Bauwerk

Kindergarten Schlierbach
Wolf Architektur, Marco Kienesberger - Schlierbach (A) - 2020
Kindergarten Schlierbach, Foto: Markus Fattinger
Kindergarten Schlierbach, Foto: Markus Fattinger

Guter Grund am Abhang

Ein Kindergarten als Impulsgeber für den Ortskern: Als nach außen ruhig und einfach, in seinem Inneren aber sehr komplex gibt sich der neue Gemeindekindergarten in Schlierbach, Oberösterreich.

1. Februar 2020 - Romana Ring
Welche Bilder sehen Sie vor sich, wenn Sie „ländlicher Raum“ denken? Fruchtbares Grünland oder überdüngten Boden? Ein idyllisches Dorf oder einen verlassenen Ortskern? Eine liebliche Landschaft oder den Speckgürtel der Großstadt? Ländlicher Raum ist von allem etwas. Vor allem aber ist er ungeachtet des Booms der Großstädte nach wie vor jener Raum, den etwa die Hälfte der Bevölkerung Österreichs Heimat nennt. Ein Alltagsraum, in dem man wohnt, arbeitet und einkauft. Wo man die Kinder großzieht, die Tante Hanni betreut und sich bei der Feuerwehr engagiert, bei der Musik oder im Verschönerungsverein. Man kennt einander. Man kennt auch die Probleme und bemüht sich um Lösungen. Die Folgen einer über Jahrzehnte verkorksten Raumordnung lassen sich zwar nicht über Nacht korrigieren; doch viele Fehler, die man vor ein paar Jahren noch begangen hätte, hat man zu vermeiden gelernt.

In Schlierbach im oberösterreichischen Traunviertel etwa war die Wahl des Bauplatzes für den kürzlich fertiggestellten Neubau des Gemeindekindergartens an der Fürstenhagenstraße nicht unumstritten. Es gab starke Stimmen, die seiner Errichtung „auf der grünen Wiese“ den Vorzug gegeben hätten. Es war Überzeugungsarbeit notwendig, um diese auf den ersten Blick einfachere und billigere Wahl abzuwenden. Aus Sicht der Schlierbacher Bürgermeisterin, Katharina Seebacher, hat sich der Diskussionsprozess gelohnt: Der Kindergarten ist dem Ortskern als wichtiger Impulsgeber erhalten geblieben. Die zu Beginn der Diskussion noch fehlende Vorstellung, wie man dem steil geneigten Abhang eine räumlich ansprechende, barrierefreie Anlage abgewinnen kann, hat die Architektur ergänzt. Eine von Wolf Architektur (Grieskirchen) und Architekt Kienesberger (Wels) gebildete Arbeitsgemeinschaft hat den Architekturwettbewerb zum Neubau des Kindergartens für sich entschieden und wurde mit der Generalplanung beauftragt.

Wolf Architektur/Kienesberger setzten einen geometrisch sehr einfach anmutenden zweigeschoßigen, von einem Satteldach abgeschlossenen Körper so an eine Geländekante, dass seine beiden Ebenen direkt an das Terrain angebunden sind. Die vom schlichten Umriss ausgesendete, leicht lesbare Botschaft „Haus“ ist dem Wunsch der Architekten geschuldet, nichts Ortsfremdes in das zwischen den öffentlichen Gebäuden oben am Hang und den Siedlungshäusern weiter unten aufgespannte Umfeld zu setzen. Es versteht sich von selbst, dass die aus Freiraum wie aus Gebäude komponierte Anlage ruhig und einfach wirkt, aber als Ergebnis einer Vielzahl verschränkter Erzählstränge eine komplexe Angelegenheit ist.

An erster Stelle nach der getroffenen Standortwahl standen die Überlegungen zum reibungslosen Ineinandergreifen der vielfältigen Anforderungen an das Haus: Die Räume müssen auf die Körpergröße und die Fähigkeiten kleiner, im Bereich der Krabbelstube sehr kleiner Kinder abgestimmt sein. Gleichzeitig sind die Bedürfnisse der Pädagogen zu berücksichtigen, die sich etwa mit den allseits beliebten, für sie leider nur auf allen vieren betretbaren Spielhäuschen schwertun. Es soll gespielt, gelernt, gekocht, gegessen und geschlafen werden. Am zeitlich individuell gestaffelten Ende des Tages ist eine geordnete Übergabe der Kinder an die Eltern zu organisieren. Feste wollen gefeiert werden, allerlei Administratives ist auch zu erledigen. Nicht zuletzt muss man jederzeit draußen spielen, aber hurtig das WC aufsuchen können, ohne Schmutz ins Haus zu tragen. Inspiration, Freiraum und Geborgenheit sind ebenso wichtig wie Sicherheit, Hygiene und Kontrolle.

Wolf Architektur/Kienesberger haben die beiden Geschoße zweihüftig angelegt. Der Kindergarten wird auf seiner unteren Ebene an der Westseite von der ruhigen Fürstenhagenstraße und über einen neuen, von der Anhöhe vor dem Stift herabführenden Fußweg erschlossen. Der Haupteingang befindet sich in einem witterungsgeschützten Einschnitt und führt über einen Windfang direkt in den zentralen Erschließungsbereich. Gleich beim Eintreten fällt der Blick in einen Spielhof, der den Gang mit Tageslicht erfüllt. Der Hof belichtet auch den multifunktionalen Raum, in dem die Kinder ihr Mittagessen einnehmen, auf der einen und den Ruhe- und Bewegungsraum auf der anderen Stirnseite des Hauses. Straßenseitig sind links vom Haupteingang die Räume der Krabbelstube untergebracht. Rechts davon reihen sich zunächst das Zimmer der Leiterin, der Personalraum und ein Gruppenraum aneinander. Im Obergeschoß finden sich drei Gruppenräume, die einen Ruhe- und Bewegungsraum in die Mitte nehmen und an der Nordostecke des Hauses von einer großen überdachten Terrasse ergänzt werden. Den Gruppenräumen in beiden Geschoßen sind ebenfalls gedeckte Terrassen vorgelagert, über die man in den Garten gelangt. Spätestens hier verwandelt sich die anspruchsvolle Topografie des Bauplatzes vom Kosten- in einen nicht zu unterschätzenden Gestaltungsfaktor.

Der Bewegung, die aus der Geländeformation in die Anlage hineinwirkt, haben Wolf Architektur/Kienesberger mit einer überaus disziplinierten Ausformung des Gebäudes geantwortet. Dem Außenraum wendet das Haus homogen wirkende Flächen zu, die zwar von Öffnungen und Rücksprüngen strukturiert werden, ihren Zusammenhalt jedoch nicht verlieren. Der souveräne Umgang mit dem Baustoff Holz, im Außenauftritt durch die vertikal gegliederte Fassade aus sägerauem Lärchenholz prominent gezeigt, im Inneren des Kindergartens mit den Böden, den Glasportalen, dem eigens entwickelten Mobiliar und der Untersicht des Satteldaches präsent, beweist, dass eine ökologisch verantwortungsbewusste Haltung in der Wahl der Technologien ohne Einbußen an Eleganz möglich ist. Der Gemeindekindergarten in Schlierbach ist zweifellos funktionstüchtig, robust und wirtschaftlich; er fügt sich nahezu lautlos in sein Umfeld. Doch gerade im Leisen, Unaufgeregten, Sanften liegt die im Wortsinn feine Grenze zur Baukultur.

Mit den Zielen der Nachhaltigkeit geht Baukultur fast selbstverständlich Hand in Hand. Sie gedeiht im Grunde überall, jedoch nur unter günstigen klimatischen Bedingungen. Sie erfordert Mut und Sensibilität, Pioniergeist, Beharrungsvermögen und einen weiten Horizont. Auch sie gehört zum Bild des ländlichen Raums.

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