Akteur

Roland Rainer
* 1910 Klagenfurt 2004 Wien

Kardinal und König

Roland Rainer (1910-2004)

Vergangene Woche starb der österreichische Jahrhundertarchitekt. Ihm verdankt Wien es, eine der lebenswertesten Städte Europas geworden zu sein.

21. April 2004 - Jan Tabor
Roland Rainer war Kardinal und König der österreichischen Architektur. Er dachte, sprach und baute, als würde er predigen. Er mahnte die Tugendhaftigkeit der Architektur ein. Sie müsse wahrhaftig, aufrichtig, einfach, bescheiden und uneitel sein.

Einer der schönsten Innenräume, die ich in Wien kenne, ist sein Büro im Hinterhof eines mehrgeschoßigen Wohnhauses in Wien-Hietzing. Es ist ein kahler, fensterloser, knapp möblierter Raum: ein Ort zwischen der Sakristei einer einfachen Landkirche und der Eremitage eines taoistischen Denkers. In der Mitte steht ein langer Tisch, der stets leer war, wenn ich bei ihm zum Besuch weilte. Auffallend abgeräumt, Tabula rasa. Der Raum wird durch einen Okulus, ein rundes Fenster in der Decke, beleuchtet - ähnlich wie die Altäre in den von Rainer erbauten Kirchen. Ein Ort höchster Konzentration. Den Blick in den begrünten Hof, die von ihm vehement geforderte Verbindung der Innenräume mit dem Außen, gönnte er seinen Mitarbeitern im Zeichensaal.

Aus Gesprächen mit ihm schließe ich, dass Roland Rainer Atheist war. Sein Zugang zur Architektur hingegen war ausgesprochen religiös. Er sprach wie ein Missionar und dachte wie ein Demiurg. „Es ist Aufgabe des Architekten, den Menschen ein vollständiges, menschliches, humanes Weltbild zu vermitteln. Wir müssen daran denken, dass wir nicht nur Häuser bauen. Wir müssen wissen, dass wir eine Welt bauen.“ Mit diesen Worten schließt Roland Rainer sein letztes Buch, die exzellent gestaltete Monografie „Roland Rainer: Das Werk des Architekten 1927-2003“ (Springer Verlag), die er selbst, nicht ganz uneitel, herausgegeben und gestaltet hat.

Bücher zu schreiben und zu gestalten war seine Leidenschaft. Insgesamt 26 Bücher hat er veröffentlicht. Der 1961 von ihm selbst gestaltete und herausgegebene Bildband „Anonymes Bauen im Nordburgenland“ ist für mich das schönste Architekturbuch, das in Österreich je veröffentlicht wurde. Sein letztes Buch, die Monografie, die nur wenige Wochen vor seinem Ableben am 10. April 2004 erschienen ist, wurde offensichtlich als Vermächtnis konzipiert. Sie trägt den apodiktischen Untertitel „Vom Sessel zum Stadtraum: geplant errichtet verändert vernichtet“ und eine dramatisch wirkende Nachtaufnahme der Stadthalle von Bremen auf dem Umschlag.

Die Lage in Bremen ist tatsächlich dramatisch. Der 1964 fertig gestellten Stadthalle droht die rücksichtslose Erweiterung für Zwecke des zeitgenössischen Events, wodurch die eindrucksvolle Außenerscheinung der auf sechs schräge Pfeiler gehängten Halle mit mehr als hundert Metern Spannweite völlig ruiniert wäre. Als kürzlich die brutalen Umbaupläne bekannt wurden, klagte Rainer, der nie konsultiert worden war, seine Urheberrechte ein. Der Gerichtstermin wurde erst Monate nach dem Beginn der Umbauarbeiten festgelegt. Ob der Prozess nun nach dem Tod des Architekten fortgesetzt wird, ist unklar. Hoffnungsvoll stimmt allerdings, dass die Proteste namhafter Kulturmenschen in Deutschland immer stärker werden.

Auch die Wiener Stadthalle wurde umgebaut. Dabei ist man zwar nicht zerstörerisch, aber leider auch nicht zimperlich vorgegangen. Vernichtet wurde die erste Bauwerk-Predigt von Rainer: das 1952 für die und neben der Wiener Arbeiterkammer errichtete Franz Domes Lehrlingsheim. Trotz Protesten wurde es 1983 abgerissen und durch ein Bürohaus und ein Theater in scheußlichem Funktionärsbarock ersetzt.

Im Wien der Fünfzigerjahre war die moderne Architektur ein attraktives Wahlthema. „Damit Wien wieder Weltstadt wird, wählt SPÖ“, hieß es auf einem Plakat für die Kommunalwahlen 1954. Die auf dem Plakat abgebildete moderne Weltstadt existierte noch nicht. Der Ringturm befand sich noch im Rohbau und die Stadthalle gar noch am Planpapier als Entwurf für einen internationalen Wettbewerb im Sommer 1954. Der erste Preis wurde zwischen Alvar Aalto und Roland Rainer aufgeteilt, Rainer - wir sind in Wien - bekam den Bauauftrag. Dennoch ist diese Mehrzweckhalle ein Spitzenbauwerk der Architekturgeschichte.

Zwei deutsche Städte, Bremen und Ludwigshafen, beschlossen daraufhin, ähnliche Stadthallen errichten zu lassen. Von Roland Rainer. Nach den von ihm gewonnenen Wettbewerben. Die Stadthallen wurden zu den jeweiligen Wahrzeichen aller drei Städte und zu Zeichen der Zeit, des wunderbaren Aufstiegs des kriegszerstörten Deutschland und Österreichs zu vorbildlich modernen, demokratischen und wirtschaftlich prosperierenden Staaten.

Was die neue Baukultur betrifft, hat Roland Rainer viel dazu beigetragen. In Österreich war er jahrzehntelang die bestimmende Majestät des Bauens. Er war einer, der die Zeit prägte, in der er tätig war, und zu deren Zeichen er letztlich selbst werden sollte. Er war eine Autorität - und das wusste er, das setzte er ein, das nutzte er aus. Was nicht seinen Vorstellungen entsprach, lehnte er ab. Wann und wo er konnte, versuchte er nach seinen Maßstäben und Dogmen zu wirken.

Konnte er nicht, zog er sich erzürnt zurück. So 1963 nach fünfjähriger Amtszeit als Stadtplaner von Wien. 1957 hatte Rainer vor dem Wiener Senat einen Vortrag gehalten, in dem er seine Auffassung von der Arbeit des Stadtplaners darlegte. Er sprach, als würde er aus dem Koran zitieren, und verglich seine Arbeit mit der eines Teppichwebers: „Andere haben vor ihm gewebt, und andere werden nach ihm weiter weben. Der Wiener Stadtplaner webt an einem sehr kostbaren Teppich, der in der Geschichte aus der Landschaft und den Werken der Menschen entstanden ist.“

Den Stadtratsabgeordneten gefiel der Vortrag sehr, und sie ernannten Rainer zum Wiener Stadtplaner. Gott sei Dank. Die Basis dafür, dass Wien eine der lebenswertesten Städte in Nachkriegseuropa geworden ist, ist der Autorität des Roland Rainer, dem Jahrhundertarchitekten der zweiten Hälfte des österreichischen 20. Jahrhunderts, zu verdanken.

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