Bauwerk

MuseumsQuartier Wien - MQ
O&O Baukunst, Manfred Wehdorn - Wien (A) - 2001
MuseumsQuartier Wien - MQ, Foto: Gerald Zugmann

Baustelle betreten erlaubt!

Das Wiener Museumsquartier der Architekten Ortner & Ortner und Manfred Wehdorn ist noch nicht fertig gestellt, wird aber sicherheitshalber eröffnet. Bereits jetzt steht fest: Bevor das alte Gemäuer mit dem Neuen die Ehe vollziehen konnte, sind beide aneinander verstorben.

28. Juni 2001 - Ute Woltron
Wien - Es war nicht die Thuje, es war die Eibe. Es war die Eibe, für die man sich entschied, um den Vorplatz des neuen Wiener Museumsquartiers zu gestalten. Frisch gesetzte Heckchen in größeren und kleineren U-Formen sticken ein imperial-grafisches Muster in das Areal vor dem frisch gefärbelten ehemaligen Messepalast, der heute noch so tut wie vor 100 Jahren, als hinter dem stattlichen Riegel kaiserliche Rosse wieherten.

Pferde und Kaiser sind von uns gegangen, bleiben musste die alte Architektur, kommen durfte nur zaghaft und versteckt Neues. Die Eibenhecken verraten Flaneuren, Hunden und Vorbeiradelnden nicht, dass hinter der gelben Fassade einer der größten Kulturbezirke Europas liegt. Warum sollten sie auch? Alt und neu ringen dort im Verborgenen miteinander wie die Capulets und Montagues, und vor allem in den Zwischenzonen fließt schmerzlich Blut.


Versteckspiel

Die gesamte Anlage zelebriert ein kompromisslerisches Versteckspiel auf allen Ebenen, die Architektur zu bieten hat: Die neuen Museumsblöcke in Weiß und Schwarz verstecken sich vor den Augen der Stadt hinter historischer Bausubstanz. Die neue Kunsthalle in Ziegelrot verbirgt sich hinter der ehemaligen Winterreithalle. Die reichen, schwülstigen Stukkaturen derselben verschwinden - frisch und aufwendig restauriert und fürderhin nur von Spinnen und Mäusen zu besichtigen - hinter den neu eingebauten Wänden der Veranstaltungshalle sowie hinter Vorhängen rattengrauer Raffung, wie man sie vielleicht einst in den Vorstadtkinos zu schätzen wusste.

Verwirrend und ein Vexierspiel auch die Wegeführung durch den Komplex: Die Besucher gehen in Zwischengängen, Treppenhäusern, Foyers und Vor-Foyers verloren, stets auf der Suche nach dem Ein- oder Ausgang der diversen Institutionen. Die dunkel verspiegelten neuen alten Fenster der Reithalle glotzen als blinde Attrappen in den Hof, der pompös treppenbeflankte historische Eingang führt schon lange nirgendwohin, die Steintapetentüren darunter ins Unbekannte.

Der jahrzehntelange und in ermüdende Medien- und Besserwissergemetzel ausgeartete Versuch, hier Altes mit Neuem zu einem überregional einflussreichen Kulturbezirk zu verheiraten, ist in einer erstaunlichen, zuweilen hilflosen, gelegentlich fast ordinären Material- und Detailflut grandios abgesoffen. So gibt es etwa eine unverständliche Vielfalt verschiedenartigster Geländer - hier verglast, dort in lackiertem, geschwungenem Metallgeflecht ausgeführt, dann wieder mächtig hirschgeweihartig verröhrt.

Allein die diversen Inschriften auf der Fassade der Winterreithalle malen deutlich an die Wand, wie viele Kräfte hier sinnlos walteten: In der Mitte verkündet Schwarz auf Rosa der Schriftzug des Franz Joseph die Botschaft untergegangener, jetzt scheinbar entstaubter Zeit. Gleich rechts davon beeilt sich in Neonorange und flott elektroverkabelt die Kunsthalle auf ihre Existenz hinzuweisen, und wieder daneben prangt in Weiß eine Lichtanzeige für die dort befindliche Nebenhalle.


Trügerische Hoffnung

Im Jänner dieses Jahres war noch Hoffnung gewesen. Damals übergab man die neuen Einbauten der Architekten Ortner & Ortner ihren Betreibern, und Zement- und Kiesstaub deckten noch gnädig jene Zwischenzonen zu, die nun das Gesamtprojekt architektonisch völlig zur Strecke gebracht haben. Die einzelnen Blöcke des Museums Leopold und des Museums moderner Kunst - man mag zu den althergebrachten und im Vergleich zu den meisten zeitgenössischen Museumsbauten sehr konservativ ausgefallenen Raumkonzepten stehen, wie man will - lagen durchaus proper in der Quartierlandschaft. Das Neue war mit dem Alten noch nicht wirklich verbunden, der gestalterische Pas de deux der Architekten Ortner und Manfred Wehdorn setzte erst später so richtig ein.

Die nun präsentierte Architekturinszenierung ist misslungen, sie nimmt sich ähnlich absurd aus wie der Tanz der kleinen Schwäne, patschert vorgetragen von Otto Schenk und Helmut Lohner.

Die neuen Stahl-Glas-Portale etwa in den alten Trakten schreien das dem Betrachter förmlich entgegen: Horizontal verläuft unverständlicherweise ein wellig-konturierter, historisierender Sturz - wahrscheinlich ein Versuch, die Architektursprache der Vergangenheit ins Zeitgenössische zu übersetzen. Unmittelbar darunter befinden sich gerade Türen im Portalensemble. Hinter diesen Formalmassakern lagen einmal alte, durchaus charmante Stiegenhäuser. Sie mussten terrazzoversiegelten Treppenanlagen weichen, die nun den Charme des sozialen Wohnbaus der Sechzigerjahre atmen.

Während das Neue also unbeholfen mit dem Alten zu kommunizieren versucht, ist auch die gemütlich patinierte Aura der historischen Gemäuer nach der Restaurierung einer seltsamen, unwirklichen Stummheit gewichen. Zu diesem Nichts-mehr-sagen-können-oder-Wollen passt letztlich auch die erdrückende Gestaltung des großen Platzes.

Dort befinden sich 14 fein säuberlich in Linie aufgestellte, aus Stein gehauene und sorgfältig polierte Sitzblöcke. Die Trümmer liegen stumm und ergeben da wie große Sarkophage, unter jedem könnte man einen Architekten, einen Bürgermeister, einen Zeitungsbaron mitsamt seinem persönlichen, idealen Museumsquartier argwöhnen. Die Szene hat etwas Schauerliches und wird verstärkt durch das Gerücht, der Sammler Rudolf Leopold habe schon für die Ewigkeit vorgebaut und ein marmornes Nischerl in seinem Museumsblock für seine Urne reservieren lassen.

Auch die schnurgerade Reihe der hölzernen Sitzbänke gegenüber hat etwas Friedhofsartiges, Stimmung kommt hier keine auf. Der Platz wirkt wie tot, und dass hier die schlampigsten Steinarbeiten zu besichtigen sind, die in den vergangenen Jahrzehnten in Europa verbrochen wurden, verstärkt die Aura der Freudlosigkeit, die über dem gesamten Areal liegt.

Die Errichtung des MQ war ein gut dokumentiertes, oft durchgespieltes Drama in vielen Akten. Eröffnet werden nun leere Häuser, in die das Leben wahrscheinlich langsam über die vielen Wege der Kunst einkehren wird. Doch die Liebe zur Architektur, die wirklich gute Gebäude erst leben und atmen lässt, hatte hier nie eine Chance. Sie ruhe sanft hinter Eibenhecken, in wienerischer Selbstbeweihräucherung.

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