Bauwerk

Vienna Twin Tower
Massimiliano Fuksas - Wien (A) - 2001
Vienna Twin Tower, Foto: Andreas Drexler
Vienna Twin Tower, Foto: Andreas Drexler
Vienna Twin Tower, Foto: Andreas Drexler
Vienna Twin Tower, Foto: Andreas Drexler

„Vienna goes international“

Neue Hochhäuser für die Donaumetropole

4. Mai 2001 - Gert Walden
Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs sah sich Wien aus seiner Randlage plötzlich ins Zentrum Europas verschoben. Der neu erwachte Optimismus führte zur Planung und Realisierung mehrerer Hochhäuser. Diese städtebauliche Amerikanisierung der Donaumetropole kulminiert nun im «Twin Tower» von Massimiliano Fuksas.

Wie kein anderer Gebäudetyp illustriert das Hochhaus Wiens Wirtschafts- und Architekturgeschichte nach dem Zweiten Weltkrieg. Nach dem «Hurra wir leben noch» folgte in den fünfziger Jahren ein «Wir sind wieder wer», und die Wiener Städtische Versicherung beauftragte Erich Boltenstern mit dem Bau eines Hochhauses am Donaukanal. Doch die Wirtschaftswunder-Euphorie währte nicht lange. Wien blieb bis in die achtziger Jahre am Rande Westeuropas. Lediglich Johann Stabers geschwungene Y-Türme der Uno-City demonstrierten Bruno Kreiskys Weitblick. Der Architekt Hugo Potyka empfahl damals in einer Studie für die Wiener Stadtplanung sogar den Verzicht auf Hochhäuser. Dann fiel der Eiserne Vorhang, Wien sah sich als «Drehscheibe Mitteleuropas», und Coop Himmelblau entwarfen für die Stadtplanung das «Wiener Hochhaus». Dieses war mit 130 Metern nicht wirklich hoch und für bestimmte Standorte vorgesehen, an die sich später jedoch keiner halten sollte.


Ein Doppelturm von Fuksas

Dem Katzenjammer der abgesagten Expo 1995 folgte in Sachen Hochhaus eine Vollbremsung. Doch dann stieg auf dem Ex-Expogelände ein erster Versuchsballon. Dieser steht wie seine Nachfolger für die Probleme, die Wiens Altmeister und Altavantgardisten mit dem Typus Hochhaus in funktioneller Hinsicht haben. Da Wilhelm Holzbauers 1993 geplanter und 1997 fertiggestellter «Andromeda-Turm» in erster Linie Investoren anlocken soll, stört das Verhältnis zwischen opulenter Erschliessungs- und geringer Nutzfläche nicht wirklich. Holzbauer entwarf ein solides, im Grundriss elliptisches Türmchen mit auskragenden Glas-Erkern, das sich brav in die Kulisse der Uno-City-Türme einfügt. Mehr Mut zur Selbständigkeit bewiesen wenig später Coop Himmelblau mit einem skulpturalen, ebenfalls an der städtischen Ausfallachse nach Norden gelegenen Wohnturm. Mit seiner schräg verlaufenden Stahl-Glas-Konstruktion wirkt der Bau gestenreich. Doch ist er in der Ausführung ebenso banal wie seine Wohnungsgrundrisse. Was für die Hochhäuser von Holzbauer und Coop Himmelblau zutrifft, gilt auch für den im Stadtbild auffälligsten Turm - den «Millennium Tower» von Boris Podrecca und Gustav Peichl am Donauufer: Dieser ist aus der Ferne formal in Ordnung, im Grundriss allerdings problematisch. Denn auf zwei sich überschneidenden Kreisen - Carlo Scarpas Tomba Brion lässt grüssen - kann man kaum sinnvolle Büroräume einrichten.

Fast möchte man meinen, ein international renommierter Architekt habe den Wienern zeigen müssen, wie ein stimmiges Hochhaus zu planen sei. Der Italiener Massimiliano Fuksas hat 1995 für Grossinvestoren nahe der südlichen Ausfallachse Triesterstrasse zwei «Twin Tower» genannte Bürotürme entworfen, die elegant mit Wiens baukünstlerischen Attitüden und skulpturalen Ambitionen aufräumen. Die beiden 138 und 127 Meter hohen Baukörper über der trapezförmigen, zweigeschossigen Sockelzone mit Entrée und Entertainment-Center sind in ihrer materiellen Erscheinung auf ein Minimum reduziert. Aus der Untersicht betrachtet, verläuft die Stahl-Glas-Konstruktion mit ihrem orthogonalen Netzwerk ins Unendliche des Himmels. Die Büros selbst verwandeln sich aus dem Blickwinkel der Autofahrer in Vitrinen, lassen das Tageslicht zum Generator von Reflexionen, Schichtungen und Illusionen werden.

Mies van der Rohe, aber auch Italiens Futuristen hätten ihre Freude an diesem Doppelturm gehabt. Die im Winkel von 59 Grad zueinander stehenden Baukörper wachsen bei Annäherung und Entfernung zum geschlossenen Ganzen zusammen, um sich dann wieder - je nach Richtung und Distanz - in Einzeltürme aufzuteilen. Ein dreidimensionales Kaleidoskop wurde da am Wienerberg geschaffen, welches allein durch die räumliche Disposition unterschiedliche Bilder erzeugt. Dieser Effekt funktioniert bei jedem Wetter: Bei schlechtem Licht oder in der Nacht wird die Transparenz der Büroetagen aufgewogen durch das Patchwork der erleuchteten Büros. Die einzelnen Etagen sind zwar mit neutralen Spezialgläsern vor der Wärme geschützt, vor der Lichteinstrahlung allerdings nicht. Die Folgen einer solchen maximalen Transparenz lassen sich leicht vorhersagen.


Fensterrecht gegen Transparenz

Aus funktioneller Notwendigkeit und mentalem Schutzbedürfnis wird man die Fenster verkleben. Das ist zwar nicht im Sinn des Architekten, aber ein Fensterrecht hat hier eben jeder, und das nicht erst seit Friedensreich Hundertwasser. Die mögliche und wahrscheinliche Konterkarierung der planerischen Intention deutet indirekt an, was sich bei einer Betrachtung von Fuksas' Architektur unmittelbar aufdrängt: Ist der Meister ein Testamentsvollstrecker der Moderne? Die Frage lässt sich unterschiedlich beantworten. Fuksas reagiert in seltener Harmonie mit seiner Architektur auf den abstrakten, weil für anonyme Mieter bestimmten Raumbedarf der Investoren. Und diesen Bedarf hat schon Le Corbusier auf den Punkt gebracht, lange bevor sich Bürohaus-Developer darüber im Klaren waren. Mehr ist Fuksas zum zentralen Thema des Arbeitsplatzes nicht eingefallen. Er setzt auf die perfekte Formulierung dieses abstrakten, ökonomisch bedingten Raumerfordernisses. Die Flächen können, wie üblich, gemäss den Vorgaben des Rasters unterteilt werden, womit der Part des Architekten in diesem Planungsbereich endet.

Es hängt also von den Mietern ab, wie sie mit dem transparenten Gebilde umgehen. Fuksas und sein Team (Projektleitung: Ralf Bock) haben allerdings nicht nur die Wünsche der Investoren ausgeführt. Die durchlaufenden Betonpfeiler des Tragwerks strukturieren die vertikale Einheit der Bürotürme, der Geschäftslokale im Sockel und des unterirdischen Entertainment-Centers. Hier in der Sockelzone wird - im Gegensatz zu den Büroflächen - die Raumfolge in das Regelwerk des Rasters eingeschrieben, erfolgt der Befreiungsakt gegen das Prinzip des Orthogonalen. Hier ist Fuksas wieder, wie man ihn von früheren Bauten her kennt: gebärdenreich, expressiv, auf die Spannung zwischen den Raumelementen bedacht. In die zweigeschossige Sockelzone wurde symbolisch der «fliegende Teppich» eingezogen. Eine nahezu schwebende Zwischenebene für die Verbindung der Etagen und die Liftzugänge. Von hier aus öffnet sich der Blick über dreieckige Sichtfenster auf die Türme, in die Tiefe des Entertainment-Centers und auf die Umgebung. Einem Schnittmuster ähnlich sind die von Fuksas gebildeten Erschliessungsflächen, die in einem unruhigen Zusammenspiel von geschlossenen Wänden und Öffnungen gerade noch die Orientierung ermöglichen.


Eine neue Skyline

Wie unter einem Stroboskop blitzen die einzelnen Raumsituationen auf, suchend nach einer grösseren Ordnung, die Fuksas in seiner Unruhe letztlich entgleitet. Zur Ruhe kommt das Gelände neben dem «Twin Tower» in naher Zukunft ebenfalls nicht. Nach einem zum Schlechteren abgeänderten Bebauungsplan von Fuksas werden vier Wohnhochhäuser und niedrigere Geschossbauten im - verkehrstechnischen - Chaos der Wiener Südeinfahrt errichtet. Zusammen formen sie dann eine Skyline, die in ihrer Staffelung der Höhen an dieser Stadtkante eine «Welle» in den Himmel schreiben soll. Doch damit sind die Wiener Hochhausambitionen noch nicht erschöpft. In der City wurde gerade Hans Holleins «Media Tower» am Donaukanal mit der publikumswirksamen Schrägstellung der oberen Etagen vollendet (NZZ 10. 4. 01). Noch höher hinaus will das Versicherungsunternehmen Uniqa ebenfalls am Kanal. Heinz Neumann hat ein Gebäude entworfen, das sich spiralförmig über die Gründerzeitbauten hinaufwindet. «Vienna goes international» - nach den ersten tastenden Schritten in Sachen Hochhausbau entschloss sich die Stadtverwaltung sogar, den Abriss eines Altbaus, des Kaipalastes von Ignaz Reiser, am Donaukanal zu genehmigen (NZZ 21. 2. 01). Dieter Henke und Marta Schreieck konnten sich mit ihrem Projekt im geladenen Wettbewerb der Zürich-Kosmos-Versicherung durchsetzen.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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