Bauwerk

Albertina
Erich G. Steinmayr, Friedrich H. Mascher, Hans Hollein, Arkan Zeytinoglu - Wien (A) - 2002
Albertina, Foto: Margherita Spiluttini
Albertina, Foto: Margherita Spiluttini

Besuch in der alten Dame

Viele Veränderungen, einige Verbesserungen und keine nennenswerten Verschlechterungen: Der zweite Um- und Neubau der Albertina innerhalb von fünfzig Jahren ist gelungen, aber noch unvollendet.

19. März 2003 - Jan Tabor
Noch ähnelt die Albertina Lady Godiva: halb enthüllt, halb verhüllt. Noch sind die Rekonstruktionsarbeiten an den Fassaden nicht beendet. Die bereits enthüllte Hälfte der neu-alten Nobelherberge für feine Kunst ist die Seite zum Albertinaplatz hin. Hier fallen einige Veränderungen auf: Die ursprüngliche Fassade, die im Zuge des Umbaues von 1954 modernisiert - das heißt: teils abgeschlagen und teils neu gestaltet - wurde, wurde nun teils rekonstruiert und teils neu gestaltet. Rekonstruiert wurde, so tief es geht: bis zum Sockel, der ein Werk der Architekten des ersten Umbaues, Otto Nobis und Alfred Dreier, ist.

Der Umbau, der ein Wiederaufbau nach schweren Kriegsschäden von März 1945 war, kann als eine Aufstockung des Kellers bezeichnet werden. Ursprünglich steckten die beiden Kellergeschoße hinter einer langen Rampe, die zur Basteiterrasse führte, wo sich der Eingang befand. Um einem neuen Eingang direkt von der Straße aus Platz zu machen, wurde die Rampe abgetragen und durch eine kurze, steile Stiege ersetzt. Die beiden Kellergeschoße wurden freigelegt und zum Sockel gemacht: Aus dem drei Etagen zählenden Palais war ein „fünfgeschossiges Zinshaus“ geworden, wie Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder treffend bemerkt hat. Der neue Eingang wurde mit einem monumentalen Balkon aus Stein markiert, dessen Brüstung den Staatswappenadler darstellte: Damit sollte vermutlich symbolisiert werden, was Bert Brecht von der Kulturpolitik verlangte: Nicht die Kunst, der Zugang zur Kunst muss demokratisiert werden.

Nach dem Brand der Redoutensäle 1992 hatte die Republik 1993 einen Wettbewerb ausgeschrieben: In dem verwinkelten engen Gebäude sollte ein geräumiger Hochsicherheitstrakt samt Depot, Restaurierwerkstätten und Studienräumen untergebracht werden. Den schwierigen Wettbewerb gewannen die Architekten Erich G. Steinmayr und Friedrich H. Mascher mit einer kühnen Idee: Die Raumvolumina sollten unsichtbar in die Bastei auf der Burggartenseite verlegt werden.

1999 - die unterirdische Erweiterung war weitgehend fertig - wurde der Direktor gewechselt. In einem fünfstöckigen Zinshaus pflegt ein Mann wie Klaus Albrecht Schröder nicht zu residieren. Er proklamierte: Was rekonstruiert werden kann, wird rekonstruiert; was renoviert werden kann, wird renoviert; alles, was neu gemacht werden muss, darf, wenn es nicht anders geht, neu aussehen. Allerdings nur so weit neu, dass das Alte nicht gestört wird - das ist wohl ein Grund, weshalb mit der Neugestaltung der äußeren Erscheinung der Altmeister der österreichischen Postmoderne, Hans Hollein, beauftragt wurde. Der andere Grund ist die Befindlichkeit der edlen Förderer: Mit einem Stararchitekten lassen sich Sponsorengelder leichter auftreiben.

Nachdem sich Schröders Wunsch, die Rampe zu rekonstruieren, als unfinanzierbar erwiesen hatte, hat Hollein den Sockel postmodern barockisiert: Die rekonstruierte obere Altfassade samt einem alt-neuen Beletagebalkon wird von der Kellersockelfassade unten durch 14 mit Steinmanschetten umrahmte Okuli (Rundfenster) getrennt. Die horizontale Anschwellung in der Form eines abgerundeten Gesimses - ein alter barocker Trick - simuliert den Druck der Baumasse und versinnbildlicht so das Gewicht der Kunstinstitution Albertina. Vorläufig sieht alles vortrefflich gemacht aus, der Umbau ist aber noch nicht vollendet. Es fehle Geld, erklärt Hans Hollein, ein Sponsor habe abgesagt. Die monumentalen, aber zwecklosen Fenster aus den Fünfzigerjahren sollen unter einer homogenen Sandsteinverkleidung verschwinden, die durch schräg nach unten verlaufende Wellen geformt ist.

Die wichtigste Verbesserung für die Öffentlichkeit ist die Verlegung des Haupteinganges auf die Terrasse. Auch hier ist noch viel zu tun: Das Flugdach aus Titan fliegt noch nicht. Es gebe keine Schwierigkeiten mit der Konstruktion, sondern lediglich „offene Fragen bezüglich der Kosten- bzw. Herstellungsvarianten“, erklärt Hollein die Verzögerung. Das als Wahrzeichen der neuen Umstände vorgesehene Dachobjekt ist zwar völlig überflüssig, aber unverzichtbar: als Ersatz für den demolierten Staatsbalkon.

Die Albertina ist eine Architekturcollage. Der Umbau von 1954 war eine bemerkenswert qualitätsvolle Lösung. Dies wird nicht nur dadurch anerkannt, dass wesentliche Bestandteile erhalten geblieben sind. Die Architektur des neuen Foyers (Steinmayr/Mascher), zu dem der nun verglaste Innenhof gehört, sowie die des Restaurants (Arkan Zoytinnoglu) und des Museumsshops (Callum Lumsden) schließen bewusst an die Ästhetik der Fünfzigerjahre an.

Eine Veränderung, die keine Verbesserung ist, ist eine Verschlechterung, meinte einst Adolf Loos. Die Architekten des zweiten Umbaues, Schröder inbegriffen, haben in und an der Albertina zahlreiche kleine und fundamentale Veränderungen vorgenommen. Keine nennenswerte Verschlechterung, nirgends. Lauter Verbesserungen. Ein neuer, brauchbarer und durch die beinahe labyrinthische Gliederung der vielen mittelgroßen Räume ungemein spannender Ausstellungssaal im historischen Gebäude. Der Basteisaal ist mit Abstand der beste unter den zahlreichen Ausstellungsräumen, die in Wien in letzter Zeit neu errichtet wurden.

Das Einzige an und in der neuen Albertina, worüber man fast so vortrefflich wie über den Geschmack streiten könnte, sind die Farben. Das neumodische Dunkelbraun der Eichenholz-Parkettböden in den Ausstellungssälen. Das altmodische Damenunterwäsche-Rosarot der Innenhoffassade. Das Jugendstilmuster der Marmorbodenbeläge. Die synthetische Buntheit der seidenen Wandbespannungen. Ästhetik für jedermann, strapazierbare Eleganz: ein Ausstellungshaus für den Massenandrang. Ab jetzt sollen, Schröders Ehrgeiz folgend, jährlich 800.000 Füße durch die Albertina trampeln.

Man könnte meinen, aus der vornehm verstaubten Graphischen Sammlung sei ein Disneyland der Kunst geworden. Man kann aber auch mit Brecht vermuten: Klaus Albrecht Schröder ist in Wirklichkeit ein heimlicher 68er, der nicht anders kann, als die Massen und die Kunst zusammenzuführen. In Wirklichkeit hat er die Albertina demokratisiert. Der neue Eingang ist über das Massenverkehrsmittel Rolltreppe bequem erreichbar.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Falter

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at