Bauwerk

MuseumsQuartier Wien - MQ
O&O Baukunst, Manfred Wehdorn - Wien (A) - 2001

Die Schräglage der Neunziger

Zu Unrecht geschmäht: Das kürzlich abgesegnete Projekt für die Neugestaltung des Wiener Museumsquartiers ist keine zurechtgestutzte Variante des ursprünglichen Entwurfs, sondern ein neuer städtebaulicher Ansatz. Eine Revision.

6. Dezember 1997 - Walter Zschokke
Abschied nehmen heißt es von der Vorstellung, das aktuelle Projekt für die Neugestaltung des Wiener Museumsquartiers sei eine redimensionierte, gebändigte Variante des vieldiskutierten, vielgeschmähten und zögerlich verteidigten Entwurfs, der vor drei Jahren die Gemüter erregte, weil da noch ein Turm zuviel aus dem Modell ragte.

Ein neuer städtebaulicher Ansatz aus den neunziger Jahren ersetzt jenen aus dem vorangegangenen Jahrzehnt. Während mit dem Vorgängerprojekt versucht wurde, über die Firstlinie des sogenannten Fischer-Trakts städtebauliche Zeichen Richtung Heldenplatz und Innenstadt zu senden, erzeugt der neue Ansatz in der Weite hinter dem Altbestand einen großen querliegenden Platz.

Dieser städtische Binnenraum wird von vier ungefähr gleichwertigen Baukörpern definiert: dem zentralen Palais des Marstallkommandanten, dem zum Kubus tendierenden Quader des Leopold-Museums und dem langgestreckten, sphärisch überdachten Quader des Museums Moderner Kunst. Diese vier wichtigsten Bauten sind entweder nur durch niedrige Nebentrakte oder gar nicht miteinander verbunden und erzeugen durch die kreuzweise Gegenüberstellung in der freien Mitte ein räumliches Spannungsfeld.

Die polare Disposition des Palais zur Reithalle wird von den konzentrierten Volumen von Leopold-Museum und Museum Moderner Kunst flankiert. Die beiden Neubauten sind aber gegenüber den Hauptachsen des Bestands um einige Winkelgrade verdreht. Der erste bezieht sich auf die städtebauliche Ordnung der ehemaligen Hofmuseen, der zweite nimmt die Richtung der Parzellenstruktur am Spittelberg auf, die von den hohen Feuermauern der Häuserzeile an der Breiten Gasse weitervermittelt wird.

Diese spezifische Schrägstellung läßt die beiden Quader im alten Gefüge scheinbar frei floaten, sodaß im Umfeld Außenräume differenzierten Zuschnitts entstehen. In der Querrichtung des fußballfeldgroßen Binnenplatzes bilden sie daher weniger einen seitlichen Abschluß als zwei Einschnürungen, welche die gesamte Freifläche zwischen Fürstenhof und Staatsratshof zonieren.

Hinter der Reithalle, die zur Veranstaltungshalle umgebaut wird, schließt parallel ein längsrechteckiger Neubau an: die Kunsthalle. Der hintere Bereich des Quartiers ist das genaue Gegenteil der weiträumigen Höfe und der Weite davor: Verwinkelte Gassenräume und kleine Höfe unregelmäßigen Zuschnitts lassen den Neubau nur auf kurze Distanz in Erscheinung treten. Es entsteht ein dichtes Gemenge mit zahlreichen Brüchen und Störungen, die für Wien ebenso typisch sind wie die Großräumigkeit der Ringstraße.

Das neue städtebauliche Konzept der konzentrierten Intervention bewahrt einerseits die vielbeschworene Identität der ehemaligen Hofstallungen, andererseits treten die Neubauten mit dem Bestand in ein gleichwertiges, durchaus spannungsreiches Verhältnis.

Wenn nun das Neue konzentriert wird und jeweils zwei bis drei Geschoße tief unter den Boden reicht, stellt sich die Frage, was vom Altbestand übrigbleibt. Es ist dies der lange Fronttrakt zur Stadt, dessen Ursprünge auf Fischer von Erlach zurückzuführen sind und der, obwohl im 19. Jahrhundert von Amtsarchitekten historistisch überformt, Fischer-Trakt genannt wird. An dem der Mariahilfer Straße zugewandten Teil ist es der größere Fürstenhof mit angrenzenden Bauten und an der Burggasse spiegelbildlich der Staatsratshof mit seiner Bausubstanz, die bewahrt werden. Die uminterpretierte Winterreithalle mit Kaiserloge und der dahinterliegende Halbrundbau und natürlich das Glacis-Beisl bleiben ebenso erhalten.

Das neue Leopold-Museum besteht aus vier windradförmig um einen Lichthof gefügten Teilkörpern. Eine äußere Hülle aus hellem Kalkstein, die aus gemauerten Blöcken ähnlich jenen von Bibliothek und Archiv in St. Pölten besteht, bestimmt die architektonische Erscheinung.

Das neue Museum Moderner Kunst wird von einer vertikalen Erschließungsschicht mit Aufzügen und Treppen in einen größeren vorderen und in einen hinteren Abschnitt geteilt. Auch dieser Bau erhält eine massive Natursteinverkleidung. Um das Monolithische zu betonen, wird bei beiden Gebäuden das Material über die Dachfläche gezogen. Die neue Kunsthalle erfährt eine ähnliche Materialisierung in Ziegelstein, sodaß sich in der Flugsicht auf das Quartier eine Art fünfte Fassade ergibt.

Über breite, sockelartige Stiegenrampen gelangt man zu den beiden Museen. Vor den Eingängen dehnen sich jeweils größere Terrassen, von denen weitere Treppenläufe zum Durchgang in den siebten Bezirk führen, der von beiden Aufgängen her hinter dem Halbrundbau zusammengefaßt wird. Diese Durchgänge erscheinen im derzeitigen Planungsstand noch etwas ungeschlacht, wie überhaupt das ganze Quartier erst in der baulichen Konkretisierung abschließend zu beurteilen ist.

Die zurückhaltendere und auch sparsamere Art weist diesen zweiten Entwurf als Produkt der neunziger Jahre aus, das sich von jenem frecheren aus der zweiten Wettbewerbsstufe mit insgesamt drei (!) Türmen klar unterscheidet. In der Reduktion war es eher schwächer geworden, und mit der gläsernen Hülle des Museums Moderner Kunst taten sich manche schwer.

Im aktuellen Projekt erweist es sich städtebaulich als richtig, die imperiale Achse des Kaiserforums nach dem Triumphbogenmotiv des zentralen Palais auf dem großen Querplatz ausklingen zu lassen und nicht in die alte Reithalle hinein weiterzuführen, die in Zukunft von der nördlichen Stirnseite her zugänglich sein wird.

Das Nutzungskonzept postuliert ein urbanes Nebeneinander von auf lange Dauer ausgelegten Institutionen, wie es die beiden Museen oder die Kunst- und die Veranstaltungshalle sind, mit rascher sich verändernden oder in Entwicklung befindlichen Instituten wie dem Kindermuseum, dem Architekturzentrum, dem Kunstdepot und vielen kleineren und kleinsten Elementen der Wiener Kulturlandschaft. In diese Mischung finden sich wie selbstverständlich eingelagert auch zahlreiche Wohnungen, einige Ateliers und zirka 2000 Quadratmeter Büroflächen.

Diese Kombination läßt auf ein urbanes Museumsquartier hoffen, nicht zuletzt deshalb, weil ein Teil dieser Nutzungen bereits heute das Leben im Museumsquartier bestimmt und Anlaufschwierigkeiten vorbeugt. Das Verhältnis wird sich zwar etwas verschieben, wenn die großen Brocken der zwei neuen Museen in Betrieb gehen, aber auch sie werden vom bunten Leben rundherum profitieren.

Man kann sich natürlich fragen, ob das eher unspektakuläre Projekt, wie es jetzt vorliegt, allen Ansprüchen auf internationale Repräsentation zu genügen vermag. Doch wird es sich als wichtiger herausstellen, wie das ganze Ensemble bespielt wird und wie es im Stadtleben verankert ist. Ich neige dazu, das zurückhaltende, als neu einzustufende zweite Projekt als besser zu bewerten als die reduzierte Endstufe des vorherigen, wo der Reithalle die etwas problematische Rolle eines Mehrfachfoyers zugekommen wäre; doch muß alles erst gebaut werden, bevor ein differenzierteres Urteil möglich wird.

Ein Aspekt, der nicht außer acht gelassen werden darf, ist die Erneuerung des sogenannten Fischer-Trakts. Während die Architekten sich in zwei Wettbewerbsstufen maßen und das erstprämierte Projekt mittlerweile neu konzipiert wurde, hat man von den 150 Kunsthistorikern wenig Substantielles gehört, die vor ein paar Jahren den Fischer-Trakt vom Rang her knapp unter der Karlskirche einstufen wollten. Niemand hat sich die Mühe gemacht nachzuforschen, wieviel an dem Trakt nach dem Artilleriebeschuß von 1809 noch von Fischer stammt. Damals verschwanden die Dachaufsätze auf den Außenrisaliten, die 1986 von Hermann Czech als wesentlich reklamiert wurden. Es war aber auch die von Fischer differenzierte Dachlandschaft durch eine amalgamierte Form ersetzt worden.

Diese städtebaulich und architektonisch wichtigen Komponenten, die dem Fronttrakt erst wieder zum Präfix „Fischer“ verhelfen könnten, würden diesem gegenüber den je zwei benachbarten Museumsbauten jenes städtebauliche Gewicht geben, das für den langen, mehrheitlich niedrigen Baukörper mit einer Fassadenrenovation nicht zu erreichen ist.

Wenn es möglich ist, dem Mittelrisalit der Gloriette unter Mißachtung der architektonischen Klarheit Fenster einzusetzen, weil es sie einmal gegeben hat, dann muß es doch möglich sein, den Fronttrakt des Museumsquartiers wieder mit jenen wesentlichen Elementen zu versehen, die es einmal gegeben hat und die ihm zu jener architektonisch-städtebaulichen Klarheit verhelfen, unter der er den Namen Fischer-Trakt auch verdient. Daß diese Aufgabe nicht mit denkmalpflegerischer Technologie, sondern mit dem kreativen Einfühlungsvermögen eines Architekten zu bearbeiten ist, steht auf einem anderen Blatt.

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