Bauwerk

Albertina
Erich G. Steinmayr, Friedrich H. Mascher, Hans Hollein, Arkan Zeytinoglu - Wien (A) - 2002
Albertina, Foto: Margherita Spiluttini
Albertina, Foto: Margherita Spiluttini

„Hundert Prozent Seide“

Marmor, Granit, Travertin. Palisander, Kirsch- und Eichenholz. Gold, Seide und satiniertes Glas: Für die Renovierung der Albertina, die am 14. März wiedereröffnet wird, wurden nur die edelsten Materialien verwendet. Und kein Wellblech. Denn das Palais ist keine Hütte.

8. März 2003 - Thomas Trenkler
Ein Museum mit Weltgeltung nach einem Jahrzehnt bloß wiederzueröffnen, wäre wohl unter der Würde eines Klaus Albrecht Schröder. Der Direktor spricht daher immerzu von einer - mehr oder weniger - „Neugründung der Albertina“. Lautet doch sein Motto, mit dem er, in erhabene Pose geworfen (Stand- und Spielbein, den einen Arm ganz locker auf die Türschnalle gelegt, den anderen noch lockerer in der Hosentasche versenkt), Printwerbung für einen Versicherungskonzern macht: „Vor mir die Kunst, Großes noch größer zu machen.“ Und die Albertina ist ziemlich groß. Mit über einer Million Drucke und Hunderttausenden Zeichnungen die größte Institution ihrer Art.

Dass die Albertina am 14. März wiedereröffnet wird: Daran besteht kein Zweifel. Auch wenn selbst eine Woche vor dem Staatsakt auf der Augustinerbastei das pure Chaos herrscht. Allerorts werken Tischler, Maurer und Monteure, Glaser, Tapezierer und Restauratoren. Viele werden auch danach weiterarbeiten. Denn trotz der Verschiebung der Eröffnung um ein halbes Jahr wird so manches Vorhaben nicht rechtzeitig umgesetzt sein. Wer sich dieser Tage der Albertina nähert, glaubt sogar ein Manifest der Niederlage erkennen zu können. Die Burggartenseite des Palais ist eingerüstet. Von Schanigarten keine Spur. Er müsse auch künftig Druck machen, sagt Schröder, „extremen Druck“. Denn spätestens Anfang April haben die 45 Zwerglinden gepflanzt zu sein.

Die dem Hrdlicka-Mahnmal zugewandte Seite hingegen ist zwar so gut wie fertig. Aber doch ganz anders, als es sich Schröder erträumt hatte. Denn der Direktor wollte den klassizistischen Zustand wiederhergestellt wissen. Und der besagt, dass entlang der Augustinerstraße eine Rampe auf die Bastei führt. Sie war, obwohl nicht beschädigt, nach dem Weltkrieg abgetragen worden. Von dieser Idee hatte sich Schröder schon bald verabschieden müssen. Auch aufgrund der enormen Kosten. Die ursprüngliche Gliederung der Fassade hingegen brachte er durch. Und statt des massiven Balkons aus Beton, den man in den 50er-Jahren fälschlicherweise im Erdgeschoß des Palais angebracht hatte, gibt es nun wieder einen originalgetreu rekonstruierten aus geschmiedetem Eisen - im mondänen Piano nobile.

Ob der fehlenden Rampe lagen in den letzten Jahrzehnten die beiden Kellergeschoße bloß. Sie liegen es auch jetzt. Wenn auch anders: Hans Hollein markierte die Trennungslinie zum Palais mit einem schweren Gesims. Und schnitt darunter eine Reihe plumper Bullaugen ins Mauerwerk. Dass ihm diese Lösung widerstrebt, würde der Direktor öffentlich nie zugeben. Das Bundesdenkmalamt hätte auf dieser Lösung bestanden. Und er, Schröder, sei der Letzte, der nicht zu der Entscheidung steht.

Immerhin betritt man die Albertina jetzt wieder durch den Haupteingang auf der Bastei. Und nicht durch den Keller. Beziehungsweise: Man durchstößt die Bastei mit Lift oder Rolltreppe, um die Albertina durch den Haupteingang betreten zu können. Und wird selbst bei Regen nicht nass werden: Denn weit über die Bastei hinaus soll ein Flugzeugflügel-ähnliches Dach aus Titan kragen, das Hollein gestaltete. Doch das Wunderwerk der Technik, 64 Meter lang, ließ sich bisher nicht realisieren. Es werde nun in Russland produziert, sagt man, und soll ab Herbst über der Bastei schweben.


Zu Schröders Ärger hat der Burghauptmann kein Geld für die Bepflasterung springen lassen. Billiger Asphalt umgibt das Reiterstandbild von Erzherzog Albert, dem Gründer der Albertina. Und auf billigem Asphalt muss man sich dem Tempel der Musen nähern. Doch dann, hat man den gläsernen Windfang passiert, steht man inmitten der Pracht. Inmitten der „kostbarsten, wertvollsten Materialien“, sagt Schröder. „Wir haben uns auch bei der zeitgenössischen Architektur“ - der Direktor betont immer das Zeitgenössische der Architektur - „am Anspruch des Palais mit seinen Prunkräumen orientiert. Und greifen nicht zurück auf Wellblech.“ Die Albertina ist schließlich keine Hütte. Daher schwarzer Granit aus China, laut Schröder der „nero assoluto“. Zudem grün-roter Marmor aus Ostanatolien, der „rosso levante“. Und das 15 Meter lange Foyer - man könnte auch Schlauch sagen - ist ausgekleidet mit hellem Travertin. 28 Tonnen Stein hat man insgesamt verarbeitet.

Am Ende des Tunnels (neu errichtet, da dieser Teil beim Bombenangriff 1945 völlig zerstört wurde) wartet das Licht: Den Innenhof, Schröder nennt ihn „Court“, hat man überdacht und in den Zustand von 1850 gebracht. Nun herrscht wieder die alte Anordnung der kleinteiligen Fenster, selbst die Farben, Apricot und Elfenbein, seien originalgetreu.

Linkerhand gelangt man ins Do&Co-Restaurant. Arkan Zeytinoglu, von dem die Bar Italia stammt, hat es designt. Ein mächtiger Palisander, in Scheibchen geschnitten (insgesamt 600 Quadratmeter), bildet die Oberfläche der Bar, der Wände, der Toiletten. „Das schönste Restaurant von Wien“, sagt Schröder. Es lebe der Superlativ. Vis-à-vis der Museumsshop des britischen Innenarchitekten Callum Lumsden. Die Möbel sind aus Kirschholz, schwarz lasiert, und rosa Glas. „Sehr elegant“, sagt Schröder.

Geradeaus geht es in die ovale Minerva-Halle, 1822 von Joseph Kornhäusel errichtet. Ab der Göttin der Weisheit, die selbstbewusst in einer Nische thront, schreitet man auf weißem Marmor zu den Ausstellungsbereichen. Eine Rolltreppe führt hinunter in die neue Basteihalle. „Convenience ist alles“, sagt Schröder. „Die Rolltreppe habe ich gewollt und geplant.“ Das Design zumindest stammt von den Architekten Erich G. Steinmayr und Friedrich H. Mascher: Der Schacht ist mit Milchglasscheiben - Schröder sagt natürlich „satiniertes Glas“ - verkleidet, hinter denen Batterien von Neonröhren leuchten. Eine Himmelfahrt in den Untergrund. Dort geht es weiter auf Eichenparkett: „Dunkel gebeizt, raffiniert verlegt, extrem widerstandsfähig“, sagt Schröder. Der White Cube mit vielen Gestaltungsmöglichkeiten ist groß. Wie groß? „1000 m²“, sagt Schröder. „800 Quadratmeter“, sagen die Architekten.

Von der Minerva-Halle kann man aber auch geradeaus weitergehen: durch den Säulengang bis zur Sphinxstiege. Dabei passiert man die Pfeilerhalle. Hier hätte ursprünglich der Lift eingebaut werden sollen. Als Schröder im Herbst 1999 zum Direktor berufen wurde, war der Schacht bereits ausgehoben. Welch Frevel! Schröder ließ ihn zuschütten, um die Halle in ihrer Integrität zu erhalten. Nun nutzt er sie für Wechselausstellungen. Nebenan das Kinderatelier mit fünf Räumen: Gleichzeitig können mehrere Schulklassen betreut werden. „Das hat kein anderes Museum“, sagt Schröder.

Über die viergeschossige Sphinxstiege führt der Weg ins Piano nobile mit den restaurierten Prunkräumen. Kurioserweise ist die Innenausstattung älter als der Gebäudetrakt: Sie war 1780 für Schloss Laecken angefertigt worden. Und Erzherzog Albert nahm sie mit, als er 1792 vor den Franzosen floh. Nun strahlen diese Räume wieder, die jahrzehntelang auch als Depots genutzt worden waren. 32 Kilometer Leisten wurden restauriert und vergoldet. Und die Wandbespannungen konnten perfekt rekonstruiert werden. Denn in jedem Saal hätten sich Reste von diesen erhalten gehabt. Daher konnte man sie wie einst von Rubelli in Venedig weben lassen. „Hundert Prozent Seide“, sagt der Direktor. „Mit der originalen Musterung.“

Dass die Albertina „das schönste klassizistische Palais Mitteleuropas“ ist: Wer würde das infrage stellen? Das Vestibül. Das Konversations- oder Kaminzimmer. Die Garderobe von Erzherzog Carl, dann dessen Schlafzimmer, das Goldkabinett, der Teesalon, das Billardzimmer. Der Musensaal, der allein zwei Millionen Euro kostete. „Ich bin sehr stolz“, sagt Schröder. Das Lesezimmer, in Gelb gehalten. „In Gold“, verbessert Schröder. Der Audienzsaal in Purpur. „In Kardinalsrot“, sagt Schröder. „Das ist schon eine Pracht.“ Dann das Rokokozimmer, das so heißt, weil die Einrichtung jüngeren Datums ist: Mathilde, die Tochter von Albrecht, rauchte heimlich, fing Feuer wie Paulinchen und verendete kläglich. Die Wände sind daher nicht mit Seide ausgekleidet, sondern mit Satin. Zum Schluss das Wedgwoodkabinett in Lila und das Spanische Appartement.

Die Klimaanlagen, die 400 Kilometer Lichtwellenleiterverkabelung: alles versteckt in Wandnischen und Kaminen. „Wir haben ein Palais des 18. Jahrhunderts auf dem technischen Stand des 21. Jahrhunderts“, sagt Schröder. Nagelneu auch die Propter-Homines-Halle im Augustinerkloster, eigentlich ein Rundgang mit zehn Sälen. „Radikale Modernisierung“, sagt Schröder immer wieder. Das gilt ganz besonders für diesen Bereich: Der Direktor ließ Kaminmauern und Bibliotheksgang niederreißen, um Platz für die Wechselausstellungshalle zu schaffen. Wie groß sie ist? „Knapp 1000 Quadratmeter“, sagt Schröder. „Rund 800 Quadratmeter“, sagen die Architekten.

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