Sigmund Freud Museum
Wien (A) - 2020
mit ARTEC Architekten, Walter Angonese
Architekturzentrum Wien
Hermann Czech studierte Architektur an der Technischen Hochschule Wien und in der Meisterschule von Ernst A. Plischke an der Akademie der bildenden Künste in Wien. 1958 und 1959 war er bei Konrad Wachsmann Seminarteilnehmer an der Sommerakademie in Salzburg.
Sein ungleichartiges architektonisches Werk umfasst Planungen, Wohn-, Schul- und Hotelbauten ebenso wie Interventionen in kleinem Maßstab und Ausstellungsgestaltungen. Seine Projekte haben starken Bezug zum Kontext und beinhalten bewusst die vorhandenen Widersprüche. Ab den 1970er-Jahren („Architektur ist Hintergrund“) wird Hermann Czech zum Protagonist einer neuen „stillen“ Architektur, die „nur spricht, wenn sie gefragt wird“.
Hermann Czech ist Autor zahlreicher kritischer und theoretischer Publikationen zur Architektur. In seiner Theorie spielen die Begriffe Umbau und Manierismus eine zentrale Rolle.
An der Akademie für angewandte Kunst in Wien war er von 1974 bis 1980 Assistent bei Hans Hollein und Johannes Spalt, 1985/86 Gastprofessor an derselben Hochschule. 1988/89 und 1993/94 war er Gastprofessor an der Harvard University in Cambridge/USA, 2004–07 Gastprofessor an der ETH Zürich, 2011/12 Gastprofessor an der Akademie der bildenden Künste in Wien (Roland Rainer Chair), wiederholt Gastprofessor an der TU Wien.
Hermann Czech: Das architektonische Objekt. Eine Werkmonografie. Mit Beiträgen von Ulrike Jehle-Schulte- Strathaus und Arno Ritter. [= Werk, Bauen + Wohnen 1996, Nr. 6]
Hermann Czech (Hg.): Christopher Alexander et al.: Eine Muster-Sprache. Städte Gebäude Konstruktion. Löcker Verlag, Wien 1995
Hermann Czech (m. Begriffsregister hgg.): Josef Frank. Architektur als Symbol. Elemente deutschen neuen Bauens (1931) Löcker Verlag, Wien 1981
Josef Frank 1885–1967 (hg. v. Johannes Spalt und Hermann Czech). Löcker Verlag, Wien 1981
Zur Abwechslung. Ausgewählte Schriften zur Architektur. Wien. Löcker Verlag, Wien 1978 (1996 verb. u. erw. Aufl.)
Hermann Czech. Special Issue Architecture and Urbanism, Tokyo, Nr. 2016:11
Hermann Czech: Essays on Architecture and City Planning. Park Books, Zürich 2019
Hermann Czech / Wolfgang Mistelbauer: Das Looshaus. Löcker Verlag, Wien 1976 (1984 3. Aufl.)
Eva Kuß: Hermann Czech. Architekt in Wien. Park Books, Zürich 2019
Eva Kuß: Hermann Czech, Architekt in Wien, Park Books, Zürich 2018, 456 Seiten.
Turn On 2012 - Themenblock Wohnen, Vorträge Wohnen, Hrsg. RAUM.FILM FILMPRODUKTION, Deutsch, RAUM.FILM FILMPRODUKTION, Wien 2012.
Mustersiedlung Hadersdorf, Neues Wohnen in Wien, Deutsch, niggli, Sulgen 2009, 116 Seiten.
1987 Einzelausstellung in der 9H Gallery, London
1996 Einzelausstelllung im Architekturmuseum Basel
1980/1991/2000/2012 Teilnahme an der Architekturbiennale Venedig
Zahlreiche Vorträge im In- und Ausland
1985 Preis der Stadt Wien für Architektur
1997 Goldenes Ehrenzeichen für Verdienste um das Land Wien
1998 Würdigungspreis des Landes Niederösterreich für Architektur
2001 Kunstpreis Berlin
2007 Ehrenmedaille der Bundeshauptstadt Wien in Gold
2014 RIBA International Fellowship
2016 Mitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste
2016 Hans-Hollein-Kunstpreis für Architektur
ZV-Bauherrenpreis 2021, Preisträger, Sigmund Freud Museum
Planungen (Auswahl):
1965/71 Einfahrbare Überdachung des Grabens in Wien
1966 Kritischer U-Bahn-Netzentwurf für Wien (mit Friedrich Kurrent, Johannes Spalt, Hugo Potyka, Otto Steinmann)
1966–67 Wettbewerbsprojekt Mechanisches Bett/Sofa (2. Rang)
1974 Wettbewerbsprojekt Donauinsel Wien
1981–82 Marktplatz/Denkmal Perchtoldsdorf
1982–83 Wettbewerbsprojekt U-Bahn-Trasse Otto Wagner-Brücke in Wien (mit Heinrich Mittnik)
1985–89 Generelle Planung U-Bahn-Abschnitt U3-West (Stadt Wien)
1992–93 Urbanisierung des Geländes der ehemaligen SS-Kaserne Oranienburg (D) (1. Rang eines Gutachterverfahrens)
1994 Dachaufbau der Gloriette Schönbrunn (Projekt)
1998–2001 Umbau Bahnhof Wien-Hütteldorf (Siegerprojekt eines Gutachterverfahrens)
2001–02 Hochhausstudie Innsbruck (mit weiteren Autoren)
2002 Hochhausprojekt Saturn für IBM, Donau-City
2008 Wettbewerbsprojekt Umbau Nationalratssaal im Österreichischen Parlament
Wien (A) - 2020
mit ARTEC Architekten, Walter Angonese
Architekturzentrum Wien
Wien (A) - 2011
mit Adolf Krischanitz, Werner Neuwirth
Architekturzentrum Wien
Wien (A) - 2007
mit Adolf Krischanitz, Steidle Architekten, Marcel Meili, Markus Peter Architekten, Hans Kollhoff, Heinz Tesar, Diener & Diener Architekten, Peter Märkli, Max Dudler
Architekturzentrum Wien
Umbau, Wien (A) - 2007
Architekturzentrum Wien
Wien (A) - 2005
Architekturzentrum Wien
Kaltern (I) - 2005
Spectrum
Umbau, Wien (A) - 1997
Architekturzentrum Wien
Neubau, Wien (A) - 1994
mit Wolfgang Reder
Architekturzentrum Wien
Neubau, Wien (A) - 1989
Architekturzentrum Wien
Wien (A) - 1987
Architekturzentrum Wien
Umbau, Wien (A) - 1984
Architekturzentrum Wien
Schwechat (A) - 1981
Architekturzentrum Wien
Wien (A) - 1970
Architekturzentrum Wien
Architektur im 20. Jahrhundert: Österreich
In seinem Essay „Mannerism and Modern Architecture“ von 1950 kommt Colin Rowe zu dem Schluß, die „moderne Architektur könnte möglicherweise Elemente enthalten, die dem Manierismus analog sind“1. Er entwickelt diese Erkenntnis zunächst an der Analyse der Ambivalenzen und Irritationen der Villa Schwob von Le Corbusier - insbesondere ihrer Straßenfassade - und dem Vergleich mit Fassaden des 16. Jahrhunderts.
Die Villa Schwob ist von Le Corbusier nicht in die Bände des Oeuvre complète aufgenommen worden, sie „steht offensichtlich nicht im Einklang mit seinen späteren Arbeiten; ihre Aufnahme hätte vielleicht das didaktische Gewicht der Sammlung beeinträchtigt“2. Rowe macht einen Unterschied zwischen frühen Werken der Moderne wie der Villa Schwob - oder auch „Bauten von Perret, Behrens, Adolf Loos“3 - und der Architektur der zwanziger Jahre. Aber auch solchen späteren, in der „Abstraktion“ fortgeschritteneren Werken schreibt er manieristische Kriterien zu: dem Bauhaus von Walter Gropius, dem Entwurf für ein Landhaus aus Backstein (1923) von Mies van der Rohe oder Le Corbusiers Gebäude der Heilsarmee in Paris (1929-33).
Der historische Manierismus legte es in der Sicht Rowes darauf an, die Vollendung der Hochrenaissance zu stören und den Zusammenbruch des Vertrauens in ihre theoretischen Programme vorzuführen. „Als eine Haltung der Vermeidung ist er im wesentlichen auf das Bewußtsein einer vorhandenen Ordnung angewiesen; als eine Haltung der Abweichung erfordert er eine Orthodoxie, innerhalb deren System er häretisch sein kann.“4 Rowe hat einige Schwierigkeiten, dem modernen Manierismus in analoger Weise eine vorgegebene Ordnung gegenüberzustellen, deren Auflösung betrieben wird. Da die manieristischen Züge bereits früh auftreten, verlegt er einen möglichen Bezugsrahmen der Orthodoxie schon ins 19. Jahrhundert, zu den Wurzeln der modernen Bewegung. Im Grunde läßt er die Frage offen. Wenn Robert Venturi die Kriterien von Ambivalenz und Störung, von Komplexität und Widersprüchlichkeit entwickelt, um sie einer heroischen, aber simplistischen Moderne gegenüberzustellen und diese damit zu überwinden5, so hat Rowe jedenfalls diese Kriterien bereits der Moderne selbst zugeschrieben.
Wie, wenn es einen zureichenden und einen unzureichenden Begriff der Moderne gäbe? Wenn die Moderne, die sich eben nicht wie die Renaissance das Auffinden und Darstellen einer den Dingen und dem Kosmos innewohnenden vorgegebenen Ordnung zum Ziel setzen kann, sondern die sich als Projekt, als freier Weltentwurf verstehen muß, in den verantwortlichsten Geistern zugleich das Problembewußtsein des Irrtums und der Fehlhandlung weckte?
Stil
Schon im Begriffskreis der Sachlichkeit sind historisch zwei Standpunkte enthalten: daß jedes Ding sich in seinem eigenen Sinnzusammenhang entfalten müsse - oder aber, daß nichts außer dem einmal erkannten Kanon zugelassen sei. Breitere Wirkung hat die plattere Version erzielt.6 Ein klassischer Aphorismus von Karl Kraus lautet:
„Adolf Loos und ich, er wörtlich, ich sprachlich, haben nichts weiter getan als gezeigt, daß zwischen einer Urne und einem Nachttopf ein Unterschied ist und daß in diesem Unterschied erst die Kultur Spielraum hat. Die andern aber, die Positiven, teilen sich in solche, die die Urne als Nachttopf, und die den Nachttopf als Urne gebrauchen.“7
Dieser Verzicht auf den gemeinsamen Leisten unterscheidet den modernen Standpunkt nicht nur vom Historismus, sondern auch von Jugendstil, Secession und Werkbund - und von allen Doktrinen bis heute. Adolf Loos schreibt 1898:
„Man will eine steinerne Kirche haben, gut, man geht zum Steinmetz. Man will eine Rohbaukaserne. Die macht der Maurer. Man will ein Stuckwohnhaus. Man gibt dem Stuccateur den Auftrag. Man will einen hölzernen Plafond im Speisesaal. Den macht der Zimmermann.
Ja aber - so wird man einwenden - wo bleibe denn dann die gleichartige künstlerische Durchbildung. Ich leugne die Nothwendigkeit einer solchen...“8
Wie hebt sich diese Fassung eines modernen Standpunkts von dem Schauder etwa Jürgen Joedickes ab, es könnte eine Gesellschaft geben, „die so schizophren ist, unterschiedliche Kriterien für das gleiche Problem - die Gestaltung der Umwelt - anzuwenden“9! Auch für Jürgen Habermas ist die „moderne Architektur [...] der erste und einzige verbindliche, auch den Alltag prägende Stil seit den Tagen des Klassizismus“.10
Aber die Kriterien des „Internationalen Stils“11 geben, bloß linear betrachtet, eben den unzureichenden Begriff der Moderne. Der zureichende Begriff der Moderne erfordert nicht nur, daß zu jedem Kriterium des „Internationalen Stils“ jeweils das Gegenteil denkmöglich ist, sondern auch, daß jedes Stilkriterium in verschiedenen Zusammenhängen völlig verschiedene Bedeutungen annehmen kann. Wenn die Moderne sich nämlich nicht als Auffinden der Weltordnung versteht, kann ihre Bewährung nur im tatsächlichen Leben liegen. Die Kontroverse zwischen Loos und Hoffmann betrifft eben diesen Punkt: ist die Moderne bereits im modernen Leben - im Menschen mit den „modernen Nerven“ - angelegt oder muß sie als Stil von oben her entworfen werden? Im Wien der letzten Jahrhundertwende gab es Leute, die wunderschöne Sachen machen konnten: Klimt, Schnitzler, Hofmannsthal, Richard Strauss… Aber in derselben Stadt gab es Kokoschka, Karl Kraus, Schönberg, Freud, Wittgenstein - die vermitteln konnten, daß Kunst nicht so sehr mit Schönheit, sondern mit Wahrheit zu tun hat. Auch das ist Inhalt der Kontroverse Loos - Hoffmann: es geht um Wahrheit, um eine wirkliche Vernetzung mit einem Bild des Menschen und der Gesellschaft; bloße Schönheit ist geradezu verdächtig.
Stadt
Je dichter am Leben die Architektur bleibt, desto komplexer ist sie; „einfach“ kann sie nur werden, indem sie davon abhebt. Am deutlichsten abgehoben hat die Moderne des „Internationalen Stils“ vom Verständnis der Großstadt. Die Vorläufer- und Außenseiterrolle der Wiener Entwicklung hat die „funktionelle Stadt“ hier nie zum Tragen kommen lassen - zumindest nicht bis in die Nachkriegszeit. Aus dem Werk Otto Wagners spricht die genaue und realistische Vorstellung vom wirklichen großstädtischen Leben, das der Architekt nicht etwa zu „gestalten“, sondern an dem er sich zu bewähren hat. Die Kontroverse der Zwischenkriegszeit zwischen den „Super-blocks“, die die spätgründerzeitliche Großstadtvorstellung Otto Wagners fortsetzten und oft auch von Wagner-Schülern errichtet wurden, und der Siedlungsbewegung, die in Loos und Frank tragende Persönlichkeiten hatte, stellte nie die komplexe Metropolen-Vorstellung in Frage. Der wieder-erarbeitete Hintergrund dieser Stadtvorstellung der frühen Wiener Moderne trägt auch den urbanen Vorschlag von Friedrich Kurrent und Johannes Spalt aus dem Jahr 1964 für eine über die Donau greifende Doppelstadt Wien - und schließlich die städtebauliche Diskussion bis heute.
Vor diesem Hintergrund ist auch zu verstehen, daß ein Paradigmenwechsel im Städtebau nicht vollzogen wird, indem man die Tapetenmuster der Lagepläne wechselt. „Man hatte sich schon darauf eingestellt, daß es zwischen der Rettung historischer Bausubstanz und der ästhetisch geleiteten Stadtreparatur keine weiteren Perspektiven mehr für die mit architektonischen Mitteln geführte Auseinandersetzung mit dem städtischen Raum geben würde. Die Dekonstruktion weckt da auf einmal neue Hoffnungen.“12 Wer freilich jeweils mit dem Bad das Kind ausschüttet, ist dazu verurteilt, ins nächste hineinzufallen.
Paradigmenwechsel im Städtebau bedeutet, den übergeordneten allgemeinen Strukturen nachzugehen, von denen die jeweils angemessene Lösung - ebenso wie alle bisherigen Lösungen - den besonderen Fall darstellt.13 Denn nichts soll verhindert werden; aber keine Errungenschaft soll verlorengehen. Diese Vorstellung einer „Architectura perennis“ - ein Begriff Joz?e Plec?niks - nimmt potentiell alle historische Architektur in die Moderne auf. Bei Josef Frank heißt es: „Unsere Zeit ist die ganze uns bekannte historische Zeit. Dieser Gedanke allein kann die Grundlage moderner Baukunst sein.“14
Warum soll denn das Projekt der Moderne gescheitert sein, wenn der Stil nicht haltbar ist? Adorno selbst hat doch gemeint, man könne über die Sachlichkeit hinaus, und zwar, indem man „noch sachlicher“ sei.15 „Noch sachlicher“ sein kann nur heißen: den komplexen Sachzusammenhängen, den Verästelungen der Gedankenreihe nachgehen, statt eine flache Disziplin durchzuhalten.
Partizipation
„Noch sachlicher“ sein heißt aber auch - Adorno fordert es ausdrücklich16 - dem „Konsumierenden“ - also dem Benützer - und seinen (wenn auch „falschen“) Bedürfnissen zum Recht zu verhelfen, den Widerspruch zwischen Rationalität und Humanität aufzulösen. Adorno läßt diesen Widerspruch auf der Stufe des Kompromisses stehen; und das gedankliche Rüstzeug zur Partizipation besteht weithin auch in der Auffassung, der Architekt müsse eben resignierend oder selbstlos auf den Anspruch verzichten, einen Ausdruck zu schaffen, um die Entfaltung und Verwirklichung der Nutzer zu ermöglichen.
Die Beschränktheit und Unwahrhaftigkeit dieses Ansatzes kann nur verlassen werden, indem die Rationalität des Entwurfs eben breit genug ist, um die Komplexitäten und Widersprüchlichkeiten der Partizipation aufzunehmen und auszutragen. Und wieso sollte dazu die Moderne nicht imstande sein, zu deren theoretischen Gegenständen seit der Romantik das Häßliche, Triviale, der Kitsch gehören?17 Eine Kultur der Partizipation ist nur auf der Basis eines Manierismus möglich - deshalb ist er zu wichtig, um ihn den Manieristen zu überlassen. Josef Frank schreibt 1931:
„Wer heute Lebendiges schaffen will, der muß all das aufnehmen, was heute lebt. Den ganzen Geist der Zeit, samt ihrer Sentimentalität und ihren Übertreibungen, samt ihren Geschmacklosigkeiten, die aber doch wenigstens lebendig sind.“18 Und weiter: „Deshalb wird die neue Baukunst aus dem ganzen Ungeschmack unserer Zeit, ihrer Verworrenheit, ihrer Buntheit und Sentimentalität geboren werden, aus allem, was lebendig und empfunden ist: Endlich die Kunst des Volkes, nicht die Kunst fürs Volk.“19
Rationalität bedeutet nämlich nicht bloß Abstraktion. Der oder die Entwerfende und Handelnde muß im Konkreten präzis sein; zu den architektonischen Ideen und Idealen muß die Logik und Moral des konkret erlebten Falles hinzutreten.
Wenn es kulturellen Fortschritt gibt, so kann er nur in Aufklärung bestehen. Dieses „Projekt“ kann nicht „scheitern“, wenn die Moderne auch die Unmündigkeit vor den selbst-geschaffenen Autoritäten aufhebt. Zeitgeistig mag diese aufklärerische und meinetwegen sogar moralische Haltung freilich auch nicht sein, die - vereinfacht - darin besteht, sich nicht blöd machen zu lassen und es auch bei anderen nicht zu versuchen.
Die Landschaft im Südosten Wiens ist - im Gegensatz zum hügeligen Westen - eben und gleichförmig. Das Grundstück liegt in einer noch weitgehend einheitlichen Siedlung der 40er Jahre. Es grenzt an eine Geländestufe mit einer fast 12 m hohen grasbewachsenen Böschung, auf deren Krone sich eine Baumreihe befindet. Sie bildet die einzige nichtbebaute Aussichtsseite. Die konische Form des Doppelgrundstücks schafft eine perspektivische Längsachse zur Böschung hin, auf die der Hausgrundriss durch eine leichte Verdrehung des Ostteils eingeht.
Kopf des Tages
Aber nicht, dass Sie mich schon wieder als Kaffeehaus- und Apfelstrudelarchitekten hinstellen! Ich habe in meinem Leben mehr gemacht als nur das!“ Hermann Czech zählt nicht nur zu den bedeutendsten Architekten Österreichs, sondern ist wahrscheinlich auch der letzte noch lebende Gestalter und Theoretiker, der sich intensiv mit dem Begriff der Moderne beschäftigt und der – stets mit einem schelmischen Grinsen zwischen den für ihn typischen, präzise ausgetüftelten Details – die Grundprinzipien klassischen Bauens anwendet.
Oder, um mit den Worten der Kunst- und Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer zu sprechen: „Czech steht mit seinen Arbeiten in mittelbarer Nachfolge von Adolf Loos. In vergleichbarer Weise gelingt ihm die subtile Verbindung von historisch Vorhandenem mit dem, was zeitgemäß gebraucht wird.“
Für genau diesen Brückenschlag wird Czech mit dem Großen Österreichischen Staatspreis 2024 ausgezeichnet. 1936 in Wien geboren, studierte er Architektur an der Technischen Hochschule und später an der Akademie der bildenden Künste. Er war Assistent bei Hans Hollein und Johannes Spalt und realisierte bald seine ersten Lokale, darunter etwa Kleines Café (1970, 1974), Wunder-Bar (1976) und Salzamt (1983). Weitere Projekte sind das Hotel Messe Wien, die Rosa-Jochmann-Schule in Simmering, der Stadtparksteg über den Wienfluss sowie die Winterverglasung auf der Galerie der Wiener Staatsoper.
Auf der Architektur-Biennale in Venedig wollte er 2023 mit dem Architekturkollektiv AKT den österreichischen Pavillon mithilfe einer Maueröffnung für die lokale Bevölkerung zugänglich machen, scheiterte aber an der Engstirnigkeit von Venedigs Bürokratie. Und so mutierte der Pavillon zu einer Chronik stadtpolitischer Verunmöglichung. Das Projekt ist stellvertretend dafür, wie es Czech liebt, sich fernab seines historisch kenntnisreichen Detailwahnsinns in den Geist einer Stadt hineinzudenken.
Czechs Bauten sind still und nur scheinbar unscheinbar. Architektur solle nur dann sprechen, wenn sie gefragt werde, sagte er einmal. Dass der Staatspreis an einen kritischen, nachdenklichen Menschen geht, der in seinem Innenstadtatelier im fünften Stock zwischen tausenden Büchern sitzt und werkt, ist Ausdruck einer neuen Sehnsucht nach Substanz. „Die 30.000 Euro Preisgeld“, so Czech, „kann ich für mein Büro gut brauchen.“
Hermann Czech ist ein weltbekannter Name. Zumindest in der Architekturwelt. Im breiten Publikum jedoch, meint er, kenne ihn fast niemand. Dem wollen wir zum 80. Geburtstag abhelfen.
Standard: Sie haben sich gewünscht, vor unserem Gespräch einen Blick auf meine Fragen zu werfen. Jetzt sind Sie unglücklich.
Czech: Auf viele dieser Fragen finde ich keinen Einstieg. Ich bin etwas ratlos.
Standard: Sie haben Geburtstag. Wünschen Sie sich eine Einstiegsfrage!
Czech: In einer Ihrer Fragen ist von der Irritation in meiner Arbeit die Rede. Darüber würde ich gerne sprechen.
Standard: Bitte!
Czech: Ich höre oft, dass manche Menschen von meiner Architektur irritiert sind. Das ist eine begründete Beobachtung. Das ist aber kein Selbstzweck. Die Irritation kommt ja nicht daher, dass ich darüber nachdenke, womit ich irritieren könnte. Sie ist vielmehr eine unausweichliche Nebenwirkung meines Entwurfsansatzes, meiner Verfolgung von verschiedenen Gedankengängen auf verschiedenen Ebenen.
Standard: Zum Beispiel?
Czech: Das können ganz pragmatische Überlegungen sein – sagen wir aufgrund des Gebrauchs oder der Kostenersparnis. Das können aber auch beabsichtigte Raumwirkungen oder Assoziationen sein. Manchmal sind das auch Zitate aus der Architekturgeschichte oder aus der trivialen Alltagswelt.
Standard: Als ich das erste Mal das von Ihnen geplante Kleine Café am Franziskanerplatz betreten habe, habe ich mir den Kopf darüber zerbrochen, aus welcher Epoche das Lokal stammen mag.
Czech: Das höre ich immer wieder.
Standard: Sie spielen gerne mit der Zeit. Sie zitieren, verfälschen und führen den Betrachter mit Ihren Räumen und Häusern an der Nase herum.
Czech: Die Zeit ist eine Dimension, die man in der Architektur anspielen kann. Ich arbeite gerne mit Möbeln, mit Bauteilen, mit Räumen, bei denen man nicht weiß oder bei denen es zumindest nicht ganz klar ist, ob sie schon vorher oder erst nachher da waren. Diese Wirkungen bieten sich oft ganz von selbst an. Man muss sie sich nur bewusst machen.
Standard: Sie haben sogar schon einmal den LC2-Stuhl von Le Corbusier zitiert und weiterentwickelt.
Czech: Das war im Austria Trend Hotel im Prater. Der Möbelhersteller Cassina hat mich daraufhin verklagt, weil Rechtsanwälte das routinemäßig für einen Plagiatsfall gehalten haben. Davon war keine Rede! Der Fauteuil war als LC2 erkennbar, aber mit hölzernen Handgriffen zum leichteren Aufstehen versehen. In Ihrer Architekturkritik haben Sie das damals ironischerweise als „klitzekleines Detailchen“ bezeichnet.
Standard: Wie ging die Geschichte aus?
Czech: In der dritten Instanz sind die finanziellen Klagsforderungen abgewiesen worden. Die Frage der Parodie, der künstlerischen Überarbeitung ist in unserer Rechtsprechung nicht ausreichend erfasst. Doch die Stühle sind jetzt eingelagert.
Standard: Was ist das Reizvolle an diesem Spiel mit der Historie?
Czech: Alles, was wir heute machen, war schon einmal da. Ich weiß gar nicht, ob es unbedingt so reizvoll ist, mit der Geschichte zu arbeiten. Es ist ganz einfach unumgänglich. Es ist wichtig, dass keine Details unter den Teppich gekehrt werden, dass Widersprüche so lange bearbeitet werden, bis alles passt.
Standard: Ich erinnere mich an das ausgetüftelte Detail eines Handlaufs, bei dem Sie im Wandputz eine Mulde ausgespart haben.
Czech: Ja, das war im Urbanihaus Am Hof in Wien. Hätte man den Handlauf so weit von der Wand entfernt, dass die Fingerknöchel nicht den rauen Putz streifen, dann wäre das auf Kosten der Stiegenbreite gegangen. Das wollte ich nicht. Also habe ich kleine Ausnehmungen in den Putz machen lassen. Es funktioniert.
Standard: Sehr Czech!
Czech: Solche Details gibt es seit vielen Hundert Jahren. Aber ja, man freut sich über einen intelligenten Einfall.
Standard: Ein befreundeter Architekt meinte einmal: Jedes Mal, wenn er in einem Haus von Hermann Czech steht, fühle er sich beobachtet, denn irgendwo lauere sicher eine versteckte Kamera, durch die der Czech die Besucher beobachtet.
Czech: Das lässt sich installieren! Ich würde den Menschen gerne beim Zuschauen zuschauen. Das wäre sehr amüsant.
Standard: An wie vielen Punkten würde so eine Kamera Sinn machen?
Czech: Ich denke, ein bis zwei Kameras pro Projekt werden es schon sein.
Standard: Der „Falter“ bezeichnet Sie als heimlichen Stararchitekten, den keiner kennt. Wie geht es Ihnen damit?
Czech: Da ist was dran. Der deutsche Kunstvermittler Kasper König hat kürzlich über den Begriff „Artists’ Artists“ geschrieben, also von Künstlern, die nur Künstlern bekannt sind. Und er meinte, ich sei ein „Architects’ Architect“. Architekten kennen mich, auch international, aber für Medien und Publikum ist der Czech unbekannt.
Standard: Architekten vergeben keine Aufträge.
Czech: Eben! Aber mit Architektur kann man eh nicht wirklich reich werden. Philip Johnson meinte einmal, als Architekt müsse man von vornherein reich sein oder eine reiche Frau haben.
Standard: Und?
Czech: Weder noch.
Standard: Wie hat sich der Job des Architekten verändert? Ist er leichter oder schwerer geworden?
Czech: Schwerer. Und vor allem lästiger. Manchmal sind Bauvorschriften und Normen unnötig lästig.
Standard: Sind es nicht die Zwänge, die ...
Czech: ... doch, doch, Zwänge sind inspirierend und können zu innovativen Lösungen führen. Aber wenn man nur mehr gerade Treppen und 80 Zentimeter breite WC-Türen bauen darf, dann hört sich die Architektur auf. Dann beginnt die räumliche Verarmung.
Standard: Wo ist die Architektur heute?
Czech: Die heutige Architektur ist zu einem erheblichen Teil verrechtlicht. Man kann kaum noch etwas entscheiden, ohne an Haftung und rechtliche Konsequenzen zu denken. Das lähmt natürlich auch sinnvolle Innovation.
Standard: Und wie ist es um die Stadt bestellt?
Czech: Der Planungstheoretiker Georg Franck fordert, die neue Stadt solle eine gute Adresse produzieren. Ich wäre schon zufrieden, wenn sie eine auffindbare Adresse fertigbrächte! Wenn Sie heute einen Bekannten in einem Neubaugebiet besuchen wollen, dann müssen Sie 20 Minuten draufschlagen, bis Sie die richtige Haustür finden. Ich finde das bedenklich. Oder schauen Sie sich die Mariahilfer Straße an! Ich kann aus einem Verkehrsnetz einen Faden rausnehmen. Ich kann sogar jeden zweiten Faden rausnehmen. Auch das wäre kein Problem. Aber ich kann nicht auch noch die kreuzenden Querfäden durchschneiden, denn dann habe ich plötzlich zwei Tüchln. Das ist wie Berlin nach dem Mauerbau. Es gibt keine Vorstellung mehr von Stadtstruktur.
Standard: Kann man das noch korrigieren? Oder ist es eh schon zu spät?
Czech: Es ist nie zu spät. Andererseits: Wenn Fehler groß genug sind, nennt man sie eines Tages Stadtentwicklung.
Standard: Eine Ihrer berühmtesten und wohl auch meistzitierten Aussagen lautet, Architektur solle nur sprechen, wenn sie gefragt werde.
Czech: Das ist die Formel der schwarzen Pädagogik. Wolf Prix hat das genau verstanden und hat daraufhin gesagt: „Unsere Kinder sprechen auch ungefragt!“ Kinder sind aber etwas anderes.
Standard: Warum soll Architektur die Klappe halten?
Czech: Weil nicht immer etwas zu sagen ist. Außerdem kann eine Architektur, die mit einem Paukenschlag auftreten will, von da ab nur schwächer werden. Soll jemand glauben, so etwas noch nie gesehen zu haben? Oder will ich das Beste, das möglich ist? Das sind zwei verschiedene Dinge.
Standard: Sie sind vorgestern 80 Jahre alt geworden. Worauf blicken Sie zurück?
Czech: Auf viele Fehler strategischer Art. Hans Hollein hat Strategien beherrscht, aber um das zu lernen, muss man veranlagt sein.
Standard: Gibt es einen Geburtstagswunsch?
Czech: Keine Bücher!
Standard: Weil?
Czech: Das hat mir der Statiker verboten. Ich habe schon an die 15.000 Bände im Büro. Zwar wurde das Haus früher als Staatsdruckerei genutzt, und die Stahlträger halten schon was aus, aber irgendwann ist Schluss.
Standard: Was wünschen Sie sich stattdessen?
Czech: Noch einmal 80 Jahre.
Peter Zinganel, Architekt, Mitgestalter der „Grazer Schule“, Leiter des Architekturreferats im Forum Stadtpark in Graz, kunst- und musikinteressiert: Nachruf auf einen Umtriebigen.
Vor wenigen Tagen ist der in Graz tätige Architekt Peter Zinganel gestorben, überraschend im Alter von 57 Jahren. In Graz war er kein Unbekannter. Viele hatten mit ihm studiert in den prägenden Jahren einer Bewegung, die Graz und die Steiermark in den Fokus internationaler Aufmerksamkeit rückte, weil hier Architektur abseits des damals herrschenden Mainstreams der Postmoderne entstehen konnte. Andere waren einen Teil des Weges mit ihm gegangen, als er über einen Zeitraum von zehn Jahren praktische Erfahrungen im Büro von GüntherDomenig und in der Kooperation von Domenig mit Hermann Eisenköck sammelte. Es gibt zahllose Studierende, die seit 1991 an der Technischen Universität in Graz von Peter Zinganel nicht nur über Prinzipien und Konzepte des Entwerfens aufgeklärt wurden, sondern anschaulichen Unterricht darin erhielten, über die Persönlichkeit ihres Lehrers zu erkennen, dass Architektur als Disziplin neben reinem Fachwissen auch soziale Verantwortung, Empathie und Begeisterung braucht. Peter hatte all das.
Seit 1996 führte er als Architekt ein eigenes Büro. Ehemalige und aktuelle Mitarbeiter beschreiben ihn als Arbeitgeber, der Teamarbeit und flache Hierarchien bevorzugte und freundschaftlichen Umgang mit seinen Angestellten pflegte. In einem grundsätzlichen Statement auf der Website des Architekturbüros lässt sich seine Überzeugung nachlesen, wonach Meinungsvielfalt im Diskurs, gefolgt von klarer Entscheidungskompetenz, zu besseren Problemlösungen führt. Aus Stückwerk formt sich so ein stimmiges Bild. Um Aufschluss über die Arbeit und den Lebensweg dieses Architekten zu erhalten, braucht es keine schlussfolgernde Interpretation. Allein aus der Zusammenstellung von Einzelheiten in einem zeitlichen Rahmen ergibt sich eine Lebenslinie, in der sich eins ins andere schlüssig fügt.
Peter Zinganel wächst in Zell am See auf und besucht die Höhere Technische Lehranstalt in Saalfelden. 1979 geht er nach Graz, um Architektur zu studieren. Es ist eine Zeit des Aufbruchs, der auch die Technische Hochschule erreicht, als Günther Domenig 1980 dort das Institut für Gebäudelehre übernimmt. Peter muss dem ungestümen Professor, der seinen Studenten höchsten Einsatz abverlangt, als talentiert aufgefallen sein, denn ab 1985 arbeitet er regelmäßig im Architekturbüro Domenig. Daneben studiert er und übernimmt 1986 als Co-Leiter das Architekturreferat im Forum Stadtpark, das sichzu jener Zeit neben dem eben gegründeten Haus der Architektur erst wieder neu erfinden muss. Er erkennt den Vorteil des Hauses in seiner Mehrspartenstruktur und forciert die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit den anderen Referaten.
Auf die noch auf Architektur fokussierte Ausstellung mit dem Titel „Wem nützt schon ambitioniertes Bauen?“ folgt 1989 die disziplinenübergreifende Ausstellung „Trash City“. Im Büro Domenig trägt er 1987 federführend zum Wettbewerbsgewinn für den Neubau des Krankenhauses in Bruck an der Mur bei. Dieser damals beispielgebende Entwurf für eine neue Qualität im Krankenhausbau wird bis heute ihm zugeschrieben. 1990, im Jahr des Baubeginns, beendet er beinahe beiläufigsein Studium und beginnt neben der Bürotätigkeit mit eigenen Arbeiten. Es sind äußerst produktive Jahre. Er leitet das Architekturreferat im Forum allein, konzipiert 1993 die Ausstellung „Kunst als Revolte. Von der Fähigkeit, Nein zu sagen“ und ein Jahr später die zweite Auflage der legendären Architekturausstellung „Standpunkte“. 1996 gründet er sein eigenes Büro. 1997 wird er Vorsitzender und damit Leiter des Forum Stadtpark, das er in der Folge mit Ernst Giselbrecht umbauen und um ein Obergeschoß erweitern kann. 2003 beendet er seine Tätigkeit dort und konzentriert sich fortan auf Büro und Familie, die zu diesem Zeitpunkt auf fünf Mitglieder angewachsen ist. Seit der Internationalen Gartenausstellung IGS 2000 ist er immer wieder Projektpartner von Hermann Eisenköck und der Architektur Consult, in die er 2008 als teilhabender Partner eintritt; vermutlich auch, um sich abzusichern und auftragsschwache Zeiten des eigenen Büros durchzustehen, ohne Mitarbeiter entlassen zu müssen.
Beides läuft, so wird erzählt, parallel und wird aktiv und produktiv vom Chef, der seinen Mitarbeitern kein konventioneller Vorgesetzter sein will, begleitet und bearbeitet. Arbeitsprozesse werden durch gemeinsame Kaffeepausen strukturiert, die allen als Diskussionsrunden oder Erzählungen über architektonische Entdeckungen und favorisierte Architekten in Erinnerung bleiben. Peter Zinganel bevorzugt für sein Büro Leute, die „architektonisch etwas am Hut haben“. Detailwissen ist kein Einstellungskriterium, weil er weiß, dass man sich dieses aneignen kann. Er selbst ist interessiert an zeitgenössischer Kunst und Musik. In Vorstellungsgesprächen testet er Stellenbewerber mit der Frage nach dem Mastermind der Rockband Radiohead.
Der gebauten Architektur aus dem Büro Zinganel kann man ablesen, dass sie mit den Jahren pragmatischer, in ihrer Form unspektakulär und einfach wird. Der Weg der „Grazer Schule“, die er als Student aktiv mitgestaltet, ist nicht seiner geworden. Innovative Aspekte der Architektur treten in der Arbeit des Büros in den Hintergrund, was vielleicht daran liegt, dass das Büro zwar unzählige ambitionierte Projekte für Wettbewerbe entwickelt, aber kaum einen gewinnt. Im Statement zu den Grundsätzen der Büroausrichtung werden veränderte Anforderungen an die Architektur thematisiert und wird die stärkere Berücksichtigung ökonomischer und ökologischer Erfordernisse betont. Im Sozialwohnungsbau „Massive Living“ im Grazer Stadtteil St. Peter setzt Zinganel diese Maxime exemplarisch um und zeigt, was in einem engen Budgetrahmen dennoch möglich sein muss: gut funktionierende Grundrisse anzubieten und durch bedachte Gliederung der Baukörper individuellen Rückzugin halb private Außenräume von Terrassen und Balkonen möglich zu machen.
Jetzt, da die Erinnerung an Begegnungen mit ihm seine starke Präsenz ersetzen muss, wird mir klar, dass er keineswegs unzufrieden darüber gewesen sein kann, in diesen Zeiten nur in kleinen Schritten kleine Erfolge erzielt haben zu können. Immer wirkte er ausgeglichen und fröhlich. Architektur war nur ein Teil seines Lebens – eines mit der Familie, mit gutem Essen und Reisen, mit einer ausgeprägten Liebe zu Italien und Musik. Nun ist es jäh vorbei und lässt uns traurig zurück.
Im Gespräch - Czech Eichinger Ritter
Zusammenfassung eines Gesprächs über Holz und Gastlichkeit mit den Architekten Hermann Czech und Gregor Eichinger, moderiert von Arno Ritter am 19. Jänner 2002 in Wien.
Ritter: Welche Dinge sind eurer Meinung nach bei der Gestaltung von Lokalen wichtig, damit ein Ort der Gastlichkeit im Endeffekt auch lang funktioniert?
Czech: Vor kurzem habe ich in einem Interview für eine Gastgewerbezeitschrift gesagt, dass ein Gasthaus eigentlich nach nichts ausschauen soll, weil sonst der Gast glaubt, dass er für das Design auch noch mitzahlen muss.
Eichinger: Oder er hat Angst, dass er nicht zum Lokal passt.
Ritter: In einem Gespräch, Gregor, hast du einmal gesagt, dass Gastronomiebetriebe immer dann funktionieren, wenn eine produktive Synthese zwischen dem Wirt, dem Personal und der Küche existiert. Erst an letzter Stelle komme die Architektur.
Eichinger: Das wichtigste sind meiner Meinung nach das Licht, der Kellner und die Atmosphäre, welche sicher durch Gestaltung und Material erzeugt wird, wobei Architekturexzesse oder übertriebenes Design kontraproduktiv sind. Sie befriedigen eigentlich nur kurzfristig eine gewisse Klientel, die nach einiger Zeit wieder weiterzieht. Es gibt Lokale, die nach zwei Jahren abgefuckt sind und es gibt Statements, die über ihr Errichtungsdatum hinaus bestehen bleiben. Zum Beispiel ist das Kleine Café von Czech ein Prototyp, das seit Jahrzehnten seinen Stellenwert in Wien hat. Dort ist das Herstellen eines Brotes ein Ritual und das deswegen, weil so wenig Platz ist und deshalb jedes Ding, das dazu notwenig ist, seinen bestimmten Ort haben muss. Auch die Bewegungen sind fast vorgegeben und daraus entsteht eine Einheit zwischen Form und Inhalt. In gewissem Sinne ist das Kleine Café wie die Loos-Bar ein amerikanisches Lokal, weil alles durchritualisiert ist.
Ritter: Das heißt mit den Worten und im Sinne von Czech, dass die Inszenierung vor dem Hintergrund der Architektur stattfindet.
Eichinger: Ja, aber die Architektur gibt genau diese Rituale vor. Ich finde, dass dort die Aufmerksamkeit, wie ein Brot bestrichen wird, mit der Aufmerksamkeit, wie die Kunden bedient werden, korreliert. Die Architektur prägt mit ihren räumlichen wie konzeptionellen Statements die ganze Inszenierung mit.
Czech: So weit würde ich nicht gehen. Wenn der Betrieb nicht funktioniert und der Wirt seine Rolle nicht wahrnimmt, dann kann die Architektur auch nicht helfen. Man kann mit Architektur kein Lokal machen, allenfalls kann man eines ruinieren.
Eichinger: Das stimmt natürlich, aber man kann schon einiges mit Architektur steuern. Die Architektur erzeugt die typologische Aussage, ob das Lokal eine Bar, ein Café oder ein Restaurant ist.
Ritter: Ihr habt den Begriff Atmosphäre verwendet. Grob gesprochen wird diese durch Licht und Material hergestellt. Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang für euch Holz? Kann man es als atmosphärisches Material bezeichnen, das automatisch so etwas wie »Gemütlichkeit« erzeugt?
Eichinger: Für mich ist Holz eines der elastischsten Materialien, weil es im ruralen wie auch urbanen Kontext für jeden gastronomischen Typus eingesetzt werden kann. Es kann für ein urbanes und elegantes Ambiente oder für eine rohe und räudige Kantinenatmosphäre herangezogen werden, da Holz alle möglichen Projektionen zurückspielt.
Czech: Begriffe wie Gemütlichkeit und Atmosphäre sind nicht die Ansatzpunkte beim Entwurf, denn eigentlich geht es immer um ganz rationale Überlegungen. Holz ist ein relativ schlechter Wärmeleiter, dadurch fühlt es sich beim Angreifen warm an. Holz atmet und nimmt viel auf, wenn es entweder unbehandelt bleibt oder mit Leinöl eingelassen ist. Wenn man es mit einer Kunststoffschicht zuschmiert, dann verliert es diese Durchlässigkeit. Es war ja einmal in den 70er Jahren schick, echte Holzfurniere so zu verarbeiten, dass sie wie Resopal ausschauten...
Eichinger: Das war eine hohe Kunst, muss man sagen.
Czech: Gestalterisch spielt man mit den verschiedenen Holzarten, man setzt heute entweder Vollholz oder den Kunststoff Holz ein bzw. kombiniert die Materialien. Holz hat zwar eine objektive Qualität, aber es gibt so etwas wie Bedeutungsebenen, die man je nach Zeit den Holzarten zuweist. Dementsprechend erleben wir immer wieder Rezeptionsänderungen. Wer hätte geglaubt, dass die historisch belastete Eiche wieder so selbstverständlich eingesetzt werden wird?
Eichinger: Natürlich gibt es Moden. Ende der 80er Jahre war vor allem Birkensperrholz das Material, mit dem man gearbeitet hat, parallel dazu hat sich auch MDF eingebürgert. Leider reagieren Produzenten und Markt viel zu langsam auf die sich ändernden Ansprüche. Denn bis ein Material wirklich präsent und billig ist, ist das Interesse daran schon wieder erlahmt. Wobei wir eigentlich bisher nur drei Holzarten eingesetzt haben, nämlich Birke, Eiche und Nuss. Denn uns interessieren nicht die verschiedenen Effekte, die man über die Maserung oder die Furniere erzielen kann, sondern uns geht es um das Erzeugen von Neutralität. Wir setzen Holz eher als beruhigendes Moment ein, so zum Beispiel, wenn wir durchgehend amerikanische Eiche verwenden und diese unbehandelt lassen.Czech Ich zum Beispiel kenne bis heute nicht viel mehr als fünf Holzarten und die reichen mir. Im Palais Schwarzenberg habe ich bei der Bar das Holz nur nach den Kriterien von hell und dunkel ausgesucht. Mich interessiert eigentlich die Holzart nicht, sondern nur gewisse Eigenschaften, nämlich die Farbe und ob sie hart oder weich ist.
Ritter: Das heißt, bei euch überwiegen rationale Gründe?
Czech: Nehmen wir doch die Entwicklung des Sessels. Im Rahmen der damaligen Technologien war das Bugholzmöbel deswegen so fortschrittlich, weil es leicht und billig war. Aus diesen rationalen Gründen wurde der Bugholzstuhl zum selbstverständlichen Möbel in den Kaffeehäusern. So blieb Holz immer ein fixer Bestandteil von Gast- und Kaffeehäusern, weil es in seiner Materialeigenschaft uneinholbar war. Bevor andere Materialien entdeckt wurden, gab es ja keine Alternativen zum Holz. Den ausschließlichen Vorteil der Leichtigkeit hat das Holzmöbel heute nicht mehr, da es seit einiger Zeit Metall- und Kunststoffmöbel gibt, die auch leicht sind. Andererseits existieren unbewusst abgespeicherte Normen und Verhaltensregeln. Auch wenn sich die Routinehandlungen im Zusammenhang mit dem Essengehen oder der Kaffeehausbenutzung historisch verändert haben, so bleibt doch trotz einiger Verluste immer ein Paket an Wissen und Eingeübtem übrig. Mit dieser Dialektik muss man als Architekt umgehen, nämlich den richtigen Mittelweg zwischen Tradition und Veränderung finden. Konsum in einem Gastronomiebetrieb hat viel mehr mit Gewohnheit als mit Innovation zu tun. Die Veränderungen sind eher minimal. Letztlich wäre man als Konsument verloren, wenn alles umgekrempelt würde.
Eichinger: Holz ist ja fast in allen Kulturen im gastronomischen Bereich in Verwendung. Das hängt sicher damit zusammen, dass es ein Hightech-Material ist und besondere Qualitäten in der Instandhaltung hat. Deshalb gibt es auch in diesem Bereich so ein Naheverhältnis zu diesem Material. Holz umarmt einen in gewissem Sinne, es besitzt einen Sympathiewert. Das bedeutet nicht, dass andere Materialien nicht auch sympathisch wären, aber Holz verhält sich der Haut gegenüber sehr angenehm. Holz nimmt sehr gut Schwingungen und Schweiß auf. Holz hat einen Körper. Es ist wie ein Instrument.
Ritter: Gehen wir noch auf die Tradition ein. In jeder Kultur haben sich räumliche bzw. atmosphärische Standards herausgebildet, an die man sich gewöhnt hat und wo man sensibel reagiert, wenn sie sich radikal ändern. Es geht also in eurem Verständnis um ein leichtes Weiterentwickeln von Gewohnheiten in der Kultur der Gastlichkeit, um den Erhalt von gewissen Momenten. Besitzt Holz in diesem Zusammenhang einen Wiedererkennungseffekt?
Czech: Nur zum Teil. Gerade seit der klassischen Moderne gibt es das Eindringen des Stahlrohrsessels in die Möbellandschaft. Diese Entwicklung bringt auch einen gewissen Sitzkomfort, den man vorher so nicht gekannt hat. Es gab natürlich auch ideologische Auswüchse, wonach nur der Stahlrohrstuhl modern sei.
Eichinger: Heute ist es nicht mehr so, dass ein Sessel automatisch ein Holzsessel sein muss, weil es seit einiger Zeit eine große Auswahl gleichwertiger Materialien gibt. Insofern ist es auch ein bewusster Akt, wenn man sich für einen Holzsessel entscheidet. Mir hat in dem Zusammenhang sehr gefallen, wie der Sessel von Jasper Morrison auf den Markt gekommen ist, gerade zu einem Zeitpunkt, als man glaubte, dass man leichte Möbel nur mehr in Kunststoff herstellen kann. Dieser Stuhl hat gezeigt, dass man auch in Holz die Anforderungen erfüllen kann. Morrison hat einen völlig neuen Ansatz in die Diskussion eingebracht.
Ritter: Demgegenüber stehen jene Materialentwicklungen, die ich pointiert mit dem Begriff Kunststoff Holz bezeichnen möchte, wo Holz als Ausgangsmaterial für gewisse Produkte verwendet oder sogar, wie in den 70er Jahren, imitiert wird. Viele Architekten lieben diese Künstlichkeit und es ist zu bemerken, dass sich eine gewisse Entwicklung in Richtung Imitation abzeichnet.
Eichinger: Das stimmt sicher. Einerseits gibt es die Bewegung, die dem Holz etwas Auratisches und Natürliches zuweist, andererseits gibt es diese konstruierten Raumschiffwelten, wo alles künstlich sein muss. Das sind für mich normale Pendelbewegungen, die eigentlich irgendwie vorhersagbar sind. Wir setzen Holz nicht emotional ein, vor allem haben wir manchmal Angst, dass sich das Holz zu stark in den Vordergrund spielt. Deswegen schauen wir auch, dass wir so schlichte Furniere wie möglich bekommen, um die Anwendung von Holz auf das Wesentliche zu reduzieren und es zu sich kommen zu lassen.
Czech: In der Gastronomie ist es gar nicht notwendig, Holz zu propagieren, da es sowieso sehr präsent ist. Ich verwende sogar Holz, um es dann zu verleugnen. Ich nehme z.B. Ahorn, weil es zunächst nur einen Farbton repräsentiert, der nicht in erster Linie als Holz wahrgenommen wird. Mir geht es eher darum, Dinge zum Verschwinden zu bringen, d.h. wenn ich Holz verwende, kommt es mir nicht darauf an, dass es holzig wirkt. Auch bei einer Lackierung schaue ich, dass ich eine Farbe finde, die entweder im Material selber liegt oder die selbstverständlich mit dem Objekt verschmilzt. Man nimmt die Farbe nicht bewusst wahr, weil sie gewohnheitsmäßig mit dem Objekt verbunden wird.
Ritter: Du hast am Anfang erwähnt, dass Holz aufgrund seiner symbolischen wie auch materiellen Elastizität gerade in den verschiedenen ruralen wie auch urbanen Kontexten gut einsetzbar ist.
Eichinger: Holz ist für mich ein Werkstoff, mit dem man wirklich in einer großen Vielfalt umgehen kann. Wir haben ja bisher fast ausschließlich Lokale in urbanen Situationen geplant. Derzeit bearbeiten wir ein Projekt für Lech am Arlberg, wo sich die Aufgabe »Holz in allen seinen Facetten« stellt. Wir sollen ein Lokal entwickeln, das komplett aus Holz besteht. Das ist sehr spannend, vor allem weil der Auftraggeber, der selber Architekt ist, in seinem Hotel Zimmer nur mit Holz umgebaut hat, die in ihrer Eleganz beeindruckend sind. Wir müssen jetzt vollkommen neu anfangen über Holz nachzudenken.
Czech: Ich finde das vorhin angeschnittene Thema »Imitation von Holz« sehr interessant. Früher hat ja jeder gute Anstreicher alle möglichen Holzarten lasierend nachmachen können. Es gibt heute noch viele Gründerzeithäuser mit gemalten Eichen- oder Mahagonitüren. Das hat man damals unter Architekten inferior empfunden. Zum Beispiel sagte Adolf Loos, man dürfe jedes Material bekleiden, nur nicht mit dem Imitat seiner selbst. Jetzt gibt es seit einiger Zeit Fußbodenbeläge aus Laminat, die bisher ausschließlich eine Holzstruktur als Oberfläche haben und sehr billig sind. Und dann denke ich mir, vielleicht sollte man sich diesem Material ähnlich nähern, wie man jetzt die alten Pseudoholzanstriche betrachtet, die irgendwie liebenswert sind in ihrer Ästhetik. Andererseits denke ich mir aber auch, dass kleine Kinder auf diesem Boden aufwachsen und von früh an mit diesem Betrug konfrontiert sind. Das ist, als ob Kinder in der Volksschule mit der Kronen-Zeitung lesen lernen würden.
Eichinger: Ich finde diese Künstlichkeit sehr interessant und irgendwie habe ich nicht dieses Problem wie du, Hermann, weil unsere Umwelt aus vielen Künstlichkeiten besteht, vom Computer angefangen bis zum Fernsehen. Für mich ist das kein Betrug, denn mit diesen neuen Materialien kann man neue und zeitgemäße Möbel und Raumsituationen entwerfen oder damit ironisch umgehen.
Ritter: Welche Auswirkungen hat diese Bewegung der Künstlichkeit auf den Einsatz von Vollholz?
Eichinger: Meiner Meinung nach wird dieses anders wahrgenommen werden und man beginnt, sich wieder neu damit zu beschäftigen. Der Kunststoff Holz erzeugt eine neue Bedeutung für das Thema Vollholz.
2023
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2002
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Verlag: Verlag Anton Pustet