Bauwerk

Tiefgarage im Zentrum
Szyszkowitz · Kowalski - Graz (A) - 2003
Tiefgarage im Zentrum, Foto: Angelo Kaunat
Tiefgarage im Zentrum, Foto: Angelo Kaunat

Licht unter der Erde

Offenheit, Transparenz, Überschaubarkeit: eine Tiefgarage in der Grazer Altstadt, die ohne „Frauenparkplätze“ auskommt. Weil nichts an den sonst üblichen „Angstraum“ erinnert.

15. Januar 2005 - Liesbeth Waechter-Böhm
Tiefgaragen sind keine Orte architektonischer Profilierung. Sie sind vorgeschrieben, notwendig und - kommerziell. Sie müssen sich rechnen. Und weil niemand fürs Parken viel zahlen will, bleibt für die Architektur auch nichts übrig. Tiefgaragen sind triste Orte. Ein Balken vorn bei der Einfahrt, ein Balken hinten bei der Ausfahrt. Und dazwischen Bunkeratmosphäre.

Das Grazer Architektenehepaar Karla Kowalski und Michael Szyszkowitz hat in der Grazer Altstadt eine Tiefgarage gebaut. Sie steht im Zusammenhang mit vielen architektonischen Maßnahmen, die die beiden für das größte Kaufhaus der Stadt, für Kastner & Oehler, realisiert haben. Man konnte es über lange Jahre beobachten, wie in der Grazer Altstadt, zunächst im Stammhaus von Helmer und Fellner, dann in den angrenzenden Stadtpalais und Bürgerhäusern, in die sich das Kaufhaus ausgedehnt hatte, zeitgenössische architektonische Interventionen stattgefunden haben.

Ein gläsernes Vordach entlang der Sackstraße hier, gläserne Brückenverbindungen zu den hinzugekommenen Häusern da. Feine, sensible Maßnahmen, Hofüberglasungen eingeschlossen, die eine überaus angenehme Atmosphäre schaffen und das schwierige Problem meistern, aus einem durchaus heterogenen Gebäudeensemble eine - wenn auch differenzierte - Nutzungseinheit zu machen. Das konnte nur mit fließenden Übergängen bewerkstelligt werden, die für die Besucher und Kunden reizvoll sind. Diese Erlebniskomponente gehört heute zum Einkaufen dazu. Hier wird sie durch die architektonische Lösung unterstützt, weil sich Gegenwart und Altbestand immer wieder interessant überlappen. All das riecht ein wenig nach Süden, und von den Grazern wurde es offensichtlich angenommen.

Von der Tiefgarage heißt es angeblich, sie sei die einzige „bewohnbare Tiefgarage Europas“. Das klingt hoch gegriffen, falsch ist es sicher nicht. Auch wenn Szyszkowitz und Kowalski betonen, dass es Vorbilder für ihr Konzept gegeben habe, und zwar in Frankreich. Das Konzept ist jedenfalls auf den ersten Blick so einfach wie einleuchtend: Es gibt das eigentliche Garagenbauwerk, für das eine bestehende Straßenunterführung als Einfahrt genutzt werden konnte. Man kommt dadurch sehr flach hinein und kann schon im ersten Untergeschoß parken. Die Parkgeschoße selbst sind als durchgehende Rampe mit einer ganz geringen Schräge ausgebildet und durchaus großzügig dimensioniert. Neben dieses Garagengebäude sind zwei Erschließungseinheiten gesellt, jede mit voll verglastem Lift und einem formal sehr schön gelöstem Treppenhaus, das sich geradezu skulptural in die Höhe windet - mit einem „vollen“ Geländer aus gebürstetem Edelstahl.

Einer der „Tricks“, die sich so wohltuend auswirken, besteht im verschwenderischen Einsatz von Glas. Glas in der Architektur - nicht schon wieder, wird mancher denken. Aber diese Glaswände in den Ausgangsbereichen machen die gesamte Garage zu einem überschaubaren Ort. Man ist zwar im Keller, aber dieser Keller ist transparent. Und damit werden von vornherein, allein durch die architektonische Lösung, viele der unangenehmen Begleiterscheinungen solcher Unorte ausgeschaltet.

Neben diesem Garagengebäude steht aber noch ein zweites. Es ist die Ausfahrt, die sich geradezu guggenheimmäßig in die Höhe schraubt. Man kann von jeder Parkebene in diese Spirale einfahren. Aber wenn man ganz unten steht, dann bietet sie ein besonders eindrucksvolles Bild. Kein Wunder, dass Kinder ihre Eltern immer überreden wollen, möglichst weit unten zu parken, weil sie das Spektakel der Ausfahrt genießen wollen.

Szyszkowitz und Kowalski haben im Garagenbereich ein Gestaltungskonzept durchgezogen, das für die Gesamtatmosphäre einen erstaunlichen Gewinn bringt. Weiße Decken, weiße Stützen, ansonsten eine Farbgebung, die sich aus Pfirsichtönen zusammensetzt. Die Stützen selbst sind formal speziell ausgebildet, nicht nur, um angenehm umfahrbar zu sein, sondern weil sie auch Träger der integrierten Beleuchtung sind - sie strahlt auf die Decke und auf den Boden und taucht den gesamten Raum in ein warmes, angenehmes Licht.

Es versteht sich von selbst, dass es in Graz keine „Frauenparkplätze“ gibt. Die braucht keiner. Weil nichts an den „Angstraum“ Tiefgarage erinnert. Sie liegt zwar unter der Erde, aber auch dort gibt es Licht, Offenheit, Transparenz, Überschaubarkeit.

Übrigens muss mit dem Bau dieser Tiefgarage eine extrem eindrucksvolle Baustelle verbunden gewesen sein. Es heißt, dass die Grazer in Scharen gekommen sind, um das Geschehen zu beobachten. Immerhin musste ein keineswegs kleiner Teil der Grazer Altstadt sozusagen „in der Luft“ gehalten werden. Dazu wurden 27 Meter hohe, provisorische Stützen neben die Häuser gestellt, die Häuser mit gewaltigen Trägern unterfangen - der Betrieb im Kaufhaus ging natürlich die ganze Bauzeit über weiter -, und erst dann konnte mit dem eigentlichen Aushub und der Errichtung einer Baugrube begonnen werden. Die unmittelbare Nähe zur Mur hat diesen Prozess nicht erleichtert: Man steckt mit zwölf Metern des Bauwerks im Grundwasserbereich. Die Sache war also auch technisch eine ungeheure Herausforderung. Mir ist kein Vergleichsbeispiel bekannt, wo ein Bauherr einen solchen Aufwand auf sich genommen hätte, um ein derartiges Projekt zu realisieren.

In Wien gibt es zwar zaghafte Versuche, bessere Parkhäuser zu bauen - ich kenne aber nur zwei Beispiele, das eine am Südbahnhof, das andere in Wien-Schwechat, auf dem Flughafen, beide von Architekt Haide. Die architektonischen Anstrengungen konzentrieren sich dabei hauptsächlich auf die Außenfassade. Alles Übrige ist wie gehabt. Fuksas hat bei seinem Salzburger Einkaufszentrum einen Versuch zur Besserung unternommen. Aber der ist, auch bei freundlicher Betrachtung, vergleichsweise in den Kinderschuhen stecken geblieben, weil er nicht tiefer greifend konzeptionell, sondern oberflächlich-designerisch ist.

Mich deprimieren die Frauenparkplätze, ich habe noch nie einen benutzt. Den Umstand, dass es sie gibt - davon bin ich nach meinem Grazer Abstecher überzeugt - muss man den Errichtern und Planern anlasten, niemandem sonst. Das lässt sich vermeiden, wenn man nur etwas Intelligenz ins Konzept investiert.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Akteure

Architektur

Bauherrschaft
Kastner & Öhler

Tragwerksplanung

Fotografie