Bauwerk

MuseumsQuartier Wien - MQ
O&O Baukunst, Manfred Wehdorn - Wien (A) - 2001

Wenigstens ein Grenzwächter?

Das Museumsquartier ist in Wien als Rufzeichen und Verwunderungskammer für die Kunst etabliert. Das intendierte Stadtstück ist es noch lange nicht, eher eine Kulturinsel, deren Festlandverbindungen nicht regelmäßig verkehren. Anmerkungen zu einem vergessenen Fahrplan.

15. Februar 2003 - Walter Chramosta
Zufallspassanten sind erregt, selbst Lagekenner überrascht: Plötzlich temporäre Kunst als ermunternde Einladung vor dem Museumsquartier? Vorzeichen verschärfter öffentlicher Raumwahrnehmung auf einem so ganz und gar nicht hauptstädtisch genutzten Hauptkulturgelände der Republik? Gar der Beginn einer permanenten Schau- und Begegnungszone am wichtigsten österreichischen Museumsplatz?

Bisher leistet er aber als prominente Innenstadtbrache mit baukünstlerisch gut kaschiertem Garagenüberbrückungscharakter nicht viel mehr, als glattes Auf- und Abmarschgelände der Kunstinteressierten zu sein. Das Sempersche Kaiserforum hat keine adäquate räumliche Fortsetzung gefunden. Zur Langfassade von Fischer von Erlach hat sich mangels rechtzeitiger argumentativer Klärung vor der Fertigstellung des Museumsquartiers stadtplanerisch und denkmalpflegerisch nur der Fluchtbegriff „freihalten“ finden lassen.

Das Museumsquartier endet zentrumsseitig auch ein Dutzend Jahre nach dem Wettbewerbs entscheid als Wirkungseinheit an der barocken Fassadenflucht. Hier verläuft noch immer eine Interessengrenze der Betreiber, hier scheiden sich die Interventionsgeister der betroffenen Körperschaften, hier türmen sich wilde Angstpotentiale auf einem touristisch fetten Nährboden, genannt Weltkulturerbe. Könnte als Minimalziel zur urbanistischen Aufrüstung des Vorlandes, fragen sich viele Fachleute, nicht wenigstens ein architektonischer Grenzwächter errichtet werden, der die Sinne mit der Zeit so weit schärft und die Zweifel so weit schwächt, bis eines Tages architektonische Grenzverächter, die man mit den 1987 vorgestellten Wettbewerbsprojekten von Ceska/Hofstätter/Pauzenberger, Riegler/Riewe oder Turnovsky/Hauser noch in inspirierender Erinnerung hat, an ihre Stelle treten können?

Vorerst täuschen große Werbeankündigungen, Leuchtstelen im Raster, Lichtdeckel für die U-Bahn, die zuwenig tief errichtete Garage, Fahrrampen, Stationszugänge, Restrasen, Strauchfallen, eine wohl nach Blattflächenverlust bei der Rodung und nicht nach räumlichem Kalkül gesetzte Alibi-Allee et cetera über den dysfunktionalen Zwischenraum inmitten städtebaulich starker, aber hier nie ganz in kontrollierte Berührung gekommener Baueinheiten der Stadt hinweg. Die derzeitige Installation weißer Igluteile aus Hartschaumkörpern, die zum letztjährigen Weihnachtspunschhütten-Projekt der Architekten Anna Popelka und Georg Poduschka im Museumsquartier gehören, macht eindrücklich Dimension und Bedeutung des scheinbar von Investoren und Politik in seinem Potential übersehenen Stadtraumes bewußt.

Auch wenn die serielle Skulptur von PPAG kommentarlos und nur teilweise das Vorfeld des Museumsquartiers zwischen der auf die Hofmuseen bezogenen Mittelachse und der Mariahilfer Straße besetzt, ihre Stellung und Wirkung zeigt eine schon seit der Wettbewerbsauslobung nicht mehr hart angerissene Problematik auf. Die nun dominierenden städtebaulichen Alleinstellungsmerkmale des Museumsquartiers entsprechen weder der Intention des Bauherrn noch dem Siegerprojekt von Laurids und Manfred Ortner im internationalen Wettbewerb. Vielmehr haben mediale Diffamierung und postwendende politische Redimensionierung bewirkt, daß sich die Bauten hinter dem barocken Rahmen ducken mußten.

Die „Krone“, die sich der dem Ortner-Projekt immanenten lokalen Stadtkrone erfolgreich widersetzte, und ihre ideologischen Zulieferer werden nicht mehr zur Rechenschaft gezogen werden können. Aber auch diese Kräfte werden noch erleben müssen, wie Bürger und Architekturinstanzen die Oberhand gegenüber ihrer Angst vor dem besseren Neuen gewinnen. Zubauten werden das Museumsquartier vervollständigen und dem ursprünglichem Gehalt etwas näher bringen.

Die Ideenkonkurrenz hatte klare Prämissen und ebenso eindeutige Ergebnisse, die in der Projektrealisierung verwässert wurden. In der ersten Phase des Architektenwettbewerbes „Messepalast“ im Areal der ehemaligen Hofstallungen war der städtebauliche Rahmen nicht zu eng gespannt: „Das Wettbewerbsgebiet umfaßt das Areal des ,Messepalasts' einschließlich der als ,Messeplatz' bezeichneten Freifläche. Unter der sich die ,Messeplatzgarage' befindet. Das Wettbewerbsgebiet liegt unmittelbar hinter den beiden großen Museen an der Ringstraße, den Anschluß des geschlossenen, historisch gewachsenen Baugebiets des 7. Gemeindebezirks bildend und südlich und nördlich von der Mariahilfer Straße und der Burggasse als Radialstraße begrenzt. Das Wettbewerbsgebiet ist somit zentral im Stadtgebiet gelegen.“ Die Ausschreibung zur zweiten Phase bestätigte das: „Die Gestaltung des gesamten ,Vorfeldes' wird als wesentliche Aufgabe des Wettbewerbes betrachtet.“

Das Juryprotokoll der zweiten Wettbewerbsstufe vom November 1990 stellte als bestärkende Eigenschaft des Siegerprojekts der Gebrüder Ortner fest: „Der Entwurf geht nun von dem Gedanken aus, das Areal des Messepalastes sei von einer ,Stadtmauer' umfriedet, unterstreicht aber mit der Vielfalt der Zugänge die funktionelle Verflechtung mit dem Stadtraum in optimaler Weise. Konsequenterweise wird im Bereich ,Vorplatz Mariahilfer Straße' der Zugang ins Areal als Unterführung des Fischer-von-Erlach-Baues gesucht. Die Aufteilung des Medienforums auf drei voneinander getrennte Baukörper, von denen sich einer außerhalb der ,Stadtmauer' befindet, entspricht der Auslobung, da es sich um verwaltungsmäßig getrennte Einheiten handelt.“

Das Siegerprojekt zeigt einen quaderförmigen Baukörper parallel zur Lastenstraße, teilweise die Garage überbauend, aber über einen tiefergelegten Hof die Vorlandnutzung in das Quartierinnere ziehend. Die Höhe dieses Baukörpers und seine Stellung orientieren sich an der Traufe und den Fassadenfluchten des Kunsthistorischen Museums, zumindest ein möglicher städtebaulicher Anhaltspunkt. Das Vorfeld ist mit Baureihen und Bodenbelägen grob in rektanguläre Felder in der Ordnung des Kaiserforums gegliedert, vor Fischers Mitteltrakt einen Bereich offen haltend. In den Überarbeitungen verkleinert sich das Medienhaus immer weiter, bis es 1992 aus dem Projekt verschwindet. 1999 steht wieder ein Medienkubus im Entwurf, allerdings nach Süden von der Tiefgarage und dem Grundeigentum der Republik Österreich abgerückt, zur Gänze auf dem als Park gewidmeten Boden der Stadt Wien nahe der U2-Station Mariahilfer Straße. Erst die absehbare Fertigstellung des Museumsquartiers und das Insistieren von Ortner & Ortner auf einer Gesamtlösung im Sinne des von ihnen zur Gänze, inklusive Vorplatzarrondierung- und -bebauung gewonnenen, aber dann von der Errichtungsgesellschaft nie zur Gänze zugeschlagenen Auftrags bringt also konkrete politische und behördliche Überlegungen zum Vorplatz in Gang.

Die Stadt Wien läßt Ortner & Ortner Entwurfsoptionen für das Vorfeld untersuchen, zugleich versuchen die Architekten Investoren von dem Standort zu überzeugen. Die großen Chancen des trapezförmigen Gebiets werden freilich erst bei der Rodung erkennbar. Eine Installation aus einer Parallelschar in grellem Orange gehaltener Netze von „Querkraft Architekten“ erweckt für die Öffentlichkeit erstmals die räumliche Brisanz des Vorgeländes. In einer profunden städtebaulichen Studie für die Magistratsabteilung 19 stellen Erich Raith und Reinhardt Gallister im Sommer 2000 klar, daß die Mariahilfer Ecke eine auf mehrere Arten architektonisch gut bespielbare, städtebaulich vielfältig determinierte und auch mit Gewinn determinierbare Situation darstellt. Eine der drei von ihnen überprüften und für tauglich befundenen Bebauungsoptionen, der Solitär, wird freilich gleichzeitig von Ortner & Ortner schon mit der BAWAG als „Designcenter“ ventiliert.

Obwohl das um neunzig Grad verwundene Ellipsoid für das „Designcenter“ die städtebaulichen Determinanten als autonomes Stück, als alle stadtgeometrischen Anfechtungen weitgehend abweisende Signalarchitektur erfüllte, scheiterte das Projekt am Kleingedruckten. Das Angebot der Stadt, auf bestehendem Grünland auf zehn Jahre ein ephemeres Objekt zu erstellen, erschien der Bank pragmatisch zuwenig fundiert. Eine neue Flächenwidmung war wegen der öffentlichen Ansprüche an jede private Nutzung an diesem prominenten Ort zeitlich zu aufwendig; zudem stimmte wohl die entscheidende Dreiecks-Chemie zwischen Architekt, Investor und Stadt nicht ganz. Das soll kein böses Omen sein: Der Standort ist heiß, kombinierte kunst-, kultur- oder wissenschaftsbezogene Nutzungen zeichnen sich mehrfach ab, der stadtpolitische Wille steht keinem beherzten Investor und auch keiner Institution entgegen.

Wer es ernsthaft wagt, diesen vergessenen Fahrplan aufzuschlagen, dem ist eine direkte Fahrt zu architektonischen und somit medialen Weltwirkungen sicher. Im übrigen ist dieser Ansporn Hans Dichand als Himmelshüter über sämtlichen Hofstallungen anläßlich seines Ausscheidens aus dem aktiven Berufsleben gewidmet, das ihm nun endlich erlauben könnte, im Rahmen einer Honorarprofessur für Populistik im Städtebau seine urbanistischen Argumente auf akademischem Boden prüfen zu lassen.

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