Details
- Adresse
- Albertinaplatz 1, 1010 Wien, Österreich
- Architektur
- Erich G. Steinmayr, Friedrich H. Mascher, Hans Hollein, Arkan Zeytinoglu
- Mitarbeit Architektur Erich G. Steinmayr
- J. Nachbaur-Sturm(Pl); M. Bauer, J. Burtscher, U. Caglar, Ch. Dansco, R. Dünser, A. Fink, E. Gehrke, H. Gruber, S. Gruber, B. Heger, B. Neuhoeffer, M. Lorbek, P. Prinz-Sobre, Ph. Schüssling, S. Wörter
- Bauherrschaft
- Burghauptmannschaft Österreich
- Tragwerksplanung
- Robert Harrauer, Wolfgang Tötzel
- Landschaftsarchitektur
- Günther Vogt
- Fotografie
- Margherita Spiluttini
- Maßnahme
- Erweiterung, Sanierung
- Funktion
- Museen und Ausstellungsgebäude
- Planung
- 1993
- Ausführung
- 1998 - 2002
Preise und Auszeichnungen
Publikationen
Archfoto
Presseschau
Heitere Metamorphose
Die Umgestaltung der Albertina in Wien
Erweiterungen von historischer Bausubstanz stellen oft Probleme denkmalpflegerischer Art. Neu hinzugefügte Bauteile sollten das Bestehende weder beeinträchtigen noch übertrumpfen und dennoch als Interventionen erkennbar sein. Die Umgestaltung des Albertina-Palais in Wien erfüllt diese Ansprüche auf überzeugende Weise.
Der Umgang mit wertvoller historischer Bausubstanz - handle es sich dabei um Einzelbauten oder gewachsene Ensembles - stellt seit der Renaissance eine ganz besondere Herausforderung an die Architekten dar. Doch erst in jüngster Zeit sind Erweiterungsbauten zu einem prestigeträchtigen baukünstlerischen Thema geworden, zu dem fast jede Stadt Beispiele vorweisen kann. So besitzt Zürich mit der Villa Bleuler ein Objekt, welches das Zusammengehen von Alt und Neu auf geradezu exemplarische Weise veranschaulicht: Zehn Jahre ist es her, seit das Zürcher Architekturbüro Marbach & Rüegg den 1888 vollendeten Neurenaissancebau des Semper-Schülers Alfred Friedrich Bluntschli zum neuen Sitz des Schweizerischen Instituts für Kunstwissenschaft umgebaut und erweitert hat. Dabei wurden die Prunkräume renoviert, die Wohn- und Dachgeschosse behutsam in Büroräume umgestaltet und das grosse Volumen der Bibliothek so in die von einer monumentalen Stützmauer gehaltene Terrasse der Vorfahrt eingegraben, dass die wertvolle Parkanlage von Fröbel & Mertens unberührt blieb. Nur ein linsenförmiges Oberlicht aus Glas und Stahl, das wie eine minimalistische Skulptur durch das Rasenrondell der Vorfahrt dringt, sowie kleine Öffnungen in der Stützmauer zeugen vom unterirdischen Eingriff. Zeichenhaft sichtbar wird die Erweiterung erst im ausserhalb des Parks gelegenen Restaurierungsatelier, welches dezent dem industriellen Formenvokabular des benachbarten Autospritzwerks antwortet.
Verwandlungen eines Stadtpalastes
Vor ähnlichen Problemen stand man in Wien, als es darum ging, das für seine Grafiksammlung weltbekannte Albertina-Palais zu erweitern. Dieses erhebt sich neben der Hofburg auf dem letzten Überrest der nach den Türkenkriegen angelegten Basteien, unter welchem Fragmente der mittelalterlichen Stadtmauer verborgen liegen. Auf diesem Augustinerbastei genannten Bollwerk entstand um 1650 der kaiserliche Bauhof, der später von Graf Sylva-Tarouca, dem Statthalter der Niederlande, zum Palais erweitert und schliesslich von dessen Nachfolger Herzog Albert von Sachsen-Teschen übernommen wurde. Dieser liess den Bau von Louis de Montoyer um einen 180 Meter langen, zum Burggarten hin orientierten Westflügel mit 33 Fensterachsen erweitern und Räumlichkeiten des angrenzenden Augustinerklosters für die von ihm angelegte Grafiksammlung umgestalten. Sein Alleinerbe, Erzherzog Carl, betraute 1822 den grossen Wiener Klassizisten Josef Kornhäusel mit dem Umbau der Erschliessungs- und Repräsentationsräume. Nach der Schleifung der meisten Basteien in den 1850er Jahren erhob sich nun das kurz darauf in seiner äusseren Erscheinung den historistischen Formen des Ringstrassenstils angepasste Albertina-Palais einsam und nur über zwei lange Rampen erreichbar auf seiner elf Meter hohen Bastei. Die schweren Kriegsschäden aus dem Jahre 1945 nahm man deshalb zum Anlass, die Rampe zur Augustinerstrasse durch eine kurze, steile Treppe zu ersetzen, die neue Stützmauer zur Strasse hin als Sockelgeschoss der Ostfassade zu gestalten und hier, im einstigen Kellerbereich, den neuen Haupteingang zu schaffen - eine Lösung, die nie befriedigen konnte, weil sie das Erscheinungsbild des Palais stark verzerrte.
Nach dem Brand der Hofburg im November 1992, der auch die dort gelagerten Schätze der Albertina bedrohte, beschloss man eine grosse Metamorphose, welche die Albertina erweitern und zugleich wieder in den Zustand von 1867 zurückverwandeln sollte. Sie setzte 1993 mit dem Wettbewerb für die neuen Studien- und Speichergebäude und die damit verbundene Restaurierung der Albertina ein und kann vermutlich noch dieses Jahr mit der Installierung von Hans Holleins Flugdach über dem wiederhergestellten alten Eingang auf der Bastei abgeschlossen werden.
Dank einer ausgesprochen intelligenten Lichtführung gestattete es das Siegerprojekt von Erich Steinmayr und Friedrich Mascher, die neuen Bauten von aussen fast unsichtbar in den zum Burggarten hin orientierten Erdkörper der Bastei einzugraben. Dabei brachten die beiden Mittfünfziger, die sich bisher vor allem mit Bauten in Vorarlberg hervorgetan hatten, das Studiengebäude in einem viergeschossigen Neubau unter. Dieser ist auf ein Atrium mit reflektierendem Wasserbassin hin ausgerichtet, das - angrenzend an das Palmenhaus des Burggartens und den Sitz der Bundesgartenverwaltung - tief in die Bastei abgesenkt wurde. Ein schmaler Lichthof bringt zusätzlich Helligkeit ins Zentrum des Studiengebäudes, in dem (wie an der gläsernen Atriumsfassade abzulesen ist) zuoberst die zusätzlich von einem Oberlicht erhellten Studienräume, in der Mitte die Restaurierungsateliers, auf Höhe des Innenhofs die Bibliothek und darunter der Bücherspeicher untergebracht sind. Kann man hier durch eine Glaswand einen 1999 freigelegten Turm der mittelalterlichen Stadtmauer erkennen, so scheinen die historischen Schichten beim Blick vom Atrium hinauf zur historistischen Fassade des Albertina- Palais und zum gotisch-neugotischen Turm der Augustinerkirche wie auf den Kopf gestellt.
An das Studiengebäude schliessen sich nach Süden die für die Albertina-Sammlung bestimmten Depoträume an, die wegen der fehlenden computertechnischen Erschliessung noch lange nicht bezogen werden können. Das zusätzliche Reservelager wurde nach der Übergabe der Albertina-Direktion an Klaus Albrecht Schröder im Jahre 1999 in einen 800 Quadratmeter grossen unterirdischen Ausstellungsraum umgewandelt. Müssen doch die österreichischen Bundesmuseen infolge ihrer Entlassung in die Eigenwirtschaftlichkeit vermehrt Gelder durch Veranstaltungen und Sponsoring selbst beschaffen. Die neue Situation bedingte weitere Projektänderungen: So bauten Steinmayr & Mascher die Pfeilerhalle mit dem Portikus im Westflügel der Albertina in eine zeitgemässe Ausstellungshalle um, richteten - als Gegenstück zu den prachtvoll restaurierten Prunksälen im Piano nobile - die «Propter Homines»-Ausstellungsräume ein, überdachten den zentralen Innenhof und gestalteten den einstigen Eingangsbereich an der schmalen, im Krieg zerstörten Südfassade völlig neu. Dieser Zugang machte einen behindertengerechten Aufgang auf die Bastei nötig. Für diesen wurde Ende 2000 ein Wettbewerb ausgeschrieben, bei dem sich Hans Hollein mit der architektonischen Geste eines weit ausholenden Flugdaches gegen die Konkurrenz von Coop Himmelb(l)au, Zaha Hadid sowie Steinmayr & Mascher durchsetzen konnte.
Wege durch das Museum
Seit der Eröffnung der neuen Albertina im vergangenen März (NZZ 15. 3. 03) gelangt man nun gleichsam durch die Stützmauern der Bastei hinauf zum Museumseingang. Dazu wurde zwischen dem 1864 von Moritz von Löhr entworfenen Danubius-Brunnen und Holleins neuster Wiener Bar ein Hohlraum in der Bastei geschaffen, von dem aus ein gläserner Aufzug und eine Rolltreppe hinauf zum Reiterstandbild Erzherzog Albrechts führen, welches den neu-alten Eingang des Albertina-Palais bis zur Fertigstellung von Holleins Flugdach noch allein markiert. Dieses Dach wird dereinst zusammen mit der ebenfalls von Hollein umgestalteten und mit postmodern anmutenden Wülsten und Bullaugen versehenen Sockelzone am Albertina-Platz dem historischen Bau einen starken zeitgenössischen Akzent verleihen. - Durch das von Steinmayr & Mascher minimalistisch gestaltete Portal betritt man die fast schon ägyptisch strenge Eingangshalle, von der man in den überdachten und sorgsam in den Zustand von 1822 zurückversetzten Innenhof der Albertina gelangt. Dieser wurde von den beiden Vorarlbergern geschickt zum Scharnier der erschliessungstechnisch höchst komplexen Palastanlage bestimmt. Rechts gelangt man in den von Callum Lumsden eingerichteten Museumsshop, links in das vom jungen Wiener Architekten Arkan Zeytinoglu gestaltete Café und geradeaus in die Minervahalle, die den Auftakt zu Kornhäusels Erschliessungssystem bildet. Hier teilen sich erneut die Wege: Links führen Rolltreppen einer leuchtenden Glaswand entlang hinunter in den von Steinmayr & Mascher als flexiblen White Cube konzipierten Ausstellungssaal in der Bastei. Nach vorn schliesst an die Minervahalle der Säulengang an, auf den sich links ein weiterer Ausstellungsraum, die grosse Pfeilerhalle, öffnet. Über die Sphinxstiege erreicht man das Piano nobile, wo rechts der Ausstellungsparcours der Propter-Homines-Säle beginnt, während zur Linken Kornhäusels Musensaal lockt: das von Apoll und den Musen des Canova-Schülers Josef Klieber bevölkerte Herzstück der Prunkräume.
Von hier geht der Ausblick auf die geometrisch heitere, die Basteiterrasse weiterführende Dachlandschaft des bereits erwähnten Studiengebäudes von Steinmayr & Mascher, das selbst noch in der Aufsicht viel von seiner formalen Klarheit, konstruktiven Einfachheit und materiellen Reduktion verrät - Eigenschaften die das dem Publikum nicht zugängliche Gebäude zu einem der bedeutenden Neubauten Wiens machen. So besitzt die Albertina heute zwar mit dem Studiengebäude ein nahezu unsichtbares Meisterwerk sowie neue Ausstellungsbereiche und renovierte Repräsentationsräume. Aber die Sammlung selbst, deren sichere Unterbringung 1992 den Anstoss zum Umbau gegeben hatte, lagert weiterhin nicht wirklich optimal in der Hofburg.
Besuch in der alten Dame
Viele Veränderungen, einige Verbesserungen und keine nennenswerten Verschlechterungen: Der zweite Um- und Neubau der Albertina innerhalb von fünfzig Jahren ist gelungen, aber noch unvollendet.
Noch ähnelt die Albertina Lady Godiva: halb enthüllt, halb verhüllt. Noch sind die Rekonstruktionsarbeiten an den Fassaden nicht beendet. Die bereits enthüllte Hälfte der neu-alten Nobelherberge für feine Kunst ist die Seite zum Albertinaplatz hin. Hier fallen einige Veränderungen auf: Die ursprüngliche Fassade, die im Zuge des Umbaues von 1954 modernisiert - das heißt: teils abgeschlagen und teils neu gestaltet - wurde, wurde nun teils rekonstruiert und teils neu gestaltet. Rekonstruiert wurde, so tief es geht: bis zum Sockel, der ein Werk der Architekten des ersten Umbaues, Otto Nobis und Alfred Dreier, ist.
Der Umbau, der ein Wiederaufbau nach schweren Kriegsschäden von März 1945 war, kann als eine Aufstockung des Kellers bezeichnet werden. Ursprünglich steckten die beiden Kellergeschoße hinter einer langen Rampe, die zur Basteiterrasse führte, wo sich der Eingang befand. Um einem neuen Eingang direkt von der Straße aus Platz zu machen, wurde die Rampe abgetragen und durch eine kurze, steile Stiege ersetzt. Die beiden Kellergeschoße wurden freigelegt und zum Sockel gemacht: Aus dem drei Etagen zählenden Palais war ein „fünfgeschossiges Zinshaus“ geworden, wie Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder treffend bemerkt hat. Der neue Eingang wurde mit einem monumentalen Balkon aus Stein markiert, dessen Brüstung den Staatswappenadler darstellte: Damit sollte vermutlich symbolisiert werden, was Bert Brecht von der Kulturpolitik verlangte: Nicht die Kunst, der Zugang zur Kunst muss demokratisiert werden.
Nach dem Brand der Redoutensäle 1992 hatte die Republik 1993 einen Wettbewerb ausgeschrieben: In dem verwinkelten engen Gebäude sollte ein geräumiger Hochsicherheitstrakt samt Depot, Restaurierwerkstätten und Studienräumen untergebracht werden. Den schwierigen Wettbewerb gewannen die Architekten Erich G. Steinmayr und Friedrich H. Mascher mit einer kühnen Idee: Die Raumvolumina sollten unsichtbar in die Bastei auf der Burggartenseite verlegt werden.
1999 - die unterirdische Erweiterung war weitgehend fertig - wurde der Direktor gewechselt. In einem fünfstöckigen Zinshaus pflegt ein Mann wie Klaus Albrecht Schröder nicht zu residieren. Er proklamierte: Was rekonstruiert werden kann, wird rekonstruiert; was renoviert werden kann, wird renoviert; alles, was neu gemacht werden muss, darf, wenn es nicht anders geht, neu aussehen. Allerdings nur so weit neu, dass das Alte nicht gestört wird - das ist wohl ein Grund, weshalb mit der Neugestaltung der äußeren Erscheinung der Altmeister der österreichischen Postmoderne, Hans Hollein, beauftragt wurde. Der andere Grund ist die Befindlichkeit der edlen Förderer: Mit einem Stararchitekten lassen sich Sponsorengelder leichter auftreiben.
Nachdem sich Schröders Wunsch, die Rampe zu rekonstruieren, als unfinanzierbar erwiesen hatte, hat Hollein den Sockel postmodern barockisiert: Die rekonstruierte obere Altfassade samt einem alt-neuen Beletagebalkon wird von der Kellersockelfassade unten durch 14 mit Steinmanschetten umrahmte Okuli (Rundfenster) getrennt. Die horizontale Anschwellung in der Form eines abgerundeten Gesimses - ein alter barocker Trick - simuliert den Druck der Baumasse und versinnbildlicht so das Gewicht der Kunstinstitution Albertina. Vorläufig sieht alles vortrefflich gemacht aus, der Umbau ist aber noch nicht vollendet. Es fehle Geld, erklärt Hans Hollein, ein Sponsor habe abgesagt. Die monumentalen, aber zwecklosen Fenster aus den Fünfzigerjahren sollen unter einer homogenen Sandsteinverkleidung verschwinden, die durch schräg nach unten verlaufende Wellen geformt ist.
Die wichtigste Verbesserung für die Öffentlichkeit ist die Verlegung des Haupteinganges auf die Terrasse. Auch hier ist noch viel zu tun: Das Flugdach aus Titan fliegt noch nicht. Es gebe keine Schwierigkeiten mit der Konstruktion, sondern lediglich „offene Fragen bezüglich der Kosten- bzw. Herstellungsvarianten“, erklärt Hollein die Verzögerung. Das als Wahrzeichen der neuen Umstände vorgesehene Dachobjekt ist zwar völlig überflüssig, aber unverzichtbar: als Ersatz für den demolierten Staatsbalkon.
Die Albertina ist eine Architekturcollage. Der Umbau von 1954 war eine bemerkenswert qualitätsvolle Lösung. Dies wird nicht nur dadurch anerkannt, dass wesentliche Bestandteile erhalten geblieben sind. Die Architektur des neuen Foyers (Steinmayr/Mascher), zu dem der nun verglaste Innenhof gehört, sowie die des Restaurants (Arkan Zoytinnoglu) und des Museumsshops (Callum Lumsden) schließen bewusst an die Ästhetik der Fünfzigerjahre an.
Eine Veränderung, die keine Verbesserung ist, ist eine Verschlechterung, meinte einst Adolf Loos. Die Architekten des zweiten Umbaues, Schröder inbegriffen, haben in und an der Albertina zahlreiche kleine und fundamentale Veränderungen vorgenommen. Keine nennenswerte Verschlechterung, nirgends. Lauter Verbesserungen. Ein neuer, brauchbarer und durch die beinahe labyrinthische Gliederung der vielen mittelgroßen Räume ungemein spannender Ausstellungssaal im historischen Gebäude. Der Basteisaal ist mit Abstand der beste unter den zahlreichen Ausstellungsräumen, die in Wien in letzter Zeit neu errichtet wurden.
Das Einzige an und in der neuen Albertina, worüber man fast so vortrefflich wie über den Geschmack streiten könnte, sind die Farben. Das neumodische Dunkelbraun der Eichenholz-Parkettböden in den Ausstellungssälen. Das altmodische Damenunterwäsche-Rosarot der Innenhoffassade. Das Jugendstilmuster der Marmorbodenbeläge. Die synthetische Buntheit der seidenen Wandbespannungen. Ästhetik für jedermann, strapazierbare Eleganz: ein Ausstellungshaus für den Massenandrang. Ab jetzt sollen, Schröders Ehrgeiz folgend, jährlich 800.000 Füße durch die Albertina trampeln.
Man könnte meinen, aus der vornehm verstaubten Graphischen Sammlung sei ein Disneyland der Kunst geworden. Man kann aber auch mit Brecht vermuten: Klaus Albrecht Schröder ist in Wirklichkeit ein heimlicher 68er, der nicht anders kann, als die Massen und die Kunst zusammenzuführen. In Wirklichkeit hat er die Albertina demokratisiert. Der neue Eingang ist über das Massenverkehrsmittel Rolltreppe bequem erreichbar.
Zwei Fassaden, ein Gebäude
Ein in die Erde versenkter vierstöckiger Neubau, in den bis ins unterste Geschoß Tageslicht fällt, und das in einem streng denkmalgeschützten Ensemble: das „unsichtbare“ Studiengebäude der Wiener Albertina. So heikel die Aufgabe war, so brillant fiel die Lösung von Erich Steinmayr und Friedrich Mascher aus.
Wie die Zeit vergeht. Nicht zu glauben, daß der Wettbewerb für die Sanierung und Erweiterung der Wiener Albertina schon neun Jahre zurückliegt. Nächstes Jahr, wenn das Gesamtprojekt abgeschlossen und eröffnet werden wird, ist es dann also ein rundes Jahrzehnt. Dabei wird beim Bauen keineswegs getrödelt: Seit Beginn der Bauarbeiten im Frühjahr 1999 schreitet das Vorhaben zügig voran. Es war die Phase vor der eigentlichen Realisierung, die sich so lang hingezogen hat. Ein Jahr vor der Eröffnung ist daher erst ein Bauabschnitt wirklich abgeschlossen. Der allerdings ist architektonisch vom Feinsten.
Die Intelligenz des Projekts von Erich G. Steinmayr und Friedrich Mascher hat schon seinerzeit, im Wett-bewerbsjahr 1993, bestochen. Die Idee, ein „unsichtbares“ Studiengebäude in die Erde zu versenken, in das aber trotzdem Tageslicht einfällt und das sogar über einen absolut sehenswerten Ausblick verfügt, war immer schon brillant. Jetzt sieht man, daß sie auch entsprechend umgesetzt wurde.
Nur: Daß man es sieht, wenn man es sehen möchte, das ist gar nicht so leicht. Weil es eben ein „unsichtbares“ Gebäude ist, eines mit nur zwei Fassaden: dem Dach und jener Fassade Richtung Nationalbibliothek, die sich gläsern aus der Erde herausschiebt, orientiert auf einen gar nicht so kleinen, einfachen, kontemplativen Hof.
Die Dachfläche des Neubaus ist ganz eben, aber strukturiert. Es gibt in der Fläche sitzende Lichtampeln, beschattet durch einen simplen Raster aus Alu-LKW-Brettern, dazwischen fast schwarze, verblechte Dachflächen. Schwarz - in der Architektur bei vielen Leuten sehr ungeliebt - gehört zum Material-, Oberflächen- und Farb-konzept, das sich ganz stringent durch dieses Gebäude durchzieht.
Die Hauptfassade zum Hof ist in der Tat überraschend: Einmal sitzt die Verglasung außenbündig, also ganz vorne in der Fläche, dann springt sie plötzlich zurück, die Verglasung ist innenbündig angebracht und ein fixer Alu-Beschattungsraster davor montiert, unten sitzt sie wieder außenbündig in der Fläche. Das ist eigenartig. Und es ist eigenartig, wie unterschiedlich die Fassaden-teilung ausgefallen ist. Denn da tauchen in schöner Regelmäßigkeit auch hohe schmale Glaselemente auf, die ausschauen, als wären sie Türen, vor denen man den Balkon vergessen hat. Hat man aber nicht. Es sind die Brandrauchklappen, die sich hier im Fassadenbild zeigen.
Wir reden von einem vierstöckigen Neubau, in dem sich - von oben nach unten - ein öffentlich zugänglicher Studiensaal mit dreißig Arbeitsplätzen und einem erhöhten Bereich mit Computer-Arbeitsplätzen befindet, darunter sind die Werkstätten für die Papier-restaurierung. Wieder darunter ist ein interner Studiensaal mit angeschlossenem Photostudio auch für Digital-kameras und einer Verbindung zum untersten Geschoß mit der Bibliothek.
Das ganze Gebäude hat eine Raumtiefe von ungefähr dreißig Metern, dort ist dann eine Art Lichtschleuse, ein verglaster Lichthof eingeschoben, über den selbst an einem ganz trüben Tag Tageslicht bis auf die unterste, die Bibliotheksebene einfällt.
Übrigens wird das Studiengebäude vor der Eröffnung im nächsten Jahr nicht öffentlich zugänglich sein. Denn Sinn macht es nur, wenn der Tiefspeicher fertig und der Zugriff auf die Bestände der Albertina gewährleistet ist. Und das ist ein ziemlich komplexes Unterfangen. Der Zugriff auf die Sammlung wird in Zukunft geschoßweise, mechanisch und automatisch erfolgen. Es werden in jedem Geschoß sogenannte Ausgabegeräte installiert, in die man seine Wünsche eingibt und die den ganzen Vorgang des Heraus-suchens und Anlieferns selbsttätig erledigen. Das ist zwar ungemein aufwendig, aber in dieser Möglichkeit liegt gewissermaßen der „politische“, der „demokratische“ Aspekt des gesamten Albertina-Projekts: Er macht diesen Sammlungsbestand für eine Öffentlichkeit, die aus Wissenschaftlern, Forschern, Studierenden besteht, wirklich zugänglich. Und das war zuvor auf dieser breiten Basis nicht möglich.
Was das Projekt von Steinmayr und Mascher seit der ersten Stunde so überzeugend gemacht hat, ist die Logik der Lösung. Was es gebraucht hat, war eine ungemein diffizile städtebauliche Lösung für diesen „unsichtbaren“ Neubau im zu Recht unverletzbaren, strengstens denkmalgeschützten Bereich zwischen Augustinerstraße, Burggarten und Hofburg; es hat eine sinnvolle interne Verknüpfung zwischen dem Altbau, und den Neubauteilen, also Studiengebäude, Tiefspeicher und Ausstellungshalle gebraucht; und all das hat zwingend nach einer angemessenen formalen Umsetzung verlangt, die dem Standort und der Albertina gerecht wird.
Letzteres ist beim Neubau schon dadurch bewältigt, daß man mit einem Minimum an Material ausgekommen ist: Es gibt Sichtbeton in durchaus brauchbarer Qualität, es gibt schwarzen Fließterrazzo, es gibt Aluminium - eloxiert oder pulverbeschichtet -, es gibt Glas von transparent bis transluzent, und dann gibt es auch noch Holz, und zwar Eiche. Als Parkett auf dem Boden, auch als relativ stark geflammtes, aber durch die Logik der Verlegetechnik wieder beruhigtes Furnier auf Wandpaneelen. Und was das alles vom Kritikerstandpunkt aus so einsichtig macht: Die Dinge haben ihre Begründung, sie sind nicht bloß Willkürakt. Daß im Studiensaal trotz Tageslicht von oben eine Glasfassade ist, hat mit dem psychischen Wohlbefinden zu tun, das sich einstellt, wenn man nach draußen schauen kann; daß im Werkstättengeschoß über die Fassade für eine optimale, aber steuerbare Belichtung gesorgt ist, hat mit den konkreten Anforderungen zu tun. Und so weiter. Bis hinunter zur Bibliothek, wo man dann halt bei Tageslicht nachschauen kann, ob das Buch, das man sich aus dem Kompaktregal geholt hat, wirklich das richtige ist.
Die funktionelle Verknüpfung der verschiedenen Einheiten untereinander kann man zum jetzigen Zeitpunkt nur teilweise nachvollziehen. Der alte Portikus steht wieder da; die Holleinsche Rolltreppe ist in einem frühen Realisierungsstadium; der in Zukunft glasüberdachte Albertina-Hof wird einmal die entscheidende Verteilerfunktion im Komplex übernehmen. Man sieht, wie die neue Ausstellungshalle in etwa dimensioniert sein wird - und man sieht, daß sie eine massive Decke hat. Das ist ein bißchen unbegreiflich, wenn man weiß, daß die Architekten ursprünglich eine Lichtdecke dafür entwickelt haben. Auch wenn die Albertina-Lichtdecke nur halb so gut gewesen wäre wie jene, die Renzo Piano für die Sammlung Beyeler bei Basel entwickelt hat, wäre sie immer noch eine Sensation im Vergleich zu dieser Bunkerlösung.
Die Albertina ist zum jetzigen Zeitpunkt eine der aufregendsten Baustellen Wiens. Abenteuerlich. Da überschneiden sich unterschiedlichste Bauetappen, und bei den verschiedenen Niveaus, die nun sichtbar sind, wird es ganz schwer, sich überhaupt noch zu orientieren. Unbeschreiblich aufregend, die alten Klostergewölbe zu sehen, wo der „Albertina-Keller“ lange Zeit sein Weinlager hatte und wo man jetzt, wenn man hinauf schaut, die massiven Träger sieht, mit denen die notwendige Unterfangung eines Teils der Albertina bewältigt wurde.
Eine vielleicht kuriose Anmerkung zum Schluß: Ursprünglich hatte die Albertina-Rampe eine Steigung von sechs Prozent, jetzt hat sie neun Prozent. Denn die Begrenzungsmauer der Rampenkehre - übrigens mit den al-ten Zwanzig-Zentimeter-Massivblöcken realisiert - mußte durch den Neubau um dreißig Meter vorverlegt werden. Selbst als Wiener, der die Situation gut kennt, fällt einem praktisch nicht auf, daß die Rampe jetzt steiler ist. Es ist schon komisch, wie das in der Architektur mit dem Gedächtnis funktioniert: Manches bewahrt sich ganz lange, sogar jahrhundertelang. Und dann gibt es aber auch Dinge, die sind gleich vergessen.
Das Flugdach ist gelandet/Albertina neu: Sponsoren verzweifelt gesucht
Als Klaus Albrecht Schröder im August 1999 seine Stelle als Direktor antrat, hieß es, die Albertina werde generalsaniert. Schröder stellte jedoch bald fest, dass das Geld gerade mal für die Errichtung eines Tiefspeichers und eines Studiengebäudes in der ausgehöhlten Bastei reichte. Das kann nicht alles sein, sagt sich Schröder und beschloss, die Prunkräume des Palais zu renovieren, die Innenhöfe und die im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigte Fassade zu rekonstruieren - und Raum für Wechselausstellungen zu schaffen.
Nachdem die Depots der Albertina infolge des Hofburgbrandes aufgrund mangelnder Brandschutzvorkehrungen geräumt werden mussten, wurde plötzlich sichtbar, wie viele Räume im Palais, aber auch in dem zur Albertina gehörenden Augustinerkloster leer standen - freilich in einem desolaten Zustand. „Wir mussten dringend im Palais einen Ausstellungsraum schaffen, damit überhaupt begründet werden kann, warum man am Ort der Albertina so kostenintensive Tiefbaumaßnahmen vornimmt“, sagt Schröder im Falter-Gespräch.
Mit der Sanierung der als Depots genutzten Prunkräume wurde bereits begonnen. Einen Teil der Räume widmete Schröder in eine kleine Ausstellungshalle von 800 Quadratmetern um - niedrige Räume für kleinformatige Werke. Was aber tut man mit den großen Formaten, etwa den drei mal zwei Meter großen Radierungen von Richard Serra? Schröder sah die Baugruben in der Bastei und kam auf die Idee, neben dem Studiengebäude und dem Tiefspeicher eine zweite, vollklimatisierte Halle zu errichten, die geräumig genug ist, um für Kunsttransportwagen passierbar zu sein und auch große Bilder fassen zu können.
Über Tag wird der ursprüngliche Eingang zur Albertina auf der Bastei durch einen neuen, von Hans Hollein gestalteten Aufgang erschlossen (siehe nebenstehenden Artikel von Jan Tabor). Die im Krieg zerbombten Innenhöfe sollen restauriert werden. Die Möblierung wurde von den Habsburgern nach 1919 abtransportiert. Mit dem Ankauf historischer Objekte, die zum historischen Interieur passen, wurde bereits begonnen.
Von Anfang an stand fest, dass der Bund nur die unterirdischen Erweiterungsbauten mit 680 Millionen Schilling finanziert. Die Gesamtkosten einer Generalsanierung machen jedoch 1,1 Milliarden Schilling aus. Der Rest muss privat über Sponsoren finanziert werden. Kein leichtes Spiel, denn Anfang 2003 soll eröffnet werden, und von den 400 benötigten Millionen an Sponsorengeldern sind erst 100 aufgestellt, weitere 180 Millionen glaubt Schröder aufbringen zu können. Bleibt ein „Loch“ von 120 Millionen.
„Ich werde 400 Millionen nicht schaffen. Nur weil die öffentliche Hand nicht imstande ist, ein Palais der Habsburger zu renovieren, werde ich mit Sicherheit nicht 400 Millionen auftreiben.“ Mit den Sponsorengeldern soll zunächst das Palais renoviert, eingerichtet, die Fassade rekonstruiert und der neue Zugang gebaut werden. Wofür sich jedoch kein Sponsor finden wird, ist die Ausstattung des Tiefspeichers; lediglich der Rohbau wurde vom Bund finanziert.
Die eine Million Exponate umfassende Sammlung lagert mittlerweile in der Nationalbibliothek und wird bis auf weiteres dort bleiben. Doch auch wenn die Sammlung eines Tages im neuen Tiefspeicher untergebracht sein wird, steht sie nur einer kleinen Zahl von Wissenschaftlern zur Verfügung. Einzelne der sehr lichtempfindlichen Blätter können im Rahmen von Wechselausstellungen besichtigt werden. „Diese Ausstellungen sollen daher so intelligent wie möglich sein und eine größtmögliche Öffentlichkeit erreichen, damit es sich lohnt, sie einige Wochen dem schädigenden Licht auszusetzen“, erklärt Schröder.
Der Schwerpunkt wird daher auf den Wechselausstellungen liegen, wobei die Grafik von anderen Medien wie Malerei, Fotografie oder Film ergänzt werden soll. In den Albertina-Depots selbst lagern eine Fotografie- und eine Architektursammlung (unter anderem der Nachlass Adolf Loos'). Im März 2003 wird das neu renovierte Haus mit einer Schau des Malers Edward Munch eröffnet, der auch ein genialer Druckgrafiker war.
Schröder fühlt sich von den zahlreichen anstehenden Aufgaben nicht überfordert: „Ich wache auf und denke an die Albertina, und ich gehe ins Bett und denke immer noch an die Albertina. Ich werde nicht dafür entlohnt, dass ich eine 60- bis 70-Stunden-Woche mache.“