten umgehen. Doch ohne ein Mindestmaß guter Sitte und Moral - wie auch immer man die für sich definiert - lebt es sich doch sehr schwer miteinander, so viel steht fest.

Das bemerken derzeit unter anderem gar nicht wenige Architektinnen und Architekten, die mit ihren Bauherrschaften Scherereien haben, wie sie vor einigen Jahren zwar auch schon vorkamen, aber nicht in derartiger Häufung wie jetzt eben.

Das in Mode kommende Prinzip funktioniert folgendermaßen: Ein Bauherr schreibt einen Wettbewerb aus, eine Jury entscheidet über den Gewinner, und der wird in der Folge nach einigen Verhandlungen mit den Planungsleistungen beauftragt. Das Architekturbüro beginnt zu arbeiten, streckt jede Menge Leistung vor, weil naturgemäß in Phasen abgerechnet wird, und die müssen erst einmal vorbeigehen und mit den zuvor definierten Leistungen dokumentiert werden, bevor Architektenhonorare auf Konten wandern.

Während die Architekten also aus einem Wettbewerbsprojekt ein zu bauendes machen, die Planung bis in Details verfeinern und komplettieren, was selbstredend einen enormen Aufwand darstellt, überlegen mitunter die Bauherren insgeheim bereits, wie sie die lästigen I-Tüpferlreiter samt deren Feilens um Perfektion wieder loswerden könnten. Denn die Planungen liegen ja jetzt schon im Groben vor. Und die Baufirma der Wahl wird da schon was draus machen, und zwar ohne zu fackeln und ohne sich mit den Feinheiten lang aufzuhalten.

Hochburg Kärnten

Ähnliches passiert offenbar gerade - neben einigen anderen auch - den Wiener Architekten Marie-Therese Harnoncourt und Ernst Fuchs, alias the next ENTERprise. Die hatten das Pech, vor knapp drei Jahren einen Wettbewerb im schönen Bundesland Kärnten zu gewinnen, dem von allen Bundesländern der Ruf vorauseilt, in Sachen Korruption und Selbstherrlichkeit unangefochtener Bundesmeister zu sein.

Nachdem the next ENTERprise den von der Villacher Freibad GmbH. ausgelobten Wettbewerb zur Neuerrichtung der Erlebnistherme Warmbad Villach Neu gewonnen hatten, wurden sie mit der Planung des Projektes beauftragt. Diese erfolgte in steter Absprache mit den Verantwortlichen der Gemeinde, die mit 53,7 Prozent Mehrheitseigentümerin der Gesellschaft ist, aber auch mit Vertretern der Resteigentümer Kärntner Tourismus Holding G.m.b.H. (34 Prozent) sowie Thermenhotel Karawankenhof GesmbH. & Co KG (12,3 Prozent).

Letzteres Hotel liegt gleich neben dem zu errichtenden Frei- und Hallenbad, wodurch synergetische Effekte für die Gäste zu erwarten sind, weil die über eigens zu planende Zugänge das neue Bad selbstverständlich nutzen werden. Denn Public Private Partnership scheint in Villach großgeschrieben. Es herrscht eine muntere gegenseitige Beteiligung diverser Thermen- und Thermenhotelgesellschaften und den Teilgesellschaftern Georg Lukeschitsch und Susanna Mayerhofer sowie der Freibad GmbH. Also reden alle mit. Wahrscheinlich zahlen auch alle ganz vorbildlich anteilig am Projekt mit, doch Genaueres entzieht sich freilich unserer Kenntnis.

Die Architekten vollendeten also den Bauherrenwünschen entsprechend die Planungen des sehr anspruchsvollen und deshalb den Namen Architektur verdienenden Projektes bis hin zur abgeschlossenen Ausführungs- und Detailplanung sowie der Erstellung der Leistungsverzeichnisse. Doch die Bauherrschaft zeigte sich zunehmend unzufrieden, stellte wiederholt Nachforderungen, die die Architekten lieferten. Doch schließlich bekamen sie einen Brief von den Auftraggebern. Darin traten diese vom Vertrag zurück, ohne die noch ausstehenden Honorare zu bezahlen, und gaben als Begründung an, ein nicht näher genannter „allgemein beeidigter gerichtlich zertifizierter Sachverständiger“ habe unter anderem zahlreiche technische Mängel und das Fehlen von Details festgestellt. Weder Gutachten noch Gutachter sind den Architekten bekannt.

Häuser bauen statt streiten

Ein kleiner Exkurs an dieser Stelle: Die Beschreitung des Rechtsweges ist gewöhnlich etwas, dem man auszuweichen versucht. Vor allem Architekten sind nicht gerade bekannt dafür, ihre Auftraggeber leichtfertig zu verklagen. Schließlich sitzen die meistens auf längeren Ästen, die noch dazu nicht selten von hauseigenen Rechtsabteilungen gut gestützt werden. Außerdem will man weniger streiten als gute Häuser bauen.

Die Wiener beschlossen dennoch, diese Causa erstmals einem guten Anwalt zu überantworten. Denn die saloppe Weigerung, die ausstehenden vereinbarten Honorare zu bezahlen, wäre sowohl moralisch als auch finanziell schwer verdaulich. Zudem müssen sie ein Projekt abschreiben, an dem sie drei Jahre ihres Arbeitslebens verschlissen haben.

Ebenfalls in Kärnten, genauer in Velden, machten auch die Wiener Kollegen András Pálffy und Christian Jabornegg erstaunliche Erfahrungen. Auch sie gewannen im Jahr 2004 einen Wettbewerb, und zwar das Hotel- und Appartementprojekt Schloss Velden. Auf der Homepage der Auftraggeberin, der Kärntner Hypo Alpe-Adria steht heute zu lesen: „Insgesamt wurden in das Projekt Hotel & Residenz Schloss Velden rund 127 Millionen Euro investiert.“

Die Architekten selbst schlossen mit einer Tochtergesellschaft der Bank allerdings einen Vertrag über einen Kostenrahmen von lediglich 37,3 Millionen Euro für das Projekt ohne Inneneinrichtung ab, denn zwischenzeitlich hatten die Auftraggeber beschlossen, die Ausstattung der Innereien einem anderen Team zu übertragen.

Abgesehen von den offenbar undurchsichtigen Finanzfragen, die das Gesamtprojekt aufwirft - etwa wie sich die leicht errechenbare und trotz Abzugs der Grundstückskosten von 22 Millionen immer noch erkleckliche Differenz genau aufschlüsselt - blieb man den Architekten aus dem bestehenden Vertragsverhältnis ein Nettohonorar in der Höhe von rund 93.000 Euro schuldig. Da sich das Architektenhonorar allerdings von der Bausumme ableitet, dürfte es sich, würde man ehrlich rechnen, um wesentlich mehr handeln. Da auch Jabornegg & Pálffy wenig Talent zum Duckmäusertum haben, wurde soeben eine Klage gegen die Auftraggeber eingebracht, um die ausstehenden Honorare einzufordern.

So weit zwei Beispiele aus Kärnten. Doch auch in der Bundeshauptstadt sind ähnliche Spielformen unterschiedlicher Moral- und Sittenauslegungen zu beobachten. So geschehen beispielsweise im Fall eines Verhandlungsverfahrens, das die Stadt Wien vertreten durch das Kuratorium Wiener Pensionisten-Wohnhäuser zu Jahresbeginn ausgelobt hatte. Titel des Verfahrens: „Generalplanerleistungen für Zubau und Sanierung Pensionistenwohnhaus Liebhartstal II“ im 16. Bezirk.

Eine fachkundige Bewertungskommission befand das Projekt der Architekten Delugan Meissl in einer zweiten Runde und nach einem Hearing als jenes, das den Zuschlag erhalten solle. Doch dies schien den Auslobern nicht so recht zu passen. Es wurden umfangreiche Nachweise von den Architekten gefordert, wie etwa einer über die „Bedienbarkeit von Fensterelementen“. Derlei Nachweis ist zumindest in der Fachwelt bis dato unbekannt. Die Architekten argumentierten in einem Schreiben, dass die genaue Überarbeitung ohnehin im Rahmen der fortschreitenden Planung erfolgen würde. Daraufhin, so Petra Rindler von der Wiener Rechtsanwaltskanzlei Pflaum, Karlberger, Wiener, Opetnik, „wurde das Projekt mit der Begründung ausgeschieden, dass die vom Auftraggeber geforderten Anforderungen nicht erfüllt wurden.“

Diese Vorgangsweise, so die Anwältin, sei allerdings unzulässig und rechtswidrig: „Planer müssen ohnehin schon kosten- und zeitintensive Leistungen im Rahmen eines Wettbewerbes erbringen, es muss daher gewährleistet sein, dass die in den Ausschreibungsbedingungen geforderten Leistungen nicht später ausgeweitet werden können.“ Denn: „Eine solche Vorgangsweise würde die Teilnahme an Wettbewerbsverfahren für Planer noch weniger kalkulierbar machen.“

Architektenausbooten als Mode

Als Nichtjurist ist man versucht zu sagen, dass die Architekten den Auftraggebern aus welchen Gründen auch immer ganz einfach nicht geschmeckt haben. Das Resultat ist jedenfalls der bereits erfolgte Erlass einer einstweiligen Verfügung sowie ein gerade laufendes Verfahren vor dem Vergabekontrollsenat Wien. Weil auch Delugan Meissl eher zu den Streitbaren als zu den Duckmäusern gehören.

Zusammenfassend lässt sich Folgendes sagen: Die Unmoralischen unter den Bauherren - denn selbstverständlich gibt es viele lobenswerte andere - versuchen mit fadenscheinigen Begründungen Architekten auszubooten, und die Mittel zum Zweck sind mannigfaltig. Das Haupttransportmittel ist jedoch stets der Anwurf - das Schlechtmachen von Leistungen. Die Architekten befinden sich plötzlich in der Rolle der Angegriffenen, in der undankbaren Position derjenigen, die sich verteidigen müssen. Die Auftraggeber engagieren in solchen Momenten auch gern Projektsteuerer, scheinbar um zu vermitteln, tatsächlich aber gelegentlich, um die nicht selten dubiosen Geldflüsse in die gewünschten Richtungen zu lenken.

Fazit: Die Architekten haben in diesem Land keine Lobby. Das ist der wahre Jammer. Es hört sie keiner. Sie müssten noch viel lauter schreien. Denn nicht nur sie selbst bleiben unter Umständen auf der Strecke, sondern auch das, was man Baukultur nennt, und was unser aller Umwelt maßgeblich prägen könnte. Wenn alle wollten. Das wäre moralisch. Jetzt und für die folgenden Generationen.

16. Mai 2009 Der Standard

Die neuen Freiheiten warten noch

Der Schweizer Architekt Ernst Hubeli über Raumplanung und Energieverschleiß und die Sinnhaftigkeit eines gesunden Hedonismus

Die Zersiedelung der Steiermark gilt, wie Sie sagen, im gesamteuropäischen Raum als Paradebeispiel dafür, wie man's nicht machen soll. Was bedeutet dieser - übrigens auch in anderen Teilen Österreichs beobachtbare - Zersiedelungsirrsinn energiepolitisch?

Ernst Hubeli: Die steirische Agglomeration ist das Beispiel für eine maßlose Zersiedlung. Das Verhältnis von Infrastrukturaufwand - Straßen, Netze, Unterhalt, Energie - und Zeitverbrauch - zur Bevölkerungsdichte bricht alle Rekorde - im negativen Sinn natürlich. Noch fataler ist: Während im restlichen Europa ein klarer Trend besteht, neue Bauzonen zu verbieten, opfert die steierische Raumpolitik weiterhin Freiland - mit der Begründung, die Abwanderung aufzuhalten. Das ist so, als ob man den Klimawandel mit einem erhöhten CO2-Ausstoße bekämpfen wollte.

Die steirische Raumpolitik sollte sich mit dem befassen, was bereits ein reales Szenario ist: die Stadtrückwanderung. Nach Graz sind über 10.000 Menschen in den letzten zwei Jahren zurückgezogen, was ja eine Chance ist, den Rückbau der Zersiedelung aktiv zu einem Thema zu machen und zu überlegen, wie man die Ex-Agglomeriten für das urbane Leben begeistern könnte.

Stichwort Politik: Warum kriegt diese europaweit das Zersiedelungsproblem ganz offensichtlich nicht in den Griff? Liegt das an Unfähigkeit oder Unwilligkeit?

Hubeli: Bisher wurde die Zersiedelung mit Landschaftszerstörung gleichgesetzt, was eine Verharmlosung ist, insofern, als man darüber streiten kann, was als Zerstörung gilt und was nicht. Heute geht es nicht um landschaftliche Geschmacksfragen, sondern um die Tatsache, dass die realen Kosten der Zersiedelung, inklusive der Folgekosten, schlicht nicht mehr finanzierbar sind - es fehlt die „Kohle“: das Geld und billige Energie. Und billige Energie wird in den nächsten 20, eher 40 Jahren nicht zu haben sein. Bestenfalls mit einem Anteil von sechs bis zehn Prozent.

Und der Verschleiß an Infrastruktur, Raum, Boden, Luft, Unterhalt und Zeit hat die Lebensqualität verschlechtert. Mit anderen Worten: die volkswirtschaftlichen und anderen Kollateralschäden setzen neue, strukturelle und engere Grenzen vom Siedlungswachstum. Das bereits in den 60er- und 70er-Jahren diskutierte Nullwachstum kann ein Realszenario werden.

Die Zersiedelung wurde bisher bezahlt?

Hubeli: Durch eine stillschweigende Subventionierung. Die realen, volkswirtschaftlichen Kosten der Zersiedelung entsprechen einem Benzinpreis um acht Euro und einer Pkw-Steuer um 1500 Euro. Selbst mit subventionierter Mobilität findet heute ein Rückbau statt. Die Stadtrückwanderung findet nicht nur in der Steiermark, sondern auch in den nordamerikanischen und europäischen Agglomerationen statt - erzwungenermaßen, weil die Lebensweise in stark zersiedelten Gebieten für viele, tendenziell für den gesamten Mittelstand, nicht mehr bezahlbar ist. Die zeitliche Dimension vom Rückbau besteht in der Pragmatik: Je später er realisiert wird, umso teurer wird er. Ökonomische Zwänge und nicht Gutgemeintes sind - auch historisch gesehen - der Motor für solche und ähnliche Veränderungen. Die Umwelt hat allerdings den Vorteil, dass sie auch ohne Kapital existieren kann, während Kapital mit sich allein wertlos ist.

So ist das Energie- und Zersiedelungsthema nicht nur „grüne“ Politik. Aber wo stehen die normalen Bürger und die Agglomerationsbewohner?

Hubeli: Zur politischen Ökonomie der Umwelt gehört das gewöhnliche Alltagsleben. Aus diesem Zusammenhang verstehe ich mich als Urbanist. Und als solcher bin ich an einem hedonistischen Alltagsleben interessiert und ein Feind von vorauseilender Bevormundung wie überflüssigen Pflichterfüllungen. Das heißt auf die Umweltproblematik bezogen: Man sollte sie nicht nur bejammern und sparen, sondern in ihr auch neue Chancen und Möglichkeiten sehen.

Welche?

Hubeli: Die Stadtflucht in den 70er- Jahren hatte ihre verständlichen Gründe: Die Städte waren unwirtlich, teuer, verkehrsüberströmt, und die grüne Agglomeration erschien attraktiver: Nicht die Stadtluft macht frei, sondern die Aggloluft. Heute müssen sich gerade die Agglomerationsbewohner fragen, ob das noch stimmt. Die Sehnsucht nach dem Leben wie der Landadel ist in der mittelständischen Wirklichkeit ja ein mickriges, hühnerfarmähnlich aufgereihtes Einfamilienhäuschen, mit einem Mutter-Kind-Ghetto-Alltag, wo die jungen grünen Witwen vereinsamt unter dem Apfelbaum Romane von Paulo Coelho verschlingen.

Dieses „Ideal“ erzwingt ja geradezu Sehnsüchte nach einem anderen Alltagsleben. Vor allem, wenn man bedenkt, welche Lebensentwürfe heute möglich sind, seit es keine Landeier mehr gibt. Mit den neuen Netzwerken haben sie sich die Welt erschlossen und die Stadt entdeckt. Digital navigierend flirten sie mit dem Abenteuer um die Ecke, das Downtown zu einer freinächtigen Bartour werden kann.

Die Entwicklung der Agglomeration und der Städte hat also auch damit zu tun, wie wir leben und leben wollen?

Hubeli: Wie wir ohne Selbstzerstörung angenehm leben können. Es braucht dazu keine Weltverbesserungsmodelle oder Pastoren - eher eine Kursänderung. In den letzten 50 Jahren folgt die Stadt- und Agglomerationsentwicklung dem Primat der Verkehrsplanung - nach dem Motto: zuerst Straßen bauen, dann Häuser. Das hat zu einer Angebots- und nicht zu einer Nachfrage- und Bedarfsplanung geführt. Dahinter steht - besser: stand - eine mächtige Öl- und Autoindustrie, die an vielen Straßen und an einer Politik interessiert war, welche die Folgekosten des Pkw-Verkehrs weder auf die Pkw-Steuer noch auf die Pkw-Preise und das Benzin schlagen.

Auch wenn Frau Merkel immer noch den Tränen der Deutschen Autoindustrie erliegt - der Kniefall hilft nicht weiter, so wenig es sich lohnen kann, in ein Auslaufmodell zu investieren. Und daraus kann man nur lernen: Die von Energie- und Autolobby gelenkte Verkehrspolitik war unbelehrbar und konnte sich - was nun geschah - nur selbst zerstören. Ein Teil dieser Industrie wird freilich überleben, aber nur, indem sie sich vom Kopf auf die Füße stellt. Wie zum Beispiel Shell. Der Weltkonzern hat in eine Forschung investiert, die klärt, wie das Leben mit viel weniger Verschleiß aussehen könnte. Das ist auch Ausdruck davon, dass kein Profi mehr an die angebliche Alternative, an die Substitution endlicher Ressourcen glaubt.

Wenn es um das „Energiesparen“ in baulicher Hinsicht geht, erleben wir derzeit EU-weit eine klare Objektfixiertheit. Auch Normen und Vorschriften bleiben kläglich an Einzelobjekten hängen, und Begriffe wie Städtebau oder Raumordnung kommen in den Debatten so gut wie (noch) nicht vor. Was wäre die bessere Planung?

Hubeli: Zuerst Raum- und dann Verkehrsplanung. Dann wird man sofort erkennen, dass eine gewisse Bebauungsdichte nötig ist, damit sich die Investitionen in die Infrastruktur überhaupt lohnen. Zudem kann es ja kein Lebensziel sein, möglichst lange Wege hinter sich zu bringen. Das heißt: keine Trennung von Funktionen, sondern ein möglichst nahes Nebeneinander von allem, was man so braucht im Alltag.

Auch Wohnen und Erholen muss nicht um Meilen oder Länder getrennt sein. Der Freizeitverkehr hat heute einen Anteil von fast 40 Prozent vom Gesamtverkehr, was einer Massenflucht vom steinernen Wohnen ins Räkeln im Grünen oder Azurblau entspricht. Abgesehen davon, dass die Mobilität viel teurer wird, hat diese Trennung ja nur Nachteile.

Auch in New York wohnen die Leute am liebsten am Central Park. Und das muss nicht zwangsläufig exklusiv und teuer sein. Es gibt Städte, die sich in den letzten Jahren perforiert haben - etwa Leipzig -, um das Leben in der Stadt angenehmer und vielfältiger zu machen.

Das bedeutet noch lange nicht, dass man den Urlaub zu Hause verbringen muss. Aber je weiter weg, ist ja nicht automatisch umso besser. Vor allem in der Zukunft nicht. Der Flug zum Indischen Ozean wird bald einen doppelten Monatslohn kosten, was sich auch deshalb nicht lohnt, weil man bestenfalls noch zuschauen kann, wie die Malediven im Meer versinken.

Wenn es um quantitative Effizienz geht, dann ist die Berechnung von Tom Kurt aufschlussreich: Jemand, der in Houston lebt, verbraucht dreimal mehr Energie als jemand, der in Siena lebt, ohne dass sich der Lebensstandard wesentlich unterscheidet. Es geht also - im Fachjargon - um Gesamtbilanzen: Was braucht es an Energie, Wegen, Zeit, Unterhalt, Reparaturen, Frust und Lust, sich im Alltag zu bewegen?

Sind die Ökostädte ein Modell?

Hubeli: „Ökostädte“ wie etwa Masdar in Abu Dhabi sind autofreie Luxusenklaven. In der Regel nur durch die Wüste oder die Wildnis erreichbar - mit dem Privatjet oder mit einem SUV (Sportunterhaltungsvehikel) -, was unter dem Strich einen ökologischen Fußabdruck ergibt, der energiefressender ist als jede gewöhnliche Zersiedelung, die abgesehen davon nicht neu gebaut werden muss.

Können Sie auf die Potenziale telekommunikativer Netze näher eingehen?

Hubeli: Mit den Netzen hat sich die Standortabhängigkeit von Branchen, Funktionen und Nutzungen stark relativiert. So kann „Stadt“ fast überall entstehen und auch wieder verschwinden. Und sie kann sich auch immateriell verdichten. Man sollte die Netzwerke in ihrer Wirkung aber nicht überschätzen. Sie sind nicht „wichtiger“ als das Gegenständliche. So können wir ja nicht den ganzen Tag auf den Bildschirm starren. Im Gegenteil. Je mehr wir medial glotzen, desto größer wird der Wunsch, in urbane Welten einzutauchen.

Wir leben gleichzeitig in virtuellen und realen Welten?

Hubeli: ... die sich gegenseitig beeinflussen. So hat sich die Lesart der Städte und Räume verändert. Der Flaneur ersetzt den Navigator. Bevor wir in die Stadt abtauchen, werden die Orte und Ereignisse navigiert, was natürlich die Auswahlmöglichkeiten erhöht. Mit anderen Worten: Auch die alte Stadt ist nicht mehr die alte Stadt. Auch wenn sie weiter existiert, wird sie anders gelesen - als ein Netzwerk aus Ereignissen, Dörfern und Landschaften. Wobei alle Dörfer städtisch sind, egal ob sie in der Stadt oder außerhalb lokalisiert sind.

Ich gehe davon aus, dass sich im Städtebau und in der Architektur auch andere Denkfiguren durchsetzen werden. Man wird nicht mehr Häuser und einzelne Objekte entwerfen, sondern Situationen, Szenarien und Städte in der Stadt.

Wer hat bei den angesprochenen Themen bereits die Nase vorn?

Hubeli: In Holland und Dänemark werden Projekte realisiert, welche die alte europäische Stadt mit ihrer Metropolitanisierung überlagern - also eine Verdichtung nach innen. In Amsterdam und Kopenhagen kann man sich das bereits anschauen. Die Resultate sind zwiespältig, weil bloße Verdichtung ja kein Gewinn sein muss.

In Zürich entwickeln wir ein Szenario mit gleichzeitiger Verdichtung und Auflockerung - im städtebaulichen Sinn eine Nachverdichtung mit einem spezifischen Thema - mit kostengünstigem Wohnungsbau nach dem Motto von Tucholsky „Vorne den Kudamm, hinten die Nordsee“ bzw. „Vorne die Stadt, hinten ein Park“, was das Image von der reichen, eher monoton homogenen Stadt aufweichen kann. In der Schweiz gibt es auch diverse Projekte für eine konzentrierte Zersiedelung.

Möglicherweise für Europa richtungsweisend ist das gerade entstehende Konzept für Reininghaus in Graz. Auf 55 Hektar wird die nächste Stadt radikaler als in Holland gedacht. Es werden keine Wohnblöcke, Bürotürme und Eventcities gebaut, sondern es wird urbaner Lebensraum geschaffen, der zwar geplant, aber unfertig bleibt, der sich immer neu oder weiter entwickeln kann, wo Möglichkeiten und Unbekanntem Raum geboten wird, wo das Urbane neu und zugleich so verstanden wird, wie es heute wirklich ist: ein ewiges Gedankenexperiment.

Persönliche Frage: Können Sie nachvollziehen, warum wir dermaßen nachlässig mit unwiederbringlichen Ressourcen wie Landschaft und Natur umgehen?

Hubeli: Die Gesellschaft hat eine narzisstische Episode durch- und ausgespielt, was immerhin die Erkenntnis gebracht hat, wo die Grenzen liegen, wenn Individualisierung ohne Sozialisierung stattfindet. Die sogenannte Postmoderne hat insofern keine neuen Freiheiten generiert, sondern neue Zwänge. Oder anders gesagt: Die neuen Freiheiten warten noch, bis sie das Glück findet, das eben nur aus Gemeinschaften entstehen kann - eine Einsicht, die übrigens die Glücksforschung teilt wie der Philosoph Robert Pfaller, der im narzisstischen Selbstverwirklichungsstress einen Beuteverzicht sieht.

[ Der Kongress „Stadt statt Energie“ findet am 20. Mai ab 8.30 Uhr im Loft Graz-Reininghaus, Reininghausstraße 11a, statt. Anmeldung und Infos unter www.isv.tugraz.at/stadt2009 ]

2. Mai 2009 Der Standard

Viele Teilchen machen das Ganze

Im spanischen Badeort Sitges trafen einander allerlei Experten, um im Rahmen der Real Corp über die Zukunft der Stadt vorzutragen.

„Cities - Smart, Sustainable, Integrative“ lautete die Überschrift zur diesjährigen Real Corp, die vergangene Woche im spanischen Sitges gleich ums Eck von Barcelona an vier Tagen über diverse Rednerbühnen ging.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der zum 14. Mal stattfindenden Konferenz für Architekten und Raumplaner kamen aus aller Welt in das propere Badeörtchen gereist, um sich im lokalen Design-Zentrum auszutauschen. Die Themen kreisten allesamt in größeren und kleineren Radien um die Frage, wie Städte mit den heutzutage zur Verfügung stehenden Technologien und Wissensständen verbessert und zukunftstauglich gemacht werden können.

Diese Zukunftstauglichkeit ist selbstverständlich einer der Knackpunkte unser aller Fortkommens. In der kompliziertesten aller Disziplinen, dem Städtebau und den unendlich vielen Verantwortlichkeiten, die dazugehören, geht es nicht nur darum, für das Zusammenleben sehr vieler Menschen stimmige Rahmenbedingungen zu schaffen oder zumindest zu ermöglichen, es geht naturgemäß auch immer stärker um die Organisation der bestmöglichen Verwendung von Ressourcen.

Mehr als die Hälfte der Menschheit lebt bekanntlich mittlerweile in Städten, in wenigen Jahrzehnten werden es bis zu 70 Prozent sein, wird von der Uno prognostiziert. Gerade in Städten können also pflegliche Prozesse wie Energiesparen und Treibhausgasreduzieren besonders effizient in Angriff genommen werden. Oder besser: könnten - denn der Weg zur ökologisch intelligenten großen Stadt scheint in Anbetracht explodierender Megacitys in Asien samt fortschreitender privater Motorisierung doch noch recht weit zu sein.

Doch Manfred Schrenk, der stets wohlgelaunte und Optimismus versprühende Corp-Häuptling und Geschäftsführer des in Schwechat beheimateten CEIT, Central European Institute of Technology, ließ gleich zu Beginn der Konferenz keinen Zweifel darüber aufkommen, dass die unerwartetsten Entwicklungen dennoch innerhalb kürzester Zeit Raum greifen können. Zum Beweis schmiss er ein Foto seines Elternhauses aus den 80er-Jahren auf die Leinwand, gleich dahinter machte der Eiserne Vorhang Richtung Tschechoslowakei mit mächtig Stacheldraht und Warnhinweisen dicht. Auf dem Folgebild aus heutigen Tagen war nicht einmal mehr ein Grenzbalken zu sehen, sondern eine nationenverbindende Straße. Die Möglichkeiten sind also unendlich, sie müssen nur erkannt, genutzt, in die Tat umgesetzt werden.

Die vor allem von Universitäten und wissenschaftlichen Institutionen herbeigereisten Corp-Teilnehmer referierten denn auch über unterschiedlichste Themen, deren Spektrum von der Organisation von Bürgerbeteiligungen über intelligente Nahtransportsysteme, Potenziale innerstädtischer Grünflächen, avancierte computerunterstützte Planungsmethoden, Ökologisierung bis hin zur Präsentation ganzer neuer Stadtteile wie beispielsweise des ehemaligen Flugfelds Aspern in Wien reichte. Die Strategien und Konzepte, um die urbane Zukunft zu planen, sind vorhanden. Doch wie bringt man sie rasch zur Anwendung?

Einer der Hauptredner der Corp kam aus Großbritannien, hieß Greg Clark, und der befasst sich hauptberuflich mit ebendieser Frage: Was macht Städte zu erfolgreichen Städten? Sein Vortrag war offensichtlich einer, der sich an politischen Machtklötzen in der Vergangenheit bereits ein wenig zurechtgeschliffen hatte, doch wer seine Zeit damit verbracht hat, hauptberuflich mehr als hundert Städte nach allen Richtungen zu analysieren, dürfte dazu berufen sein, folgende Thesen zu propagieren.

Denn über die Kriterien, die eine erfolgreiche Stadt ausmachten, so Clark, herrsche international Konsens: Sie muss zuallererst für die Bewohnerinnen und Bewohner verkehrstechnisch exzellent erschlossen sein und eine gute Umweltperformance zeigen. Die erfolgreiche Stadt ist ein Hort hervorragender Ausbildungsstätten, und mit diesen breitgestreuten unterschiedlichen Fachkenntnissen ihrer Bewohnerinnen und Bewohner ist die Stadt auch ein Ort, an dem Innovation und Kreativität zu Hause sind.

Diese schätzt zum Beispiel das Unternehmertum außerordentlich, ohne welches auch keine erfolgreiche Stadt ihr Auslangen findet. Des Weiteren wichtig sind laut Clark die industrielle Struktur, Kostenbasis, Transparenz von wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und - last, but not least - gestalterische Identität und markante Gebäude. „Eine erfolgreiche Stadt“, so der Brite, „zieht die Menschen an. Wir haben im Zuge unserer Forschungen keine einzige erfolgreiche Stadt gefunden, die nicht Leute von außen reingeholt hätte.“

Die Krise ist die Chance

Doch wie wirkt sich nun die sogenannte Krise auf die Realisierungschancen all dieser löblichen Ansätze aus? Diese sei, so Clark, tatsächlich eine einzigartige Herausforderung für all jene, die in den Städten das Sagen hätten.

„Diese Krise ist jetzt die Chance, großangelegte Veränderungen vorzunehmen.“ Reorganisationen beispielsweise, die in fetteren Zeiten aufgrund ewig währender Meinungsfindungsprozesse aufgeschoben worden seien, könnten nun dank des deutlich empfindlicheren kommerziellen Drucks beschleunigt durchgeboxt werden. Vor allem aber müssten sich Städte Prioritäten setzen, also ein identifikationsstarkes Profil erarbeiten und in allen Belangen umsetzen.

So weit die Theorie. Doch wie es in der Praxis ausschaut, das referierte ein paar Tage später in Wien ein Mann, der diese mit allen Abgründen und Schluchten nur allzu gut kennt. Der deutsche Architekt Dieter Koppe hat im Laufe einer langen, bewegten Karriere große Projekte wie zum Beispiel die Münchener Allianz Arena gemeinsam mit Kollegen wie Herzog & de Meuron gestemmt. Am Institut für Gestaltung der TU-Wien hielt er auf Einladung von András Pálffy einen exzellenten Vortrag darüber, was dem Standard die Gelegenheit bot, sozusagen architekturmetaphysisch ein wenig nachzubohren. Etwa die Frage, ob sich die Rahmenbedingungen für Architektur in der jüngeren Vergangenheit verschlechtert hätten, weil als alleiniges Ziel die Rendite gelte, beantwortete Koppe mit einem klaren Ja: „Seit etwa zehn Jahren hat sich die Situation komplett verändert, und das hängt mit den Auftraggebern zusammen. Begriffe wie langfristiges Planen und Denken sind nicht mehr vorhanden.“

Schuld daran sei die Schnelllebigkeit von Vorständen in Unternehmen und Konzernen, die sich in den immer kürzer werdenden Phasen ihres Wirkens ausschließlich an ökonomischen Werten orientierten, wodurch die Architektenschaft überlegter und kluger Bauherren verlustig gegangen sei. „Das Resultat dieser Entwicklung“, so Koppe, „ist desaströs.“

Doch auch er sieht in der „Krise“ nun die Chance, dass man sich durch die Verknappung der Mittel wieder auf längerfristiges Denken und umsichtigere Planung ver-legt. „Dass in einer Verknappung durchaus eine Chance liegt, das kann man beweisen“, sagte er und führte als Beispiel ein Projekt in Luxemburg mit den Architekten vom Atelier 5 an. Die Bauherrschaft hatte das Bauvorhaben aus Gründen liquider Engpässe hintangestellt, jedoch gemeint, wenn man die Kosten um 25 Prozent reduzieren könne, würde man dennoch den Startschuss geben.

Koppe: „Tatsächlich ist das Gebäude in letzter Konsequenz noch viel besser geworden, als in der ersten Planung.“ Doch für derlei Prozesse braucht das Planerteam vor allem eines: Zeit. Und: eine schlanke, entscheidungsfreudige Mannschaft, die persönliche Verantwortung für gute Architektur zu tragen bereit und imstande ist. Architektur ist Teamsache, aber nur für wirklich Persönlichkeitsstarke.

Infos zur Konferenz sowie Zusammenfassungen der einzelnen Vorträge gibt es unter www.corp.at.

2. Mai 2009 Der Standard

Jedem Bundesland sein bestes Haus

Am Mittwoch wurde im Architekturzentrum Wien der diesjährige Preis „Das beste Haus“ verliehen. Aus insgesamt 124 Einreichungen wählte eine zehnköpfige Jury jeweils ein Siegerprojekt pro Bundesland aus. Der Fokus fiel dabei auf ein möglichst klares Konzept. „Das durch seine Luxuriösität beeindruckende Einfamilienhaus - riesig, teuer und in bester Lage - bedarf keiner Fürsprache durch einen Preis“, sagt Juryvorsitzende Gabriele Kaiser, „besonderes Augenmerk verdienen jene Entwürfe, bei denen scheinbare Nachteile zu besonderen Lösungen Anstoß gaben.“

Die neuen Prämierungen sind: Stampflehmhaus von Boltshauser Architekten AG und Martin Rauch (Vorarlberg), Haus Meyer von Holzbox ZT GmbH (Tirol), Haus 47° 40' 48"N /13° 8' 12"E von Maria Flöckner und Hermann Schnöll (Salzburg), Einfamilienhaus in Stocking von Andreas Karl (Steiermark), Rundbogenhaus in Klagenfurt von Winkler+Ruck Architekten (Kärnten), Haus HP von Schneider & Lengauer Architekten (Oberösterreich), Haus am See von Katja Nagy (Niederösterreich), Hofhaus Millergasse von Froetscher Lichtenwagner (Wien) sowie Haus in Weiden am See von Andreas Doser und Andrea Dämon (Burgenland).

Die von der s Bausparkasse und dem Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur gestiftete Preissumme beträgt 6000 Euro pro Projekt.

15. April 2009 Der Standard

Der Mönch vom Heiligen Berg

Der Schweizer Architekt Peter Zumthor wird Pritzker-Preisträger

Schmal und steil führt der Weg hinauf in das Schweizer Alpendorf Haldenstein, wo die Klause des Peter Zumthor (65) steht. Dort lebt und arbeitet der in Basel geborene Architekt, umgeben von einer Mitarbeiterschar von nie mehr als 20 Jüngern - ein kleines Architekturbüro, das seit 1979 besteht und nur wenige Projekte umsetzt, doch jedes einzelne davon vom großen Atem der Ewigkeit beseelt. In dieser von Alpengipfeln umsäumten Einsamkeit empfängt Zumthor Bauherren aus aller Welt. Die reisen an wie Pilger, um von ihm die Absolution in Form exquisiter Architektur zu erlangen. Denn Zumthor kann sich mittlerweile aussuchen, für wen er baut, und nur Auserwählte erhört der asketische, bescheiden lebende Baumeister.

Zum Beispiel die Bauern aus dem deutschen Mechernich. Die kamen mit der Bitte um eine Kapelle für den heiligen Bruder Klaus. Zumthor schichtete über hundert schwere Baumstämme auf einem Feld zu einem rohen Turm übereinander, ließ die Bauern einen Monat lang Tag für Tag eine Schicht Beton auftragen, fackelte schließlich die Baumstämme im Inneren bedächtig drei Wochen lang ab, sodass schließlich eine rohe Betonhöhlung entstand. Auf dem Boden eine Schicht geschmolzenen Bleis, oben eine Kreisöffnung, durch die Licht und Regen fallen.

Für Weihestätten wie diese ist der Schweizer berühmt. Selbst sein bekanntestes Werk, die Therme in Vals (1996), geriet zu einer Art Sakralraum für Wasser und Verinnerlichung. Für die nur wenige Zentimeter hohen Quarzitblöckchen, die das Gebäude auskleiden, ließ er exakte Verlegepläne zeichnen. Denn die Seele des Materials ist Zumthor heilig.

Eigentlich hat er das Tischlerhandwerk gelernt, bevor er Architekt wurde. Präzision, Materialtreue sowie ein schlafwandlerisches Gespür für Raum sind sein Kapital. Das stellte er auch mit dem Kunsthaus Bregenz (1997) unter Beweis: ein kantiger Betonkern, umhüllt von transluzentem Glas, ein kostbarer Schrein für die Kunst. Zumthor arbeitet abseits jeder Mode, jedes Gags. Er ist eigentlich ein Relikt einer bereits untergegangen geglaubten Zeit. Wer zu ihm kommt, will Architektur, die für die Ewigkeit gemacht scheint.

Ende Mai wird Zumthor, der Hohepriester der raffinierten Einfachheit und der materialgewordenen Kontemplation, in Buenos Aires den Pritzker-Preis und damit die mit Abstand renommierteste Auszeichnung für Architektur entgegennehmen. Dann wird er sogleich wieder in sein Alpendorf zurückkehren.

11. April 2009 Der Standard

Stadt ohne Seele

Das Erdbeben in Sizilien vor 41 Jahren: Bis heute haben sich im Städtchen Gibellina die Wunden nicht geschlossen. Sie werden das auch nie tun.

Am Abend des 14. Januar 1968 begann im Westen Siziliens die Erde zu beben. Erst ganz leicht. Ein paar schwache Erdstöße. Die meisten Leute, durchwegs Ziegenbauern und Weinbauern, verließen dennoch ihre Häuser in den jahrhundertealten Städtchen aus Stein und verbrachten die Nacht sicherheitshalber im Freien. Denn 60 Jahre zuvor hatte es drüben im Osten, auf der anderen Seite Siziliens, ein Erdbeben gegeben, das sich mit 75.000 Toten in der kollektiven Erinnerung eingegraben hatte.

Die Menschen saßen auf den Hügeln rund um ihre Städte in den Weinbergen und auf den Feldern und warteten. Eine kalte Nacht. Um drei Uhr morgens wussten sie, dass das erste Beben nur ein Vorbeben gewesen war. Innerhalb von 30 Sekunden zerbröselten vor ihren Augen Städte wie Salaparuta, Montevago, Salemi und Gibellina zu Sand und Geröll.

Diese Siedlungen waren bis zu 900 Jahre alt gewesen. Von Menschen gemachte, mit Menschen gewachsene Geschichte. Als sie zerbarsten, zersprangen nicht nur die Häuser, es zersprangen auch Gemeinschaften - und nichts sollte je wieder so sein, wie es einmal gewesen war.

Joerg Burger zeichnet in seinem Film Gibellina - Il terremoto in zeitversetzten Momentaufnahmen die Geschichte einer dieser kleinen Städte und deren Menschen nach. Denn in Gibellina sollte nach der Katastrophe etwas Besonderes entstehen, dort sollte die Kunst die Leute mit ihrem Schicksal versöhnen, sollte sie mit der zeitgenössischen Reißbrettarchitektur anfreunden, die ihre neue Heimat hätte werden sollen. Doch dieses Experiment, angetrieben von einem charismatischen Bürgermeister, der das Gute wollte, jedoch eine andere, schleichende Katastrophe damit provozierte, ist heute, vier Jahrzehnte nachdem die Erde gebebt hat, missglückt.

Das alte Gibellina - das war ein prachtvolles Bergdorf gewesen, mit mittelalterlich schmalen, gewundenen Gassen, mit einer Kirche, wie man sie sich würdiger und prunkvoller nicht vorstellen kann, mit Häusern, die dicht an dicht aneinandergebaut die Steinmauern miteinander teilten.

In Gibellina stand nach der Nacht des 15. Januar 1968 kein einziges Haus mehr. Burger führt uns mit Archivaufnahmen zurück in die Tage nach der Katastrophe. Schutthalden. Nur ein paar wackelige Mauerreste stehen noch. An manchen hängen noch gerahmte Fotografien von ganz alten Leuten unter dem jetzt freien Himmel. Die Lebenden stehen dazwischen, haben leere Gesichter, sogar die Kinder können nichts tun als starren.

Knapp 40 Jahre später sitzen alte Männer auf weißen Plastiksesseln im neuen Gibellina auf der Straße und erzählen von dieser Nacht und von den Jahren, die darauf folgten. Sie tragen dunkle Anzüge und dezent gemusterte Krawatten, schauen jetzt so aus wie die Ahnen auf den Fotos, damals an den geborstenen Wänden. Das neue Gibellina ist glatt und modern, es wurde 14 Kilometer vom alten Ort entfernt errichtet. Doch bis die Menschen in ihre neuen Wohnungen ziehen konnten, sollten 14 Jahre vergehen.

Zuerst verbrachten sie ein halbes Jahr in Zelten, dann übersiedelten sie in ein Barackenlager aus Blechhütten. Mit dem Bau der neuen Stadt ließen sich die dort in Rom mächtig Zeit. Die meisten Hilfsgüter erreichten diejenigen, für die sie bestimmt waren, nie. Die für den Neubau von Häusern bereitgestellten Gelder versickerten im Land der Mafia und der Geschäftemacher in dubiosen Kanälen.

Doch weil Gibellinas Bürgermeister Ludovico Corrao mit allen Wassern gewaschen und ausnehmend lästig war, entstand das neue Gibellina schließlich doch. Von römischen Architekten und Stadtplanern auf dem Reißbrett entworfen, eine Stadt aus der Retorte wie seinerzeit Brasilia, nur natürlich viel kleiner und nicht in Form eines Flugzeugs angelegt, sondern in Form eines Schmetterlings.

Wer noch nicht - nach Turin, Mailand, Amerika oder Australien - weggegangen oder ausgewandert war, siedelte dort ein. Das waren damals Anfang der 80er-Jahre rund 8000 Menschen. Nur 4500 von ihnen sind bis heute geblieben. Die Jungen, die sind alle weg. Die großzügigen Piazze und Straßenzüge sind leer. Die Häuser und Gassen sind vergammelt, aus allen Ritzen wuchert das Unkraut. Das synthetische Gibellina wurde nie zu einer neuen Heimat, zu fremd sind die gebauten Strukturen, zu kalt, zu unmenschlich. Die 14 Jahre im engen, primitiven Barackenlager, sagt ein Gemüsehändler, seien tatsächlich viel glücklichere gewesen, man könne das glauben oder nicht. Man habe aufeinander Rücksicht genommen, habe eine Gemeinschaft gehabt. Doch hier würde jeder in seinen vier Wänden verschimmeln, sich einbunkern, die Kommunikation der Menschen untereinander sei in dieser Architektur einfach verlorengegangen. „Diese Stadt“, sagt ein anderer ihrer Bewohner, „ist eine Fremde in ihrem eigenen Umfeld. Eine Stadt, wo es enorm viel Platz - und enorme Trostlosigkeit gibt.“

Das war manchen von Anfang an klar gewesen, wie zum Beispiel dem Bürgermeister Corrao, der die Stadt von 1969 bis 1994 regierte. Mit Kunstwerken aller Art wollte er das neue, moderne Gibellina zum einen lebenswert, zum anderen zu einer touristischen Attraktion machen und damit nicht zuletzt eine Einnahmequelle im Armenhaus Italiens erschließen.

Tatsächlich stehen allerorten die Produkte teils durchaus namhafter Künstler herum. Sie morschen vor sich hin wie die Häuser und Gehsteige. Gewaltige Metallgebilde, die verrosten, seltsame brunnenartige Konstruktionen, riesenhafte Sterne, die sich über die Einfahrtstraße spannen, Inschriften, kühle Platzgestaltungen. Doch alles ist menschenleer und tot. Eine Geisterstadt, gespickt mit den Kunstprodukten von Menschen, die keine Ahnung von Ziegen und Weinreben haben, und die möglichst schnell wieder abgehauen sind von hier.

Eine alte, wackelige Filmaufnahme, schon in Farbe gedreht, zeigt einen Hochzeitszug in der alten Stadt, als die noch stand. Der Himmel ist so blitzblau und blankgeputzt wie Braut und Bräutigam darunter. Die Stadt wirkt wie ein Organismus, in dem die Häuser und die Menschen und deren Aktivitäten einander ergänzen und bedingen. Ein Organismus, der sich über Generationen zurechtgeschliffen und immer wieder erneuert hat, kann durch keine neue Struktur ersetzt werden. Das ist, als ob man ein neues Herz einpflanze, das aber immer wieder abgestoßen werde, weil es eben nicht das eigene, echte sei, sagt der Pfarrer der neuen Gemeinde. „Wir haben eine Stadt ohne Seele geschaffen“, sagt der amtierende Bürgermeister Vito Bonanno.

Die Kirche war das erste gewesen, was man sich nach dem Beben sehnlich gewünscht, auf deren Errichtung man ungeduldig gewartet habe. Doch ein paar Wochen vor ihrer Eröffnung stürzte das Dach ein. Das war 1972. Seither steht die Baustelle. „Ich sage es glasklar, dass ich in dieser Kirche niemals eine Messe lesen werde“, konstatiert der Pfarrer heute, er liest die Messe in der Schule und im Gemeindezentrum. Wie früher sitzen Frauen und Männer getrennt.

Doch - Frauen? Welche Rolle spielen die eigentlich? Wir begegnen in diesem Film so gut wie ausschließlich Männern. Männer haben diese Stadt gemacht. Männer haben die Kunstwerke gemacht. Männer haben die Politik gemacht. Männer haben die Plätze auf den Straßen in den weißen Plastiksesseln zu ihren Plätzen gemacht. Die Männer reden, während die Frauen irgendwo sind, jedenfalls verschwunden, hinter dem Herd wahrscheinlich.

Die einzige Frau in diesem Film ist die Pensionistin Antonia Civella, die im verwilderten „Botanischen Garten“ gerade einen großen Korb Maulbeeren pflückt. Damit die Familie etwas zu essen habe. Von den 200 Euro Pension, die ihr Mann bekomme, könnte man gerade die Zigaretten bezahlen. Der Baum, der gibt jedenfalls mehr her als alle Kunstwerke, die hier in der Gegend herumstehen. Was die produzieren, ist Rost, und den kann man nicht essen. Unter manchen von ihnen können wenigstens Ziegen grasen.

Einer der Künstler ist zurückgekommen, um sein zerfallenes Werk wieder zusammenschrauben zu lassen. Was es darstellt, ist nicht klar. Es sieht aus wie ein Hybrid aus dem Wrack eines bruchgelandeten Flugzeugs und dem Kadaver eines gestrandeten Wals.

Wenn die Arbeiter den Presslufthammer anwerfen, hält sich der Künstler die Ohren zu, singt dabei für sich ein Lied. Und er macht die Augen zu.

Das Experiment Gibellina ist gescheitert. Auch noch so viele autistische Kunstwerke haben die Seele dieser Stadt nicht einzufangen vermocht. Doch die Kunst für dieses Scheitern verantwortlich zu machen, wäre allzu billig. Ihr kann man nicht aufbürden, was die Architektur, der misslungene Städtebau den Menschen versagt.

Die Leute hier, sagt ein Mann im Laufe des Filmes, die seien eben noch nicht so weit gewesen, für die Kunst und die Häuser. Gut möglich, dass vielmehr die Architekten und Städtebauer noch nicht so weit waren, als sie für Wein- und Ziegenbauern Klein-Brasilia auf das Papier warfen.

Das wahrscheinlich einzige „funktionierende“ Kunstwerk befindet sich übrigens dort, wo früher die alte Stadt stand. Der Italiener Alberto Burri errichtete ab 1981 über den Ruinen ein gewaltiges Monument aus Beton. Eine großartige Arbeit. Die Häuserblöcke wurden zu etwa hüfthohen Monolithen ausgegossen, dazwischen entstanden die ehemaligen Gassen.

Durch die gehen mitunter die Alten. Dort, sagen sie, ist die Stelle, an der mein Haus gestanden ist. Dort haben wir gewohnt. Dort waren wir zu Hause.

[ „Gibellina - Il Terremoto“, ab 17. April im Filmhaus Kino, Spittelberggasse 3, 1070 Wien, www.stadtkinowien.at; www.sixpackfilm.com ]

4. April 2009 Der Standard

Die Nacht wird lang und kalt

Die Krise hat Developer, Bauindustrie und Architektur längst erreicht. Reduzieren, Reparieren, Recyklieren könnte einer der Wege hinaus sein.

Zuerst ein paar aktuelle Stimmen aus der internationalen Architektur- und Developerwelt:

„Ich zweifle keine Minute daran, dass wir ein neues Zeitalter äußerster Entbehrungen erreicht haben“, sagt Chris Johnson, Chef für Europa und den Mittleren Osten bei Gensler, der größten Architekturfirma mit 31 Niederlassungen weltweit. Dem Vernehmen nach wurden in den vergangenen Monaten zehn Prozent der rund 2600 Gensler-Mitarbeiter gekündigt.

„Die meisten Architekten werden sich verzweifelt darauf konzentrieren müssen, ihre Leute, Miete, Versicherungen und erst recht ihre Kredite zu bezahlen, so sie nicht ohnehin bereits allein arbeiten oder mit einem gutbezahlten Job an einer Universität gesegnet sind“, meint nüchtern Neven Sidor, Partner in der britischen Architekturschmiede Grimshaw.

„Klar, Architekten hatten jetzt eine Zeitlang einen Heidenspaß, aber alles ist schrecklich schiefgelaufen. Jetzt geht es um Arbeitslosigkeitsprogramme, um zu überleben. So schaut's nämlich aus“, unkt Richard Barkham, Direktor bei Grosvenor, einem weltweit agierenden Developer.

Die Zahl arbeitsloser Architekten steigt weltweit alarmierend an. Waren in Großbritannien im Februar 2008 ganze 150 auf Jobsuche, so waren es im heurigen Vergleichsmonat bereits 1290. In Nordirland hat jeder fünfte Architekt mittlerweile seinen Job verloren. Noch gravierender die Situation in Deutschland: Allein in Berlin waren mit Ende März 1702 Architektinnen und Architekten arbeitslos gemeldet.

Die Auswirkungen der Krise sind glasklar ablesbar, und der Trend wird sich, darüber sind alle einig, nicht so bald umkehren. Weltweit werden Projekte zurückgestellt oder ganz gestrichen, im besten Fall werden sie redimensioniert. Betroffen sind alle, insbesondere aber die großen Architekturfirmen, wie eben Gensler, SOM, Foster, Atkins, um nur ein paar der Überflieger zu nennen, die in den vergangenen Jahren in die Goldgruben von Taiwan, Schanghai, Dubai einflogen und dort mächtig schürften. Frank Gehry, der eben seinen 80. Geburtstag begangen hat, dürfte ebenfalls nicht in Feierlaune gewesen sein. Er musste in den vergangenen Wochen die Hälfte seiner Mitarbeiter auf die Straße setzen, weil mehrere Großprojekte auf Eis gelegt wurden.

Auf Klondike folgt Armageddon, sagt man in den Großbüros. Und angesichts dieser Szenarien der internationalen Architekturwelt darf auch hierzulande nachgefragt werden, wie die Aktien der vergleichsweise natürlich viel kleineren und ganz anders aufgestellten heimischen Architekturbüros stehen.

Die Prognose lautet: Warm anziehen. Die Nacht wird lang und kalt. Die baubezogenen Konjunkturpakete, das rechnete unlängst Andreas Gobiet, Präsident der Kammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten für Wien, Niederösterreich, Burgenland, vor, werden bedauerlicherweise das Kraut nicht fett machen. Bei einem Bauproduktionswert von zuletzt rund 17 Milliarden Euro in Hoch- und Tiefbau nehmen sich die veranschlagten 875 Millionen und somit 1,7 Prozent für die nächsten drei Jahre vergleichsweise schlank aus. Doch: weit besser als nichts. Zumindest die östlichste der vier Länderkammern hat nun für ihre Mitglieder ein Maßnahmenprogramm zur Bewältigung der Krise ausgearbeitet. Zum einen können Architekten und Planungsbüros ihre internen Strukturen in Form einer Betriebsberatung von Profis durchleuchten lassen. Zum anderen läuft über die Austria Wirtschaftsservice, kurz AWS, ein Förderprogramm zur Stärkung der betrieblichen Finanzierung an.

Diese Maßnahmen sind begrüßenswert, sie werden dennoch das, was man gemeinhin Strukturbereinigung nennt, nicht aufhalten. Noch gibt es nach Auskunft der Kammer hierzulande bis auf wenige Ausnahmen keine Büros, die akut ums Überleben kämpfen. Doch auch grundoptimistische Naturen können nicht davon ausgehen, dass dieser Zustand über die kommenden zwei Jahre bestehen bleibt.

Lediglich extrem gut organisierte, schlank aufgestellte und flexibel agierende Architekturbüros werden Überlebenschancen haben. Denn Fett anzusetzen hatten wahrlich bereits in den vergangenen Jahren die wenigsten von ihnen die Gelegenheit.

Obwohl die Situation für die einzelnen Planerinnen und Planer natürlich grimmig ist, darf der sogenannten Krise insgesamt dennoch Positives abgewonnen werden. Der internationale Wahnsinn des Schneller, Höher, Schriller ist vorerst vorbei. Die Architektur hat unter Umständen jetzt Zeit und findet gegebenenfalls auch Gehör bei den Großmächtigen, wieder zu universelleren, durchdachteren und insgesamt intelligenteren Planungen zurückzukehren. Reduzieren, Reparieren, Recyklieren mag die neue Devise lauten. Den Bestand evaluieren, sichern, verbessern. In neuen Projekten alles, was an ökologisch Sinnvollem einplanbar ist, mit entsprechender Planungszeit und Analyse zur Anwendung bringen. Im Idealfall nehmen sich Politik und Kapital die Architektur als Partner. War alles schon da. Auch in Zeiten anderer Krisen. Erfordert aber Paktfähigkeit von beiden Seiten.

21. Februar 2009 Der Standard

Der Raum spielt mit

Wenn „Revanche“ ins Rennen um den Oscar geht, haben ein paar Nebendarsteller mitgeholfen: grandios gewählte Drehorte, Projektionsräume der österreichischen Seele.

„Bekannte“, so schrieb der Kunstpsychologe Rudolf Arnheim in seinem Klassiker Kunst und Sehen, „erkennen wir aus großer Ferne schon an den elementarsten Proportionen oder Bewegungen.“

Wir erkennen sie auf einen Blick. Ob wir sie mögen oder nicht.

In Götz Spielmanns wunderbarem Film Revanche begegnen wir gleich einer ganzen Reihe von Bekannten - alten, jungen, hässlichen, schönen. Doch handelt es sich dabei nicht um Menschen, sondern um Räume. Um Häuser und Orte. Um Archetypen der österreichischen Bauseele, die wir so genau kennen, dass es mitunter wehtut.

In Räumen wie diesen sind wir alle irgendwann einmal gewesen, sind gegebenenfalls mit ihnen aufgewachsen, vielleicht sogar vor ihnen geflohen. Sie begrüßen uns auf der Leinwand wie alte Bekannte.

Denn jedem der menschlichen Charaktere, die diesen Film so präzise austariert tragen, ist das entsprechende Ambiente quasi auf den Leib geschneidert - und wie die Personen und ihre unterschiedlichen Lebenswelten miteinander verschmelzen, wie das eine das andere nachgerade bedingt und prägt, ist bis in das kleinste Detail meisterlich umgesetzt.

Wir sehen Alex in seiner schmuddeligen, hilflos kärglichen Junggesellenwohnung in Wien. Wir sehen den alten Bauern in seiner abgewirtschafteten, aber funktionierenden Kate im Waldviertel. Wir begegnen dem jungen Polizisten und seiner Frau in ihrem neuen, grauenhaft kleinbürgerlichen Haus auf dem Land, in dem die Leere des himmelblau ausgemalten Kinderzimmers wie eine Anklage zwischen den beiden steht.

Wir sehen schließlich die blutjunge ukrainische Hure Tamara. Sie ist die Einzige, die nicht in diesem Land aufgewachsen ist, die mit all diesen Räumen, ob in der Stadt oder auf dem Land, scheinbar nichts zu tun hat und der diese Räume deshalb auch nichts anhaben können, weil sie nicht mit ihnen verwurzelt ist, keine gemeinsame Geschichte mit ihnen hat.

Sie bewegt sich durch die plüschig roten Bars, durch die verspiegelten kalt-blauen Gemächer des Freudenhauses und durch die typischen grindigen Billighotelzimmer, in denen man den Lurch unter dem Bett förmlich riechen kann, als ob sie in Wirklichkeit nicht dazugehörte.

Sie ist nur dann ganz in ihrem eigenen, für uns aber nicht sichtbaren Raum, wenn sie nach Hause telefoniert. Irgendwie bleibt Tamara, die Hure, die einzige Unschuldige in diesem Spiel, das schließlich ausgerechnet sie das Leben kostet.

Und alle anderen bleiben dann zurück - festbetoniert in ihren Lebenswelten, die sich untereinander langsam vermengen, wenn die handelnden Personen jeweils in die Räume der anderen eindringen und dort ihre Kreise zu ziehen beginnen.

Die charakteristischen anonymen Architekturen als Archetypen spielen also ausnehmend wichtige Nebenrollen in diesem Film - und Kamera und Schnitt geben uns Betrachtern die Ruhe und das exakt richtige Timing, um in diesen Räumen quasi selbst ein bisschen Aufenthalt einzulegen.

Einen nicht nur räumlichen Fixpunkt nimmt dabei der Bauernhof des Großvaters von Alex ein. Dorthin kehrt er aus der Stadt zurück, nachdem er alles verspielt hat, was ihm wert war.

„In der Stadt“, sagt der alte Bauer, mit einer Härte, die zu der ihn umgebenden Landschaft gehört, „wirst entweder arrogant, oder du wirst ein Lump.“

Doch was das Land seinerseits mit den Menschen macht, das steht im Drehbuch ebenfalls deutlich zwischen den Zeilen zu lesen.

Dieser abgewirtschaftete alte Hof wird plötzlich zu einem Bindeglied zwischen den handelnden Personen und Zeiten. Er wirkt wie ein gerade noch existierendes Relikt einer eigentlich schon untergegangenen oder gerade verschwindenden Welt. Die ist so österreichisch wie das, was diese verblassende Epoche gerade abzulösen im Begriff ist.

Und das sind eben die Blaue-Lagune-Pseudovillen, wie der Polizist und seine Frau eine gleich nebenan auf die grüne Wiese gestellt haben: Räume von der Stange, völlig charakterlos und austauschbar und zu Tausenden in der zersiedelten Landschaft Niederösterreichs anzutreffen.

Räume, die sich die Menschen gewissermaßen zwanghaft über ihr eigenes Leben stülpen und die irgendwann einmal wichtiger werden, als das Leben selbst. Weil das Haus als in Beton und Ziegel, in Einbauküche und Vorgarten geronnener Lebensentwurf etwas ist, das eingehalten werden muss, koste es, was es wolle.

Gefunden hat all diese perfekten Kulissen die Set-Designerin Maria Gruber. Die Grazerin wurde für die Ausstattung von Revanche zurecht bereits mit Preisen ausgezeichnet.

Sie hat sich wochenlang auf die Suche nach diesen Häusern begeben, ist halb Niederösterreich abgefahren, hat dutzende Protz-Villchen und Bauernhöfe inspiziert, um dann schließlich die gewählten Drehorte gemeinsam mit ihrer Crew zu perfektionieren - vom Kaffeehäferl bis hin zum Sofa, vom Ofen samt Wasserschiff bis zum alten, zerschlissenen Vorhang.

Der Bauernhof beispielsweise ist eine Meisterleistung. Der stand, so sagt Maria Gruber, bereits einige Jahre leer, war aber teilweise noch möbliert.

Was bereits eingebrochen und abgebröckelt war, wurde restauriert, die Schablonenmalerei an den Wänden ergänzt. Die dazugehörigen Kartonscheiben fand sie noch auf dem Dachboden.

Alles passt hier, bis hin zur Resopalplatte des Tisches, deren Kühle diejenigen, die bei ihren Großeltern je an einem solchen saßen, förmlich unter der Handfläche zu spüren vermeinen.

Wie jeder gute Film nimmt Revanche sein Publikum mit auf eine Reise. Manchen wird es passieren, dass sie nach dem Film aus dem Kinosaal hinausgehen und die Stadt, ihre Straßen und ihre Häuser mit anderen, wacheren Augen sehen. Und natürlich auch das Land mit den alten Bauernhäusern und den neu in die Landschaft gestickten Kleinvillen. Für nichtösterreichische Betrachter muss das alles ausgesprochen exotisch wirken. Uns hingegen ist es bekannt bis an die Schmerzgrenze.

Lediglich ein kleiner Einwand zur Schlussszene sei erlaubt: Im Herbst, wenn die Äpfel reif sind, singt die Amsel nicht mehr. Die singt nur bis Juli. Das zumindest wissen die Landmenschen noch.

19. Februar 2009 Der Standard

„Die Stadt muss völlig neu gedacht werden“

Die Debatte um Energieeffizienz im Gebäudesektor strotzt vor grundlegenden Missverständnissen. Die Reduktion der Heizenergie ist nur ein Faktor, und der wird auch noch krass überbewertet.

Wenn derzeit allerorten über Energieeffizienz debattiert wird, wird irrtümlicherweise stets ausschließlich über den Heizbedarf in Gebäuden geredet. Das scheint auf den ersten Blick nachvollziehbar, wenn man beachtet, dass rund 40 bis 50 Prozent des weltweiten Energiebedarfs auf den Gebäudesektor entfallen. Die restlichen 50 Prozent teilen sich Verkehr und Industrie.

Doch diese Betrachtungsweise, die sich aktuell im Übrigen auch in jeder Menge Normen bis hin zu EU-weit gültigen Dekreten niederschlägt, ist aus vielen Gründen bei weitem zu kurz gegriffen.

Denn zum einen stellt die Energie, die auf Heizwärme entfällt, nur einen Anteil am tatsächlichen Energieverbrauch von Gebäuden dar. Schließlich muss auch jede Menge Energie für Lüftung, Kühlung etc. aufgewendet werden.

Zum anderen ist der vielstrapazierte Begriff „Energieeffizienz“ eben nicht gleichzusetzen mit Energiesparen, sondern bezeichnet vielmehr das Verhältnis zwischen energetischem Input und Output. Im Gebäudekontext ist damit das Verhältnis zwischen Raumklima und der Quantität der Energiemenge gemeint, die zugeführt werden muss, um dieses aufrechtzuerhalten.

Fehlende Gesamtberechnung

Brian Cody, Vorstand des Instituts für Gebäude und Energie der Technischen Universität Graz, steht den derzeit politisch so beliebten Dekreten aller Art äußerst skeptisch gegenüber: „All diese Energieausweise und Pässe messen lediglich den Energiebedarf, also wie viele Kilowattstunden ein Gebäude verbraucht.“

Doch diese Rechnung, so Cody, sei sehr simpel gestrickt. Denn eine Vielzahl von mindestens ebenso relevanten Faktoren werde schlichtweg nicht berücksichtigt, eine Gesamtberechnung fehle. Zum Beispiel werde kaum je zwischen Quantitäten und Qualitäten von „Energie“ unterschieden: „Thermische Energie und elektrische Energie haben ganz andere Qualitäten, und während Elektrizität eine hochwertige Energieform darstellt, die aufwändig zu erzeugen ist, ist thermische Energie für Raumwärme eine niederwertige Energieform.“

Doch das alles wird ständig missverständlich miteinander vermischt. Ein Beispiel: Die so vehement propagierten Niedrigenergie- und Passivhäuser haben zwar einen erfreulich geringen Wärmeenergiebedarf, doch wenn man genau hinschaut, sind sie als System sehr kritisch zu hinterfragen.

Denn zuerst einmal müssen sie gebaut werden - und allein bei der Herstellung von dreifach verglasten Fenstern, von supergedämmten Bauteilen, von Haustechnikzentralen und mechanischen Lüftungssystemen wird exorbitant viel Energie verbraten, die sich später wundersamerweise allerdings in keiner „Effizienzberechnung“ wiederfindet. Eine Studie über Doppelfassaden, die Codys Institut durchführte, zeigte beispielsweise, dass es rund 25 Jahre dauert, bis die Energie, die für die Produktion dieser Fassade aufgewendet wurde, über die reduzierten Betriebskosten wieder eingespielt sei.

Cody: „Das ist ein gutes Beispiel dafür, dass man ein falsches Ergebnis bekommt, wenn man die Herstellungsenergie nicht mitberücksichtigt.“ Doch es gibt noch weitere vernachlässigte Aspekte. Vor allem die derzeit so gut wie ausschließlich objektbezogene Betrachtung energetischer Maßnahmen - also das Einpacken einzelner Häuser - macht in Summe als Pauschallösung wenig Sinn.

Das mit erheblichen Energiemengen produzierte superenergieeffiziente Einfamilienhaus auf der grünen Wiese, das von seinen Bewohnern täglich mit dem Pkw angesteuert wird, ist letztlich eine Farce. Wer vielmehr eine ganzheitliche Betrachtung anvisiert, landet sehr schnell bei größeren Strukturen, und zwar beim System Stadt. Und das, so Cody, „muss völlig neu gedacht werden“ (siehe auch Interview Seite 18).

Für das international vielbeachtete Energieforschungsprogramm von Verkehrs- und Wirtschaftsministerium - „Energie der Zukunft“ - erforscht beispielsweise derzeit ein interdisziplinäres Team, bestehend aus Architekten, Ingenieuren, Verkehrsplanern und Soziologen, die energetischen Strukturen von Dienstleistungsunternehmen.

Denn Lebens- und Arbeitswelt haben sich im vergangenen Jahrzehnt dramatisch verändert, und in welcher Form städtebauliche Strukturen diesen Veränderungen entsprechen könnten, wie Bürogebäude neu gedacht werden, Wohnhäuser neu ausgeformt werden könnten, dürfte der Knackpunkt für künftige Entwicklungen nicht zuletzt auf dem Energiesparsektor werden. Nur wer in gesamten Systemen denkt, wird sinnvolle Lösungen finden. Und wer, wenn nicht Architekten und Ingenieure, wären dazu aufgerufen, als hochqualifizierte Fachleute der Politik gemeinsam Lösungen zu präsentieren. Auf dem internationalen Markt passiert das längst.

Architekten und Ingenieure schließen sich zu Unternehmen zusammen und planen in China, Taiwan, den Emiraten energetisch optimierte Stadtteile, während sich die EU in Wärmekoeffizienzdebatten verzettelt.

Das schnelle Verpacken morscher Gemäuer mit tonnenweise Dämmmaterial, das nicht zuletzt der Kategorie Sondermüll zuzuordnen ist, der im Übrigen auch irgendwann einmal entsorgt werden muss, hat jedenfalls mit zukunftsweisenden Strategien in Sachen Energieeffizienz herzlich wenig zu tun. Die thermische Sanierung ist nur ein Faktor in einem wesentlich komplizierteren Spiel. Doch dass dieses funktioniert, wenn man lang und gut und interdisziplinär nachdenkt, beweisen unter anderem die in Systemen und eben nicht nur in Einzelmaßnahmen denkenden Energieregionen, von denen es in Österreich erfreulicherweise eine Menge gibt.

13. Februar 2009 Der Standard

Millionengrab Küniglberg

Das Feststellungsverfahren über den Denkmalschutz des ORF-Zentrums ist eingeleitet. Übersiedeln wird die Anstalt wohl dennoch. Ihr bleibt wenig anderes übrig.

Die in den vergangenen Jahren von unterschiedlicher Seite immer wieder gestreute Meldung, das ORF-Zentrum auf dem Wiener Küniglberg stehe bereits unter Denkmalschutz, war falsch. Wie der Standard berichtete, wird ein entsprechendes Feststellungsverfahren für die letztgültige Unterschutzstellung des Roland-Rainer-Baus eben eingeleitet - und damit gilt die Unterschutzstellung ab sofort.

Der entsprechende Bescheid wird demnächst an den Grundstücks- und Immobilienbesitzer ORF gehen. Die Dauer des Verfahrens ist nicht absehbar, es kann sich gegebenenfalls um Jahre handeln. Denn: Der ORF hat nun erstmals offiziell die Möglichkeit, im Zuge des Verfahrens seinerseits Gutachten über Bauzustand und Benutzbarkeit des morschen Gemäuers vorzulegen - und weder das eine noch das andere entspricht zeitgemäßen Standards.

Die Einleitung des Verfahrens, das von der MA 19 initiiert wurde, macht Sinn und erklärt sich laut Planungsstadtrat Rudolf Schicker auf Anfrage des Standard folgendermaßen: „Wir brauchen Rechtssicherheit darüber, welche Möglichkeiten der Veränderung auf diesem Areal überhaupt gegeben sind.“

Die mit einer Bruttogeschoßfläche von 150.000 Quadratmetern nachgerade gigantische Anlage ist größtenteils rund 40 Jahre alt und bautechnologisch mehr als überholt. Und: Sie entspricht auch in Architektur und innerer Gebäudelogistik in keiner Weise einem zeitgenössischen Medienunternehmen. Die Burg am Berg hat ihre Lebenszeit bei weitem überschritten, so avanciert ihre Architektur zur Zeit ihrer Entstehung auch gewesen sein mag.

Eine Generalsanierung des Gebäudes würde an die 80 Millionen Euro verschlingen - eine Summe, die vom ORF auf Anfrage weder dementiert noch bestätigt wurde, die sich aber nach gängigen Indizes leicht errechnen lässt. Die dem Standard vorliegenden Studien dokumentieren jedenfalls eine Mängelliste, die schier endlos ist.

Sie beginnt beim Tragwerk, das aktuellen Normen nicht entspricht, weil die Auflager der tragenden Struktur nach heutigen Kriterien viel zu kurz dimensioniert sind. Das setzt sich fort bei einer Betondeckung von gerade einem Zentimeter, was über die Jahre die Bewehrungseisen formschön rosten, den Beton abplatzen ließ.

Rost und abplatzender Beton

Dabei wurde noch nicht einmal eingerechnet, dass die der EU-Norm angepasste Erdbebennorm im Falle einer Generalsanierung zu berücksichtigen wäre. Der Bereich Küniglberg wurde von Zone 1 auf Zone 3 gewertet, nachzuweisen wären also zumindest dreifache Horizontallasten - ein konstruktives Ding der Unmöglichkeit, soll das Gebäude in seiner baulichen Charakteristik dem Denkmalschutz entsprechend erhalten bleiben.

Weiters im Argen liegen Haustechnik und Wärmedämmung, Brandschutz sowie Belastbarkeit der Decken; und dass die Gebäudehülle an mehreren Stellen immer wieder Lecks aufweist, sollte ebenfalls noch Erwähnung finden.

Das Gutachten eines Schweizer Unternehmens empfahl bereits vor einiger Zeit, die Nutzlast sicherheitshalber auf zwei Kilonewton (entspricht etwa 204 Kilogramm) pro Quadratmeter zu reduzieren, was laut ORF aufgrund der logischerweise im Gebäude befindlichen Maschinerien und technischen Infrastrukturen eher schwierig werden dürfte. O-Ton einer ORF-Führungskraft: „In längstens fünf Jahren erreichen die Schäden eine kritische Größe, dann müssen wir bis zu den Grundfesten absichern, um die Substanz zu erhalten. Die Angelegenheit wird zu einem Fass ohne Boden und steuert in ökonomische Dimensionen, die nicht finanzierbar sind.“

Aus diesem Grund ist der ORF längst auf der Suche nach einem geeigneten Grundstück, auf das mithilfe einer Errichtungsgesellschaft ein maßgeschneidertes Haus hingestellt und vom ORF gemietet werden könnte. Dieses wäre mit 80.000 Quadratmetern de facto nur noch halb so groß wie die Burg und würde pro Jahr allein an Betriebskosten rund drei Millionen Euro sparen.

Kleine Berechnung: Bei einem günstigen Zinssatz von fünf Prozent, auf 25 Jahre gerechnet, ließe sich mit dieser Differenz bereits die Errichtung des halben Gebäudes finanzieren. Fazit: Wenn der ORF nach betriebswirtschaftlichen Kriterien agiert - oder vielmehr, wenn ihn Politik und Stiftungsräte agieren lassen - siedelt er besser heute als morgen in eine adäquate Neubehausung um.

Von den 14 derzeit beäugten Grundstücken ist nach wie vor jenes im Bereich Baumgasse, St. Marx, das am probatesten erscheinende, nicht zuletzt weil die Stadt Wien dort einen Mediencluster plant und den ORF an diesem Standort als Flaggschiff mehr als begrüßen würde. Finanzstadträtin Renate Brauner äußerte sich unlängst sehr entgegenkommend zu einer Neuansiedlung: „Wir würden das sehr gerne unterstützen.“

Auch Stadtchef Michael Häupl hält einen Umzug des ORF in das „Media Quarter“ für „vernünftig“, und Rudolf Schicker rundet die stadtpolitisch traute Einigkeit folgendermaßen ab: „Um eine rasche Lösung zu ermöglichen, würden wir, was Widmung und Baubewilligung anlangt, deutlich hilfreich sein.“

Was aber geschieht mit der Burg am Berg? Ein denkbares, aber unangenehmes Szenario: Der ORF siedelt aus, engagiert einen Wachdienst und überlässt das Haus ansonsten seinem Schicksal. Die Umwidmung in ein Pensionistenheim schließt Schicker aus: „Der Bedarf ist bis 2030 gedeckt.“ Er kann sich jedoch eine Nutzung als Bürobau oder als Hotel vorstellen, merkt aber vorsichtig an, dass die Angelegenheit jedenfalls „schwierig wird“.

Gewinn kann der ORF aus der Latifundie kaum schlagen: Ein Abriss der Anlage würde fast so viel kosten, wie das Grundstück wert ist. Nur wenn eine neue Flächenwidmung eine hohe Verdichtung zuließe, bliebe bei einer Veräußerung ein- geringer - Gewinn übrig.

Publikationen

2015

Funkhaus Wien
Ein Juwel am Puls der Stadt

Argentinierstraße 30a: Diese Adresse ist nicht nur Radiohörern ein Begriff. Hier befindet sich das ORF Funkhaus, einer der kulturellen Brennpunkte des Landes. Heimat von Ö1, FM4 und des Landesstudios Wien, aber auch Spielstätte des Radio-Symphonieorchesters. Im Großen Sendesaal wurde Radiogeschichte
Autor: Ute Woltron, Peter Stuiber
Verlag: Müry Salzmann Verlag