Bauwerk

BORG Dreierschützengasse, Graz
Hans Gangoly - Graz (A) - 2002
BORG Dreierschützengasse, Graz, Foto: Paul Ott
BORG Dreierschützengasse, Graz, Foto: Paul Ott

Einfachheit, oder?

Die Einfachheit ist alles andere als einfach.

11. Dezember 2002 - Friedrich Achleitner
Spätestens seit dem 19. Jahrhundert ist sie Antwort auf eine Vielfalt, die in der kulturellen Dynamik der immer mehr wuchernden ästhetischen Produktion der modernen Gesellschaft entsteht.

Einfachheit ist Konzentration, Fokussierung, Auswahl und Ausschluss, Klärung, Übersicht, ja Konzentration, Opposition und Verdichtung. Das Einfache ist nicht mehr das Selbstverständliche, Einfältige, Gottgegebene. Wie wäre es sonst anders zu erklären, dass die Einfachheiten immer wieder als große Anstrengungen auftreten, ja oft mit dem Anspruch einer neuen Weltsicht. Das Einfache ist aber auch mit puritanisch-moralistischen Strömungen verwandt, nicht selten mit einem religiös-messianischen Charakter, humorlos und ausschweifend asketisch, aber diese Varianten gedeihen hierzulande ohnehin schlecht.


Zwischen Sinnlichkeit und Nüchternheit

Aber die Spannungen zwischen barock-expressiver Sinnlichkeit und protestantischer Nüchternheit bestehen in der österreichischen Architektur weiter, auch wenn die Lager schon längst geräumt sind.

Und ob die programmatische Einfachheit einiger jüngerer Grazer Architekten eine existentielle Reaktion auf die „Heroen“ der sogenannten „Grazer Schule“ ist, sei dahingestellt, denn auch Graz ist kein geschlossener und versiegelter Kulturraum, so dass es sich dabei nur um regionale Konflikte handeln könnte.


Unangestrengte Selbstverständlichkeit

Wie immer, das Bundesoberstufenrealgymnasium gehört zu den Bauten mit einer zunächst „einfachen“, klaren Erscheinungsform, wobei aber die ästhetische Stringenz nicht zelebriert wird, sondern eine fast beiläufige unangestrengte Selbstverständlichkeit signalisiert.
Hans Gangoly hat schon bei anderen Bauten bewiesen (Atelierhaus in Stoob, Stadtmühle Graz, Wohnhaus Defreggergasse Graz oder bei Einfamilienhäusern), dass er in einer scheinbar pragmatischen (in Wirklichkeit inhaltlich präzisen und schlüssigen) Weise auf landschaftliche Situationen oder einen Baubestand zu reagieren vermag.

Die Schule steht in einem ehemaligen Industriegebiet mit großen Hallen - auch der ältere und neu vordringende Wohnbau zeigt Massen - ein Gebiet, das sich in einer strukturellen Veränderung befindet. In diese Situation ist ein schlichter, gestreckter, viergeschossiger Block (70 Meter lang, 20 Meter breit) gesetzt. Über dem erhöhten, verglasten Eingangsgeschoss (das Erdgeschoss liegt darunter) zwei „schwebende“ Klassengeschosse.


Raumkontinuum

Der Block teilt das leicht abgesenkte Grundstück in zwei sehr unterschiedliche Freiflächen. Die westliche, etwas nach Süden gedrehte, ruhige und besonnte (etwa ein Drittel große) ist ein behutsam gestalteter Grünraum, die (nord-)östliche, parallel zur Wagner-Biro-Straße liegende, mehr dem Lärm ausgesetzte und etwa doppelt so große, ist mit Turnhallen und Turnplätzen, und einer gedeckten Rampe mit Fahrradstellplätzen zu einem interessanten Raumkontinuum vernetzt.

Der Zugang, auf der Stirnseite im Norden, eröffnet das Thema der räumlichen Schichtung: Man betritt einen ansteigenden etwa quadratischen Platz, der direkt in den großzügigen gedeckten Eingangsbereich führt. Ein ebenerdiger, querliegender Verwaltungstrakt begrenzt rechts den Parkplatz und den dahinter liegenden, abgeschirmten Grünraum, gegenüber führt die Rampe ins Erdgeschoß und zu den Sportanlagen.


Ambivalenz und Mehrdeutigkeit

Das erste Obergeschoss, von der Straße aus auf halber Höhe, ist also die Zone mit den halböffentlichen Einrichtungen der Schule (Bibliothek, Mehrzwecksaal, Musikräume etc.) und komplett verglast. Diese Maßnahme macht nicht nur die Funktionen mit einem Blick sichtbar, sondern stellt auch einen großzügigen Bezug zum Außenraum her.

Erst innen entdeckt man die betonte Topografie des westlichen Grünraums und im Osten die Schichtung der Freiräume. Die Eingangsebene selbst hat urbanen Charakter, die Raumgruppen definieren sich als geschlossene und unabhängige Volumen, der „geflutete“ Raum dazwischen hat Enge und Weiten, Nischen und Aussichtsplätze, Offenes und Geborgenes.


Räumlicher Impuls

Das scheinbar simple Konzept der Positionierung eines schlichten Blocks auf einem trapezförmigen Grundstück in einer eher belanglosen städtebaulichen Situation, entpuppt sich als ein vielfältiger räumlicher Impuls sowohl in der Horizontalen als auch in der Vertikalen.

Die radikale sandwichartige Schichtung wird zum Impuls für den ganzen Umraum, der in seiner scheinbaren funktionalen Fixierung überall Offenheit, Ambivalenz und Mehrdeutigkeit zeigt. Der Block erscheint trotz des verglasten Geschosses geschlossen.


Die Umsetzung

Dies wird einerseits durch die bündig liegende Verglasung erreicht, andererseits aber durch die das Volumen betonende Aluminiumhaut, die tiefen Fensterleibungen, die liegenden raum-(klassen-)bezogenen Fenster. Sowohl die Teilung der Aluplatten als auch die Fensterteilungen sind unabhängig von der dahinter liegenden Skelettstruktur.

Der außen liegende Sonnenschutz ist ein weiteres Element der Betonung des Fassadenreliefs, bzw. der visuellen Präsenz der „Haut“. So verkehrt sich die „Primärerscheinung“ des scheinbar so einfachen Konzepts in einen oszillierenden Detailreichtum voller ästhetischer Überraschungen. Innen ist es ähnlich. Allein die als Schränke ausgebildeten Gangwände der Klassen mit Oberlicht und unterschiedlichen Nischen, die den Gang zu Raum aufwerten, gehen spielerisch mit dem stringenten Skelett um, das in den beiden Klassengeschossen nur mehr durch runde Stützen sichtbar wird, die ihre Regelmäßigkeit im System fast kokett als Zufall erscheinen lassen.


Gangolys Prinzip

Vielleicht ist es das vorherrschende architektonische Prinzip der Bauten von Hans Gangoly, dass sie in den primären Entscheidungen großzügige Strukturen, Flächen, Öffnungen, Böden, Wände und Decken anbieten, sozusagen als Grundgarantie für zu erwartende Nutzungen, die aber dann auf einer zweiten Ebene der Eingriffe „aufgeladen“, konterkariert, freigespielt und relativiert werden, so dass das, was man als allzu rationalistisch denunzieren könnte, sich als reiche, vielfältige, ja sinnliche Architektur erweist.


[Den Originalbeitrag von Friedrich Achleitner finden Sie in architektur aktuell, Österreichs größter Architekturzeitschrift.]

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