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Am 4. November wurden im Rahmen einer feierlichen Abendveranstaltung in der Anton Bruckner Privatuniversität in Linz die diesjährigen Gewinner:innen des ZV-Bauherrenpreises ausgezeichnet. Aus insgesamt 100 Einreichungen wurden zuvor 27 Projekte für die Shortlist ausgewählt. Daraus ermittelte die Hauptjury bestehend aus Julia Bolles-Wilson (Münster), Falk Jaeger (Berlin) und Martin Kohlbauer (Wien) nun sechs Preisträger:innen des ZV-Bauherrenpreises 2016.

Nominierungsjurien in den Bundesländern:

WIEN
Markus Geiswinkler
Gabriele Kaiser
Markus Pernthaler

NIEDERÖSTERREICH
Erich Bernard
Ulrich Huhs
Franziska Leeb

OBERÖSTERREICH
Dieter Klammer
Christa Lepschi
Walter Schuster

BURGENLAND
Michael Loudon
Werner Neuwirth
Anna Wickenhauser

STEIERMARK
Burkhard Schelischansky
Bernd Vlay
Helena Weber

KÄRNTEN
Ferdinand Certov
Peter Jungmann
Christine Lechner

SALZBURG
Alexander Hagner
Barbara Poberschnigg
Michelangelo Zaffignani

TIROL
Renate Benedikter-Fuchs
Thomas Lechner
Wolf-Dieter Schwarz

VORARLBERG
Gerd Erhartt
Maria Flöckner
Peter Nagelschmiedt

Preisträger

Nominierungen

HTBLA Hallstatt

Hallstatt (A) -
riccione architekten

Bundesschulzentrum Feldbach

Feldbach (A) -
ZT Arquitectos Lda

Juweliere A.E. Köchert

Wien (A) -
BWM Designers & Architects

Presseschau

5. November 2016 Wojciech Czaja
Der Standard

Noch ein­mal Blu­men­wie­se

Ge­stern, Frei­tag, wur­de der Ös­ter­rei­chi­sche Bau­her­ren­preis ver­ge­ben. Ei­nes der ins­ge­samt sechs aus­ge­zeich­ne­ten Pro­jek­te ist das Pfle­ge­wohn­heim in Wien. Es be­schert Ma­ria Z., Franz P. und Ro­sa­lia W. ei­nen schö­nen, son­ni­gen Le­bens­herbst.

Maria Z. ist 93 und schwer pfle­ge­be­dürf­tig. Sie liegt im Bett, starrt die meis­te Zeit an die De­cke, nur ab und zu ent­kommt ihr ein kur­zes, lie­be­vol­les Zwin­kern. In den meis­ten Pfle­ge­hei­men wür­de Ma­ria Z. den Groß­teil des Tags al­lein in ih­rem Zim­mer ver­brin­gen – nicht hier. Ma­ria Z. ist um­ge­ben von Be­su­che­rin­nen und Be­treu­ern, von Kol­le­gen und ge­ra­de sich auf Rei­se be­find­li­chen Spa­zier­gän­ge­rin­nen. Im Hin­ter­grund läuft der Fern­se­her, da­ne­ben ein Ra­dio, ir­gend­wo wird lauts­tark Kar­ten ge­spielt. Je­mand reißt ei­nen Witz, je­mand an­de­rer lacht, ei­ne Schüs­sel mit Kai­ser­schmarrn fliegt zu Bo­den. Krach.
„Es war ei­ne be­wuss­te Ent­schei­dung, die Wohn­grup­pen so zu or­ga­ni­sie­ren, dass sich die 15 Ein­zel­zim­mer je­der Wohn­grup­pe je­weils um ei­nen ge­mein­sa­men Be­reich grup­pie­ren“, sagt Bern­hard Wein­ber­ger, ei­ner der drei Part­ner von wup wim­me­rund­part­ner ar­chi­tek­tur. „Da­durch kön­nen Be­woh­ner den Groß­teil des Ta­ges, wenn sie möch­ten, ge­mein­sam ver­brin­gen.“ Und ja, das tun sie. Und mit ih­nen die Töch­ter, Söh­ne, En­kel, die an die­sem son­ni­gen Nach­mit­tag zu Be­such sind.

Gän­ge sind im Ing­rid-Leo­dol­ter-Haus, wie das Pfle­ge­wohn­heim am Kar­di­nal-Rau­scher-Platz im 15. Wie­ner Ge­mein­de­be­zirk of­fi­ziell heißt, pas­sé. Es herrscht das Prin­zip Markt­platz. Und der Be­griff ist durch­aus wört­lich zu ver­ste­hen. „Wie in ei­nem Dorf ha­ben wir die Pri­vat­zim­mer als Häus­er­zei­le be­trach­tet. Vor je­dem Pri­vat­haus gibt es, wie es sich ge­hört, ei­ne klei­ne ge­schütz­te, halb­öf­fent­li­che Zo­ne, in der man auf ei­nem Bank­erl Platz neh­men und das Ge­sche­hen be­ob­ach­ten kann. Wer will, kann sich auch di­rekt zum Dorf­an­ger be­ge­ben und den Tag am Markt­platz ver­brin­gen“, so Wein­ber­ger.

Für das un­ge­wöhn­li­che Raum­kon­zept, das be­reits Teil der Wett­be­werbs­aus­schrei­bung war, wur­den der ge­mein­nüt­zi­ge Bau­trä­ger Ge­si­ba und der Wie­ner Kran­ken­an­stal­ten­ver­bund (KAV) ge­stern, Frei­tag, mit dem Ös­ter­rei­chi­schen Bau­her­ren­preis aus­ge­zeich­net. Das vor ei­nem Jahr er­öff­ne­te Pfle­ge­wohn­heim (In­ves­ti­ti­ons­vo­lu­men 72 Mio. Eu­ro) ist ei­nes von ins­ge­samt sechs Pro­jek­ten, die von der Zen­tral­ver­ei­ni­gung der Ar­chi­tek­tIn­nen Ös­ter­reichs (ZV) ge­kürt wur­den. Der jähr­lich ver­ge­be­ne Preis ver­steht sich als Wür­di­gung der Auf­trag­ge­be­rin­nen und Auf­trag­ge­ber.

„Das Ni­veau der Ein­rei­chun­gen war sehr hoch“, sagt Ju­ry­mit­glied Mar­tin Kohl­bau­er. „Und das Pfle­ge­wohn­heim in Ru­dolfs­heim-Fünf­haus ist ein be­son­ders be­hut­sam ge­plan­tes Haus. Es ist nicht nur ein mit Ver­ve und En­ga­ge­ment be­auf­trag­tes und be­glei­te­tes Pro­jekt, son­dern auch ein wun­der­ba­res Bei­spiel da­für, wie man al­te, ge­brech­li­che und mit­un­ter an De­menz er­krank­te Men­schen an ei­nem ge­sell­schaft­li­chen Le­ben teil­ha­ben lässt. Mich per­sön­lich hat das Ge­bäu­de sehr be­rührt.“

Franz P. und Ro­sa­lia W. bie­gen um die E­cke. Tür auf, Tür zu, und wei­ter geht’s. Die bei­den ha­ben, wie die meis­ten de­men­ten Men­schen, ei­nen ho­hen Be­we­gungs­drang und ver­brin­gen ih­re Frei­zeit am liebs­ten im Ge­hen. Da­zu ha­ben sie im 328-Bet­ten-Haus schier un­end­lich vie­le Op­tio­nen. „Sämt­li­che Tü­ren ste­hen of­fen“, sagt Pro­jekt­lei­ter Wein­ber­ger. „Durch die vier gro­ßen In­nen­hö­fe, die wir in den gro­ßen Stra­ßen­block ein­ge­schnit­ten ha­ben, hat je­der die Wahl, ob er die ganz gro­ße Run­de dre­hen will oder lie­ber ei­ne et­was kür­ze­re Ach­ter­schlau­fe geht.“

Lang­wei­lig ist die Rei­se für Franz P. und Ro­sa­lia W. kei­nes­wegs. Im­mer wie­der gibt es Bän­ke, im­mer wie­der gibt es Lüm­me­le­cken und Lehn­bo­ards, an de­nen man ei­ne Rast ma­chen und die spie­len­den Kin­der im Kin­der­gar­ten­hof (EGKK Land­schafts­ar­chi­tek­tur) be­ob­ach­ten kann. Kur­ze Pau­se, und wei­ter geht’s. „De­men­te Men­schen nei­gen da­zu, op­ti­sche Brü­che und all­zu ab­rup­te Wech­sel in den Ma­te­ria­li­en als Bar­rie­re zu ver­ste­hen“, er­klärt Ar­chi­tekt Hel­mut Wim­mer. „Dann blei­ben sie ste­hen und ge­hen nicht wei­ter. Und das wä­re doch ewig scha­de, oder?“

Der hier er­ziel­te Kom­pro­miss aus Kal­kül und Krea­ti­vi­tät gip­felt in ei­nem har­mo­nisch zu­sam­men­ge­wür­fel­ten Flie­sen­bo­den in Gelb, Rot, Grün und Blau. Mit dem leicht un­schar­fen Ker­zen­blick, den man im ho­hen Al­ter dank vie­ler Di­op­trien wohl oh­ne­hin ent­wi­ckelt, er­gibt sich in der grob ge­pi­xel­ten Struk­tur ein Bild von fast zau­ber­haf­ten Di­men­sio­nen. „Ein paar Be­woh­ner ha­ben uns schon rück­ge­mel­det, was für ei­ne Freu­de sie mit der bun­ten Blu­men­wie­se ha­ben“, so Wim­mer.

Im Erd­ge­schoß ist ge­ra­de ei­ne Ge­sangs­vor­stel­lung zu En­de. Schon strö­men die er­sten Geh­hil­fen und Rol­la­to­ren aus dem Fest­saal. „Die­ses Haus bie­tet uns al­le Mög­lich­kei­ten, um hier neue Wohn- und Pfle­ge­kon­zep­te um­zu­set­zen“, sagt die lei­ten­de Di­rekt­orin Hil­de­gard Men­ner. „Wir ha­ben viel Platz für Ver­an­stal­tun­gen, vor al­lem aber ha­ben die Be­wohn­er­in­nen und Be­woh­ner bei uns ein brei­tes Spek­trum an Mög­lich­kei­ten, wie sie den Tag ver­brin­gen möch­ten – ob das nun im Zim­mer, am Markt­platz oder drau­ßen auf der Log­gia ist.“

Im­mer öf­ter, er­zählt Men­ner, kom­men Kin­der und Ju­gend­li­che zu Be­such, be­tei­li­gen sich An­rai­ner aus der Um­ge­bung an Ver­an­stal­tun­gen. Vor dem Ca­fé im Erd­ge­schoß sit­zen ge­ra­de Ju­gend­li­che mit Ke­bab in der Hand. Und erst kürz­lich ha­be sich an ei­nem son­ni­gen Herbst­tag ein Nach­bar im Hof breit­ge­macht und sei­nen mit­ge­brach­ten Elek­trog­rill an die Out­door-Steck­do­se an­ge­schlos­sen. Pri­vat­ham­mel gab’s dann doch kei­nen. So weit ist es nicht ge­kom­men.

„Wir re­den da­von, dass die Ge­sell­schaft im­mer äl­ter wird“, sagt Ar­chi­tekt Hel­mut Wim­mer. „Ja dann ma­chen wir doch bit­te end­lich was aus die­ser Tu­gend! Zum Bei­spiel, in­dem wir den al­ten und pfle­ge­be­dürf­ti­gen Men­schen Räu­me ge­ben, in de­nen wir uns selbst ei­nes Ta­ges wohl­füh­len wer­den. Das ist un­se­re so­zia­le Ver­ant­wor­tung. Das ist un­ser Ho­ri­zont.“