Bauwerk

MuseumsQuartier Wien - MQ
O&O Baukunst, Manfred Wehdorn - Wien (A) - 2001

Größe braucht Signalwirkung - Bringt den Turm wieder ins Spiel!

Andernorts (siehe Kunsthaus/Graz) wird über zentrale Projekte der Stadtarchitektur das Volk befragt. In Wien genügt das Veto eines Zeitungsherausgebers. Die Amputation des „Leseturms“ war einst jener Kompromiß, der den Bau des Museumsquartiers möglich machte. Platz für den Turm gibt es aber nach wie vor. Und gute Gründe, ihn zurückzufordern, meint Wolfgang Kos. Eine Intervention.

22. Dezember 1998 - Wolfgang Kos
Jede Stadt hat versteckte Winkel und Oasen des Besonderen. Fortgeschrittene Stadtbenützer, ob ansässig oder auswärtig, schätzen solche Orte, in denen man vor dem tosenden urbanen Leben gleichsam in Deckung gehen kann. Aber macht es Sinn, den größten Wiener Museums-und Kulturbau seit der Monarchie als verborgene, klösterlich eingefriedete Binnenstadt zu inszenieren?

Seit einigen Monaten sind im „Museumsquartier“ gigantische Aushubarbeiten im Gang, denn es gilt, auf einem Areal von 45.000 m² bedeutende Museen, dringend erforderliche Spielstätten und kulturelle Knotenpunkte zu errichten: Museum für Moderne Kunst, Kunsthalle mit unterirdischer Mehrzweckhalle, Leopold-Museum, Architektur-Zentrum, Spezialmuseen, Diskussionsforen à la Depot, Ateliers, Shops u.v.a. Doch die kribbelnde Vorfreude hält sich in Grenzen.


Alles unter Kontrolle

Daran mag einerseits schuld sein, daß das jahrelange Aufschieben, Umplanen und Zerreden der Wiener „Museumschance“ gleich mehrere Generationen von ideellen Offensivdenkern mürbe und wurstig gemacht hat. Also fand man sich mit der momentan beobachtbaren „Planung nach Vorschrift“ ab, die offenbar - unter Aufsicht obrigkeitlich eingesetzter Schrankenwärter - wie auf Schienen läuft. Alle, die irgendwo ihre Zehe in einer Museumsquartier-Drehtür haben, scheinen darauf zu achten, daß keinerlei unkontrollierbare Dynamik Unruhe ins große Werk trage. Jetzt, wo endlich alle notwendigen Stempel auf den Papieren sind! Und irgendwann wird gleißendes Kultur-Manna vom Himmel fallen, und alle werden davon naschen (und/oder darüber lästern).

Der zweite Grund für die trotz größter Promotion-Bemühungen der Baustellen-Manager auffällige Unsichtbarkeit der Bau- und Planungsarbeiten liegt in der Beschaffenheit des Areals. Bekanntlich hat das künftige Museumsquartier eine ziemlich massive Außenwand: die fünf Gehminuten lange, denkmalgeschützte Front zur Lastenstraße. Da sich parallel zu dieser eine sechsbahnige Schnellstraße befindet, wird auch in Zukunft mit einem ziemlich unwirtlichen Vorfeld zu rechnen sein. Gelegentlich aufblitzende Ideen für eine Überbrückung der Zweier-Linie zwecks psychologischer Annäherung an die Ringstraßen-Museen blieben Schimäre. Die Grundidee des Siegerprojekts von Ortner & Ortner, die anno 1990 die Jury begeistert hat, war die Interpretation des Museumsbezirks als urbanes Kraftfeld, das stark genug sein sollte, das nach außen so hermetisch wirkende Areal gewissermaßen „aufzusprengen“.


Nur keine Wellen ...

Die Ortners wollten, und dazu dienten nicht zuletzt die beiden Türme - einer im Inneren, einer vor der Fischerschen Außenfassade -, die Stadt spüren lassen, daß sie neue bauliche Mitbewohner hat. Dieser lebensfrohe Ansatz wurde in jahrelangen Verkleinerungs- und Silhouettendebatten einem mürrischen Defensivkonzept untergeordnet. „Nein zu Monstren!“, stand in der Kronen Zeitung, das Museumsquartier sei ein „Tumor“, wetterte Bernd Lötsch. Die, die an der Vision festhielten, flüsterten einander zu: „Pssst! Sonst ist es ganz aus!“. Aus dem angepeilten Dialog mit dem denkmalwürdigen Altbestand wurde ein herrisches Vorrecht des Alten. Das Neue soll sich nun hinter diesem wie ein Untermieter, der nirgends Nägel einschlagen darf, verstecken (die künftige Kunsthalle, nun hinter der Winterreitschule positioniert, gleich doppelt): Nur ein Turm wird künftig das vertikale Prinzip in der Museumsquartier-Silhouette repräsentieren - der Flakturm aus der NS-Zeit.

Auch wenn die einzelnen Museumsbauten imposante Solitäre von lakonischer Bigness und Kuben mit aufregenden Außenhäuten werden dürften - für den Gesamtorganismus Museumsquartier ist eine strukturelle Unsichtbarkeit zu befürchten. Es könnte sein, daß im Jahr 2001 mit viel Trara ein sündteures Superquartier der Künste eröffnet wird, das Probleme mit seiner Signalwirkung nach außen hat und einer verborgenen Stadt ähnlicher sein könnte als jenem klaren urbanen Ruf-und Aufbruchzeichen, das Republik und Stadt einem zentral gelegenen Museumsquartier eigentlich setzen wollten. Es gehe beim Museumsquartier, so Laurids Ortner anno 1995, also noch vor der Turm-Amputation, „um die Darstellung des Staates als intelligente Gesellschaftsform mit einem dreidimensionalen Outfit“.

Kurioserweise mehren sich in den letzten Monaten Wortmeldungen, in denen von kulturellen Vorzeigeprojekten für Wien geträumt wird. Stadtpolitiker und Planer schwärmen von Kulturbauten mit großer, also optimal sichtbarer architektonischer Geste, sei es auf der Donauplatte oder sonstwo. „Endlich“ sollte sich auch Wien etwas Innovatives beschaffen, um damit international Aufsehen erregen zu können.


Strategische Geste

Nicht nur um vor abstrusen Parallelaktionen der Großmannssucht zu warnen, sei daran erinnert, daß das Gewünschte fertig in der Planungslade liegt: der sogenannte „Leseturm“. (Der Bauplatz wurde freigehalten, es besteht weiterhin ein gültiger Flächenwidmungsplan.) Durch ihn bekäme das Museumsquartier genau jene Balance und Markanz zurück, die es in den Ortnerschen Plänen immer schon hatte. Der Turm besitzt nicht nur Grazie, Visibilität und Symbolkraft, sondern er ist auch eine folgenreiche strategische Geste - nicht nur für Ansichtskartenverleger. Es war übrigens die unglückselige und opportunistische Kappung des Turms, die in Wiens Kunst-Community jene Museumsquartier-Müdigkeit auslöste, die heute als Grauschleier über dem gesamten Projekt zu liegen scheint. Das neuerliche Schwärmen von Kulturbauten als Stadtzeichen läßt sich unschwer auf das starke Medienecho zurückführen, das neue Super-Museen, ob in Bilbao oder in Helsinki, in jüngster Zeit auslösten. Ich möchte hier an das im Frühjahr '98 eröffnete finnische KIASMA erinnern - weil es dem Wiener Problem näher ist als der wie ein Ufo gelandete Gehry-Bau. Auch in Helsinki ging es um den späten Neubau eines staatlichen Museums für aktuelle Kunst, auch in Helsinki wurde jahrelang gestritten, nicht zuletzt, weil es um einen Bau in zentralster Lage mitten in einer Hauptstadt ging: gleich neben dem Denkmal des Nationalheros Mannerheim, schräg vis-à-vis des neoklassizistischen Parlaments und ums Eck von Saarinens Jugendstil-Bahnhof.


Offensive Präsenz

Nun steht dort eine begehbare Raumskulptur, das höchst eigenwillige KIASMA, erbaut von US-Star Steven Holl, vom Volksmund schnell mit Spitznamen wie „gestrandeter Wal“ und in Architekturmedien mit Superlativen bedacht. „Is this the new Bilbao?“, fragt etwa das britische Magazin Blueprint, um zu konstatieren: „Europe's latest architectural sensation“.

Der schnelle Erfolg des KIASMA, das auch dem Zweck diente, das periphere Finnland im internationalen Kunstnetz neu zu positionieren, ist vor allem in der Stadt Helsinki zu spüren: sensationelle Besucherzahlen, Öffnung bis 22 Uhr. Das wichtigste an diesem Bau: Niemand kann ihn übersehen, denn er steht dort, wo sich täglich Hunderttausende Wege kreuzen. „Wir hätten keinen besseren Platz für ein Museum für zeitgenössische Kunst finden können“, sagt Gründungsdirektorin Tuula Arkio, deren kämpferischer Elan das Museum letztlich auf den Weg brachte: „Am Anfang sagten viele, wir sollten irgendwo hingehen, wo es Platz für einen Skulpturenpark gebe und wo wir Frieden hätten. Aber wir sagten: Frieden - das ist das Letzte, was wir wollen. Wir wollten dorthin, wo die Menschen sind.“ Es geht also um offensive Präsenz und um Signalwirkung. Also sollte man in Wien auf den Museumsturm nicht verzichten.

Ein besonders guter Grund für den Turmbau, ja geradezu eine Pflicht, ergibt sich aus den Muskelspielen, die um 1995 zu seiner Verhinderung führten. Ein Beispiel für viele: „Zilk hat ausgesprochen, was die Krone seit langem fordert: Fort mit dem Turm!“ (Kronen Zeitung, 13. 10. 94). Einer kleinen Gruppe alternder Machtträger und verschnupfter Platzhirschen war es gelungen, die Republik in Geiselhaft zu nehmen. Vielleicht war es klug und diplomatisch, ihrem Druck nachzugeben, um das Gesamtprojekt zu retten. Doch jetzt, wo endlich gebaut wird, sollte es keinen Grund mehr dafür geben, den Turm wegzulassen. Es geht immerhin um einen Kulturbau mit Langzeitperspektive. Und es wäre lächerlich, ihn durch kurzatmige Ränke und den Erscheinungsrhythmus der auflagenstärksten Tageszeitung auf Dauer zu beschädigen. Doch das ist nur ein Aspekt von vielen. Entscheidend ist, daß man den Turm benötigen wird - real und symbolisch, äußerlich und innerlich.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at