Bauwerk

Arbeiterkammer Wien - Umbau und Erweiterung
NMPB Architekten - Wien (A) - 2008
Arbeiterkammer Wien - Umbau und Erweiterung, Foto: Manfred Seidl
Arbeiterkammer Wien - Umbau und Erweiterung, Foto: Manfred Seidl
Arbeiterkammer Wien - Umbau und Erweiterung, Foto: Manfred Seidl
Arbeiterkammer Wien - Umbau und Erweiterung, Foto: Manfred Seidl

Drei Finger im Grünraum

Rundum Offenheit, Aufgeschlossenheit, Freundlichkeit: Die erneuerte Wiener Arbeiterkammer wird eröffnet. Ein sympathisch unhierarchischer Bau.

19. Oktober 2008 - Liesbeth Waechter-Böhm
In ein paar Tagen ist es so weit: Die rundum sanierte, erneuerte, erweiterte Arbeiterkammer Wien in der Prinz-Eugen-Straße wird eröffnet. NMPB Architekten – das sind Manfred Nehrer, Herbert Pohl und Sasa Bradic – haben die sehr komplexe und umfangreiche Aufgabe nach einem Wettbewerb 2003/04 nicht nur in erstaunlich kurzer Zeit, sondern auch bravourös bewältigt. Wenn man das Haus jetzt betritt, taucht man in eine Atmosphäre ein, die wirklich so etwas wie Offenheit, Aufgeschlossenheit, Freundlichkeit suggeriert.

Dabei muss man dem alten Haus von Franz Mörth allen Respekt zollen. Es ist ein Zeugnis der Fünfzigerjahre, keine „große“ Architektur, aber sehr anständig und ambitioniert. Andererseits: Für die Arbeiterkammer selbst war es sicher ein Problem. Für einen Mitarbeiterstab von heute 430 Menschen war es viel zu klein, und vor allem war es für den Kundenstrom, der hier Beratung sucht, nicht mehr geeignet.

In einer Kürzestversion könnte man die Aufgabenstellung folgendermaßen beschreiben: Der Altbau musste dringend saniert und auf einen Standard gebracht werden, der heutigen bauphysikalischen (Wärmedämmung!) Kriterien entspricht; es ging – auch aus sicherheitstechnischen Gründen – um eine Entflechtung von Kundenverkehr und hausinternen Wegen; es ging um kundenfreundliche Beratungszonen, viel mehr Büros, einen ziemlich großen Konferenzsaal, der für alle Vertreter der Arbeiterkammern bundesweit Platz bietet, kleinere Konferenzsäle. Die Bibliothek – immerhin die größte sozialrechtswissenschaftliche des Landes – brauchte eine adäquate Bleibe (einschließlich einem Bücherspeicher auf fünf Ebenen in der Tiefe); und infrastrukturell musste man auch etwas tun – 430 Menschen brauchen eine entsprechend dimensionierte Kantine, auch eine Cafeteria.

NMPB Architekten haben den Altbau saniert, das heißt unter anderem: außen Wärmedämmung aufgebracht – unter größtmöglicher Rücksichtnahme auf die alten, filigranen Fensterprofile –, und innen umgebaut. Die denkmalgeschützten Lifte wurden erhalten, auch zwei Reliefs, die es gab, blieben zitathaft bestehen (und an einer Stelle sogar die alten Fenster). Sie haben Richtung Park, hinter dem Haus, einen Neubau, das sogenannte „Regal“, in drei Meter Entfernung darangestellt und greifen zu ebener Erde mit drei rundum verglasten „Fingern“ in den Grünraum hinaus. Diese drei Pavillons dienen der Kundenberatung. Ein Seitentrakt des Bestandes wurde zusätzlich – sehr schlicht, aber nicht banal – aufgestockt.

Man kommt also hinein, hat rechterhand ein erstes Empfangspult mit Portier, aber das braucht man in Wahrheit gar nicht. Etwas weiter in der Tiefe sticht einem schon die Aufschrift „Information“ ins Auge. Und die Sicherheitsschranken, die den internen Verkehr, den Weg zu den Liften abschotten, nimmt man kaum wahr. Diese Empfangs- und Wartehalle ist großartig. Acht V-Stützen aus dem perfektesten Sichtbeton, den ich seit Langem gesehen habe, prägen den Raumeindruck.

Von dieser Halle geht es in die drei Beratungspavillons an der Parkseite, aber auch in die Bibliothek. Speziell bei den Pavillons ist den Architekten wirklich etwas gelungen: Sie haben die gläserne Transparenz dieser Baukörper – die ja, genau genommen, der Diskretion einer solchen Beratungssituation zuwiderläuft – in den Griff bekommen. Die Verglasung ist farbig bedruckt. Und den Entwurf hat die Künstlerin Ayse Erkmen geliefert. Das ist sehr reizvoll. Man hat den Ausblick, aber man sieht sich nicht gegenseitig hinein.

Diese drei Pavillons, die übrigens auch ein „gestaltetes“ und extern begrüntes Flachdach (Anna Detzlhofer) haben, waren fast so etwas wie die Königsidee im Wettbewerb. Fast – denn der im Abstand von drei Metern vorgesetzte Zubau war einfach das beste Konzept, um den wunderschönen Park so wenig wie möglich zu beeinträchtigen. Außerdem schafft die über alle Geschoße durchgehende, schmale Halle zwischen den Baukörpern eine spannende räumliche Situation.

Etwas Besonderes ist die Glashaut der zweischaligen Fassade des „Regals“ Richtung Park. Sie ist im obersten Bereich plastisch ausgebildet – sie wuchtet leicht nach vorn und hat einen Knick –, aber nicht aus formaler Willkür. Da bildet sich einfach der große Sitzungssaal ab, der den genormten Rahmen der darunter liegenden Bürogeschoße sprengt. Was für ein Glück, dass sich diese funktionelle Gegebenheit sichtbar ausdrückt. So kommt Dynamik in die Außenhaut.

Im Wettbewerb hatten NMPB Architekten Großraumbüros vorgeschlagen. Die Mitarbeiter wollten jedoch Einzelbüros – und jedes mit Aussicht. Darauf haben die Architekten mit maßvollen Arbeitszellen reagiert und mit sehr breiten Gängen, in denen sich die verschiedenen gemeinschaftlich genutzten Einrichtungen befinden. Dieses Prinzip wurde sogar im Bestand durchgezogen: Auch dort sind die Gänge jetzt breiter und bestimmte Funktionen in die Mittelzone ausgelagert. Diese Lösung ist nicht nur praktikabel, sie ist außerdem auch kommunikativ. Sie lässt einen vergessen, dass es sich letztlich um einen Erschließungsgang handelt.

Zu diesem wohltuenden Raumgefühl trägt allerdings auch die Materialisierung entscheidend bei. Für manche Mitarbeiter mag der großzügige Einsatz von Glas gewöhnungsbedürftig sein – man sieht in die Büros hinein. Aber dadurch entsteht natürlich eine völlig andere, sehr offene, aufgeschlossene Atmosphäre.

Früher konnte man der Arbeit von Nehrer & Medek attestieren, dass sie im Bereich der funktionellen Konzepte ausgezeichnete Arbeit leisten, während die formalen Lösungen manchmal ein wenig brav waren. Jetzt, im Zeichen von NMPB Architekten, hat man den Eindruck, dass die Bauten auch in formaler Hinsicht immer interessanter werden. Es gibt eine Stringenz im Materialkonzept, in der Möblierung, die man so nicht oft antrifft. Kein unnötiges Detail, wenige Materialien, eine moderne, aber klassische Möblierung und Beleuchtung, es ist eine Wohltat.

Das muss ein Bauherr aber wollen, und er muss auch bereit sein, einen so hohen Standard zu finanzieren. Aber wer soll denn Maßstäbe in Bezug auf die Qualität von Arbeitsplätzen setzen – wenn nicht die Arbeiterkammer? Und eines muss man ausdrücklich festhalten: Es ist ein sympathisch unhierarchisches Haus. In der Direktionsetage geht es hinsichtlich des Ausstattungslevels nicht viel anders zu als in den übrigen Büros.

Auch bei kritischer Besichtigung muss man der Arbeiterkammer rundum gratulieren. Sie präsentiert sich durch diese Architektur einfach ganz anders. Architektur ist eben doch ein imageprägender Faktor. Und hier kommt noch dazu, dass es ein explizites Engagement für Kunst, auch für die „angewandte“ Kunst gegeben hat.

Walter Bohatsch hat beim Leitsystem großartige Arbeit geleistet. Ich kenne nichts Besseres. Auch andere Beiträge – etwa von Ingeborg Kumpfmüller oder die „Tapete“ im Beratungszentrum von Thomas Bayrle – bewegen sich auf höchstem Niveau.

Doch es gibt eine bittere Pille. Und die ist eine langfristige Katastrophe. Sie betrifft den neuen Vorplatz der Arbeiterkammer von „feld72“. Ich dachte immer, die Platzgestaltung am Ende der Wollzeile in Wien sei an Scheußlichkeit durch nichts zu übertreffen. Da habe ich mich aber ordentlich getäuscht. Eine solche Stufenwüste auf kleinstem Raum – bergauf, bergab bis hinunter ins Loch – habe ich noch nie gesehen. Das war einmal ein schlichter Vorplatz! Hatten denn die Juroren keine Augen im Kopf?

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