Bauwerk

Haus der Barmherzigkeit
Peichl und Partner - Wien (A) - 2006
Haus der Barmherzigkeit, Foto: Andre Kiskan

Altern mit Respekt

Keine Aluminiumpaneele, kein Sichtbeton - dafür warme Farben, Holz, Linoleum. Vertrautheit, ja Gemütlichkeit statt ästhetischer Extravaganz. Peichl & Partner und ihr neues „Haus der Barmherzigkeit“ in Wien-Donaustadt.

26. November 2006 - Liesbeth Waechter-Böhm
flegeeinrichtungen für alte Menschen und dauerhaft mehrfach Behinderte zählen zu den bedeutsamen Prüfsteinen des sozialen Gewissens einer Gesellschaft. Sie kosten viel Geld. Sie sind personalintensiv. Sie verlangen ihren Mitarbeitern hohe Qualifikation und noch höheres Engagement ab. Und dies alles unter dem Vorzeichen, dass jede therapeutische, pflegerische Erfolgskurve absehbar in den Tod mündet. Wir verdrängen das gern.

Das „Haus der Barmherzigkeit“ hat in diesem Aufgabenbereich sehr hohe Verdienste erworben. Und jetzt hat es neu gebaut. Das Architekturbüro Gustav Peichl & Partner hat in der Wiener Donaustadt, in der Tokiostraße, ein geriatrisches Pflegekrankenhaus errichtet, für das Primarius Christoph Gisinger gleich zu Anfang ein eindeutiges Motto verkündete: „Planen Sie es wie ein Wohnhaus.“

Die Tokiostraße: Sie ist ein wohlgeordnetes Neubaugebiet von Wien (Städtebau: Elsa Prochazka), hinter der Eishalle, der Internationalen Schule und einer Schule von Kohlbauer gelegen. Ein reines Wohngebiet, ungewöhnlich gut konzipiert, nicht nur durch die Straße, auch durch einen Grünzug gegliedert. Aber man darf sich die Umgebung nicht vorstädtisch vorstellen: Wir sind in der Großstadt, eigentlich in einer „Zwischenstadt“.

Ich hatte keine genaue Adresse. Also fuhr ich die Tokiostraße ab, ohne auf irgendwelche Beschriftungen zu achten, und überlegte: Welches kann das „Haus der Barmherzigkeit“ sein? Es stand ganz am Anfang, mit einer besonders plastischen Fassade - begründet durch die Vor- und Rücksprünge der Balkone. Balkone an der Straßenseite? Da kann es sich nicht um Wohnungen handeln, es muss absichtsvolle Strategie sein.

So war es denn auch. Man ist nämlich längst davon abgekommen, Einrichtungen wie dieses Pflegekrankenhaus abzuschirmen, unter dem Vorwand der Ruhe eine isolierte Einzelstellung zu präferieren. Die Bewohner wollen wenigstens als Beobachter teilhaben an einer belebten Umgebung, das liefert Erlebnisse, das liefert auch Gesprächsstoff untereinander.

Hier ist das rundum gelungen. Die Bewohner sehen entweder in die Tokiostraße oder - gartenseitig, denn dieses Haus verfügt über einen großen „Therapiegarten“, den Jakob Fina geplant hat.

Peichl & Partner haben das Haus so einfach wie möglich angelegt. Der Straßentrakt erstreckt sich über 80 Meter Länge, dahinter gliedern zwei Höfe die in die Tiefe des Bauplatzes ausgreifenden Bauteile. Der erste Hof ist oval, durch ein sattes Rot (eine Referenz Richtung japanische Flagge) gekennzeichnet. Der zweite Hof ist gelb. Und die Bodenfläche wurde nach therapeutischen Vorgaben gestaltet: Es gibt sehr unterschiedliche Oberflächen, auch eine kleine Treppe, die man hinauf- und hinuntersteigen kann. Dieses Thema wird im Garten an der Rückseite des Hauses noch einmal und in größerem Umfang umgesetzt: Da gibt es dann einen Parcours, dem unterschiedliche Erlebnisbereiche zugeordnet sind - vom duftenden Rosengarten über Wasser und Seerosen bis zu einem Pavillon, einem Grillplatz, im kommenden Frühjahr auch einem Kirschgarten.

Dass das Haus grundrisslich so einfach angelegt ist, erklärt Projektarchitekt Christoph Lechner ziemlich einleuchtend: „Die Bewohner sollen sich selbst zurechtfinden können. Die Orientierungsmöglichkeit ist vorrangig. Sonst werden sie nur abgeschreckt und machen von den Rundgängen, die wir anbieten, keinen Gebrauch.“ Die Übersichtlichkeit des Hauses erscheint tatsächlich beispielhaft. Ebenso die Lösung der Transparenzfrage, die natürliche Belichtung. Die Bewohner haben, selbst wenn sie im Rollstuhl sitzen, reichlich Gelegenheit zu beobachten, was im Haus vor sich geht.

Es gibt nur Ein- und Zweibettzimmer, alle entweder mit Balkon oder einem französischen Fenster. Und alle Gänge und Treppenhäuser sind besonders breit, sodass es auf keinen Fall zu Manövrierschwierigkeiten - weniger für das Personal als für die Bewohner - kommen kann. Außerdem sind die Gänge an den Kreuzungspunkten immer zu „Plätzen“ ausgeweitet, auf denen Begegnung aller Art möglich ist: geselliges Zusammensein, Kaffeetrinken et cetera.

Ich erinnere mich, dass in den Neunzigerjahren Vorarlberg eine Vorreiterrolle auf dem Gebiet der Alten- und Pflegeheime gespielt hat. Damals gab es Wettbewerbe für sehr anspruchsvolle Bauten - die Maßstäbe gesetzt haben. Da fand sich von der mediterranen Patio-Lösung bis zur englischen Klub-Atmosphäre so ziemlich alles. Und es war faszinierend. Man kann es mit der Tokiostraße aber nicht vergleichen. Denn Vorarlberg ist, überspitzt formuliert, eine einzige Streusiedlung, Großstadt gibt es dort nicht. Folglich kann man sich dort in den relativ kleinen Einheiten auch einen architektonisch sicher subjektiven Luxus leisten. In Wien ist hingegen Ökonomie - auch von der Größenordnung her: 270 Zimmer! - ein unbedingtes Muss.

Von der Material- und der Farbenwahl her haben Peichl & Partner alle Interessen hintangestellt, die womöglich mehr der eigenen architektonischen Verwirklichung dienen als den Bewohnern. Es gibt also keine Aluminiumpaneele und keinen Sichtbeton, dafür warme Farben, Holz, Linoleum. Es ist ein viel geschmähtes Wort, aber Gemütlichkeit war hier ein Kriterium. In den Gängen dominieren warme Orangetöne. Birkensperrholz in Verbindung mit Nuss befriedigt den Anspruch nach Gediegenheit. Eigentlich wurde alles an Details vermieden, was nicht zumindest den Anschein der Vertrautheit hat. Das ist eine ungemein respektvolle Geste gegenüber den Bewohnern.

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