Veranstaltung

9. Architektur-Biennale Venedig 2004
Ausstellung
12. September 2004 bis 7. November 2004
Giardini della Biennale, Arsenale
I-30122 Venedig


Veranstalter:in: Biennale di Venezia

Die Farbe Rot

Die Architekturbiennale in Venedig widmet sich der Naturhörigkeit in der zeitgenössischen Architektur und präsentiert die interessanteste Selbstdarstellung Österreichs, die es dort je zu sehen gab.

15. September 2004 - Jan Tabor
Die Farbe der Metamorphose ist Rot. Diese Erkenntnis stellt sich ein, sobald man auf eine der zahlreichen quadratischen Markierungen aus rotem Gummistoff tritt, mit denen die verwinkelten Wege um die Giardini und das Arsenale beklebt sind. Die großen Aufkleber sehen aus, als wären sie aus einem roten Teppich ausgeschnitten, enthalten das Wort Metamorph und einen Pfeil, der in die Richtung eines der vielen Zugänge in die weitläufigen und weit verstreuten Gehege der 9. Architekturbiennale hinweisen. Das Hauptthema dieser weltgrößten Leistungs-, Ideen- und Eitelkeitenrundschau für Architekten: Metamorphose. Ihre Kennfarbe erweckt Erwartungen auf ein Ereignis sondergleichen. Diese werden tatsächlich erfüllt. Es ist das frische Rot einer sich abzeichnenden Revolution. Es gibt Metamorphosen, die als Revolutionen beginnen. Dies ist der Zustand der Architektur. So lässt sich die diesjährige Biennale verkürzt auf den Punkt bringen.

Allerdings ist das Biennale-Rot nicht nur ein symbolisches, sondern auch ein atmosphärisches Rot, das, wie man unterwegs sieht, aus weichen Zwischentönen besteht, die in Regenbogentöne übergehen und bis ins Naturgrün (Ökologie!) und Himmelblau (Luftschlösser!) reichen. Der Natur und der Landschaft gilt die Zuneigung des radikal verwandelten Architekten von heute - und nicht mehr, wie gestern noch, dem urbanen Chaos. Der Architekt von heute ehrt die Natur, lernt von der Natur, ahmt sie nach, wo es geht. Er verachtet Tradition, Geschichte und die Lehren von Las Vegas, mit denen Robert Venturi einst die Rückkehr zum Banalen und die Abkehr von der strengen Moderne ausrief. Der neue Architekt, sagt uns die Biennale, liebt Formen, die der Natur entnommen sind oder zumindest entnommen scheinen - von den kleinsten Mikroorganismen bis zu den höchsten Bergen. Das Biennale-Motto könnte also auch „Zurück zur Natur“ heißen - was immer man unter Natur versteht. Nur fass- und greifbar muss es sein.

Eine der Abteilungen, in denen die Positionen zusammenfassend markiert und vorgestellt werden, heißt Topografie. Hier kann man Aufnahmen namhafter Fotokünstler etwa von Felsformationen sehen. Architektur, die Landschaft wird, und Landschaft, welche die Architektur formt, das ist der Zustand. Auch Landschaftsplaner werden neuerdings Stars. Die holländische Gruppe West 8 zum Beispiel.

Die anderen Kapitel heißen Transformation, Episoden, Oberflächen, Atmosphären, Natur des Künstlichen und Qualen der Stadt („Harrowing of the City“). Die österreichischen Architekten in dieser Hauptschau sind Architektur Consult (Domenig Eisenköck Peyker), Adolf Krischanitz, Beger + Parkkinen, Coop Himmelb(l)au, Volker Giencke, Klaus Kada, the next ENTERprise, Boris Podrecca, querkraft, Wolfgang Tschapeller. Mit dem Goldenen Löwen für Transformation in der Architektur wurde Günther Domenig ausgezeichnet. Geehrt wurde er für den architektonisch und ethisch kongenial gelösten Einbau eines Antinazimuseums in den unfertig gebliebenen gigantomanischen NS-Kongresspalast auf dem ehemaligen Gelände der NSDAP-Reichsparteitage in Nürnberg. Unser Mann in der Biennale-Jury heißt Dieter Bogner, der Vorsitzende der Jury für den Kiesler-Preis, die höchste österreichische Auszeichnung für international bedeutende Architekten und Künstler, Kurt W. Forster. Der Kiesler-Preis wurde im Anschluss an die Biennale-Eröffnung im Guggenheimmuseum den Architekten Hani Rashid und Lise Anne Couture verliehen.

Die beiden nennen sich Asymptote. Wie groß die Übereinstimmung mit der Architekturauffassung von Friedrich Kiesler und Asymptote ist, kann man in der Fandazione Guggenheim Foundation feststellen, wo derzeit die Ausstellung „Kiesler and Peggy, the visionary and the collector“ zu sehen ist. Die Hauptausstellung „Metamorph“ im Arsenale ist dem Thema und dem Inhalt enstprechend von Asymptote gestaltet. Die rund 300 Meter lange Säulenhalle der einstigen Seilfabrik ist durch Gestelle unterteilt, die wie Segmente von riesigen zerschnittenen Muscheln oder Schalen aussehen und mit den ähnlich geformten senkrechten Stellwänden abgeschlossene Räume so bilden, dass die ganze Halle überblickbar bleibt und dem strengen tektonischen Rhythmus der mächtigen Säulen ein neuer, weicher Rhythmus der senkrechten und waagrechten Gestelle kontrapunktisch hinzugefügt wird. Die Räume zwischen den Säulen baumeln zeitgeistig barock - die Lichtregie ist entsprechend.

Die mit Modellen aller Art und Größe, überfüllten schaukelförmigen Gestelle wirken wie überreich gedeckte Festtische, die sich unter dem ideellen Gewicht der tafelartig aufgetischten Architekturexempel biegen. Gegenwartsarchitektur in Hülle und Fülle. Alle Modelle können von allen Seiten betrachtet werden, die sorgfältig gestalteten und gedruckten Informationstafeln ermöglichen eine nüchterne Bestandsaufnahme der Gegenwartsarchitektur, obwohl die Ausstellung dem mit kostbaren Weihgaben bestückten Tempel eines unersättlichen Architekturgottes gleicht.

Die Stars, deren kultische Verehrung vor allem die letzte Biennale unerträglich machte, sind hier reichlich vertreten, aber eben als Gleiche unter Gleichen, und nur um mit ihren bedeutenden Beiträgen diese aufregende Inventur der gegenwärtigen revolutionären Veränderungen zu vervollständigen.

Die diesjährigen Biennale-Macher unter der Leitung des Architekturtheoretikers Kurt W. Forster mögen lapidare Symbolik, die Gestalter der Biennale, Asymptote, mögen symbolisch geometrische Formen: Gestalten aus Geraden, denen sich eine ins Unendliche verlaufende Kurve nähert, ohne sie zu erreichen; kurzum: Asymptoten. In der Allee zwischen dem Eingang in die Giardini und dem Eingang in den italienischen Pavillon trifft man sie wieder. Dort befindet sich ein architektonisches Objekt, das ins Unendliche zu zielen scheint und als eine lang gezogene Absprungschanze beschrieben werden kann. Es drückt Aufschwung, Beschleunigung und Loslösung aus. Das Objekt ist rot, und es führt den Blick ohne Umschweife zum Dach des Zentralpavillons.

Dort schlägt plötzlich wie aus dem sprichwörtlich heiteren Himmel ein roter Blitz ein und schleudert rote Bautrümmer umher. Im Zentralpavillon ist der erste Teil der internationalen Schau untergebracht. Drinnen finden die Besucher eine riesige dreiteilige Skulptur vor, die wie die zerlegte Turbine eines interplanetaren Raumschiffs aussieht. In Wirklichkeit ist es die Spitze des Turms von Babel. Der Blitz und die Trümmer auf dem Dach sind Teil der Skulptur „Turris Babel“ von Massimo Scolari. Sie soll jene Energie symbolisieren, die auch den babylonischen Turm zerstört hat und der wir auch die Zerstörung überholter Prinzipien des Bauens und den radikalen Neubeginn zu verdanken haben. Der letzte Zweifel, ob das Rot die Farbe der Metamorphose und die Metamorphose die Form der Revolution ist, wird beseitigt.

Wieder ein österreichisches Jubiläum: siebzig Jahre. Der österreichische Pavillon wurde 1934 von Josef Hoffmann errichtet. Es war eine Art politisches Geschenk der autoritären Regierung Dollfuß an den Duce. Seit Peter Weibels Kommissariat (1993-1999) versuchen die meisten zur Teilnahme bestimmten Künstler und Architekten den austrofaschistischen Charme (und Charme hat die penetrant axiale Architektur von Hoffmann tatsächlich) zu unterminieren - bewusst oder unterbewusst. Das ist diesmal besonders gut und einfühlsam schräg gelungen. Die Gruppe AllesWirdGut (AWG) hat draußen eine schräge Plattform gelegt, aus der eine einfache Bude wächst wie aus einer flachen Böschung. (Man merke: Generalmetamorphose - Landschaft, die Architektur wird.) Das Gebilde ist einheitlich mit einem schwarzen Belag aus Abfallgummi überzogen, der mit dem Weiß des Hoffmann-Pavillons kontrastriert. Plattform und Bude dienen als Bühne für die Auftritte und Aktionen von Architektengruppen, die eingeladen wurden, um am Ruhm in Venedig zu partizipieren. Insoweit geht das Konzept von Austrokommissärin Marta Schreieck voll auf. Schreiecks Vorstellung, die eingeladenen vier Gruppen - neben AWG noch nextENTERprise, querkraft und pool - würden zu einem gemeinsamen Konzept zusammenfinden und auf diese Weise die spezifisch österreichische Neigung junger Architekten zur Gruppenbildung darstellen, hingegen wurde enttäuscht. Die anderen drei Gruppen ziehen vor, ihre kleine private Leistungsschau vorzuführen.

Als zweiter Österreichschwerpunkt kommt die vortreffliche Architektur der Supermarktkette MPreis hinzu: jede Filiale ein anderer Architekt. Das Interesse des Publikums dafür ist unerwartet groß. Im internationalen Vergleich erscheinen die Österreicher als Menschen, die den Spaß ernst nehmen. Im nationalen Vergleich ist die heurige Präsentation im österreichischen Pavillon die beste, seitdem es die Architekturbiennale gibt. Learning from the Prater: Drei Trittvehikel stehen zum Durchfahren des Pavillons bereit und werden gern verwendet. Sie haben elegante rote Gestelle.

[ Metamorph. In Giardini und Arsenale Venedig. Bis 7.11., tägl. 10-18 Uhr. ]

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