Veranstaltung

9. Architektur-Biennale Venedig 2004
Ausstellung
12. September 2004 bis 7. November 2004
Giardini della Biennale, Arsenale
I-30122 Venedig


Veranstalter:in: Biennale di Venezia

Über die neuen Bauten kann die Natur nur noch staunen

Die 9. Internationale Architekturbiennale öffnet in Venedig
ihre Tore. Unter dem Titel „Metamorph“ werden organische und konstruktive Entwürfe gefeiert.

12. September 2004 - Gerhard Mack
Die rasante Zunahme der Rechnerkapazitäten hat der Architektur in den letzten Jahren eine ungeahnte Veränderung beschert. Die biomorphen und konstruktivistischen Formen, die sich vorher allenfalls malen oder im Modell andeuten liessen, werden plötzlich realisierbar. Das Dreieck hat das Quadrat als Modul abgelöst. Den Computern ist es einerlei, ob sie rechteckige oder geschwungene Formen zeichnen und fräsen. Die Kosten unterscheiden sich nur unwesentlich, wenn viele Teile die gleiche Form haben oder jedes Element sich vom anderen unterscheidet.

Dieser Entwicklung der letzten zehn Jahre will die 9. Internationale Architekturbiennale von Venedig nun Rechnung tragen. Zum einen erhielt Peter Eisenman als eine ihrer Vaterfiguren den Goldenen Löwen für sein Lebenswerk. Vor allem aber versammelt die Hauptausstellung „Metamorph“, die der Zürcher Architekturhistoriker Kurt W. Forster verantwortet, über 200 Bauten und Projekte von Greg Lynn bis Zaha Hadid, die sich der Form und der Dynamik „lebender Organismen“, so Forster, annähern. Dass sich dahin das Kunstlager verirrt hat, das die Zürcher Gigon/Guyer für Henze & Ketterer in Wichtrach bei Bern gerade fertiggestellt haben, nimmt man ebenso erstaunt zur Kenntnis wie Marc Angélils zwei Wohnkuben mit Metallvorhängen in Zürich oder den Goldenen Löwen für das beste Projekt an das japanische Architektenteam Sanaa für sein Gegenwartsmuseum in Kanazawa.

Eitle Solitäre

Die grosse Zahl von Bauten und Entwürfen demonstriert eindrücklich die Entwicklung zur freieren Form, sie deckt aber auch die Probleme auf, die dabei entstehen. Da ist zunächst einmal eine penetrante Bildlichkeit, wie sie Hani Rashid, einer der Protagonisten, in seiner Ausstellungsarchitektur mit geschwungenen weissen Präsentationstischen, welche Fischrippen evozieren, produziert. Die naive Kreuzung aus Robert Venturis Pop-Bildlichkeit und Zaha Hadids Reprise des russischen Konstruktivismus (Iwan Leonidow wird gewürdigt) feiert schreckliche Urständ, wenn Marcos Novak Häuser entwirft, die Hollywood-Aliens gleichen, oder wenn Kolatan/MacDonald - im amerikanischen Pavillon - einen Wolkenkratzer zeigen, der an einen porös gewordenen Knochen denken lässt. Da kann die Natur, die auf Fotos von Guido Baselgia und anderen eingeholt wird, nur staunen.

Im Übrigen sind die Mehrzahl der Bauten, die sich „metamorph“ geben, Diven, die sich nicht mit ihrer Umgebung gemein machen. Topographie, der Bezug auf den Ort, meint da zuerst, dass sie selbst Landschaft sein wollen. Jean Nouvel will das Guggenheim Tokio unter einem künstlichen bewachsenen Hügel verstecken. Foreign Office Architects überdecken das Parkhaus auf dem Basler Novartis-Areal mit einer in Bänder zerlegten Landschaft, wofür sie einen Spezialpreis erhielten.

Für diesen Hang zum Solitären ist signifikant, dass Konzert- und Opernhäuser eine eigne, reich bestückte Abteilung haben. Sie sind, wie Museen, Wahrzeichen einer Stadt, die - man denke an Sydney - gar nicht bildhaft genug sein können. Da kann jede Skurrilität computeranimierter Entwurfs- und Fertigungsmethoden ihren Effekt haben. Nicht jeder Entwurf freilich bringt das (amerikanische) Selbstbewusstsein von Frank O. Gehrys Walt Disney Concert Hall in Los Angeles auf.

Die Nagelprobe für eine Position, die sich an der Anpassungsfähigkeit biologischer Organismen orientiert, müssten Umbauten und Grossprojekte sein. Denn in ihnen können sich die Qualitäten eines Konzepts der Verwandlung am umfassendsten bewähren. Merkwürdigerweise scheitert die Ausstellung jedoch gerade in diesen beiden Bereichen eklatant. Zwar hat Kurt W. Forster die „Transformations“ an den Anfang seines Parcours gesetzt, und die „Hyper-Projects“ schliessen ihn ab. Doch weisen die ausgewählten Umbauten durchschnittliches Niveau auf. Greg Lynn beispielsweise blendet einem Amsterdamer Wohnkomplex gekurvte, auf- und absteigende Glaselemente vor, die Rückseite des endlosen Blocks jedoch versinkt in Tristesse.

Die Sektion der Grossprojekte enthält zwar die Entwürfe, die Morphosis und HLT für das olympische Dorf 2012 in New York am East River vorlegen; auch die mit einem Spezialpreis ausgezeichnete Ufer-Esplanade in Barcelona von Martínez Lapeña-Torres Arquitectos ist ein äusserst komplexes Projekt. Der urbanistische Ansatz dahinter, die Umsetzung der vielfältigen Anforderungen an die Planung, wird in der kargen Präsentation jedoch bei keinem der Projekte deutlich.

Fragen der Urbanistik treten dagegen in einer Reihe von Länderbeiträgen in den Vordergrund. Die rasant zunehmende Verstädterung der niederländischen Landschaft wird an prekären Beispielen im nationalen Pavillon analysiert. Eine durch alle Räume schwingende Fotomontage im deutschen Pavillon zeigt zum selben Phänomen der Suburbanisierung, wie die gesichtslosen Siedlungen mit einzelnen Bauten eine verstörende Ambivalenz zurückgewinnen. Im belgischen Pavillon wird Urbanistik multimedial um eine historische und soziologische Dimension erweitert, um ein komplexes Bild Kinshasas zu erstellen und vielleicht ein wenig das schlechte kolonialistische Gewissen zu entlasten. Prompt hat die Jury dies mit dem Goldenen Löwen für den besten Länderpavillon honoriert.

Städteboom

Nicht zuletzt deutet die Abteilung zur Entwicklung von Städten am Wasser, die in einem schwimmenden Pavillon gezeigt wird, die gigantischen Dimensionen an, die Stadtplanung in Seoul, Shanghai und anderen Städten Asiens annimmt. Hier wird deutlich, wie wünschbar es gewesen wäre, unter dem Aspekt der Grossprojekte den Bauboom in China aufzugreifen, in den viele westliche Architekturbüros einbezogen sind. Dass Rem Koolhaas, der sich früh mit den asiatischen Mega-Citys auseinandergesetzt hat, nicht vorkommt, ist so bedauerlich wie das Fehlen von Herzog & de Meuron, deren Ideen in vielen Entwürfen irrlichtern.
Da ist es mehr als ein Trostzückerchen, dass Architekturfotografie eine eigene Sektion erhält. So zeichnet sich wenigstens in Ansätzen der Wandel von der Dokumentation zu Interpretation und Atmosphäre ab.

Diese Biennale feiert eine Architektur, die für ihre Freiheiten die Notwendigkeiten noch nicht gefunden hat. Es bleibt abzuwarten, ob das festliche Monument zum Grabstein wird.

„Metamorph“: Bis 7. 11., www.labiennale.org. - Das Schweizer Institut zeigt vom 16. 9. bis 16. 10. im Palazzo Trevisan degli Ulivi eine Auswahl von Bundesbauten und ein Projekt für eine neue Academia-Brücke.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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